Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Niedermair · 25. Feb 2019 · Theater

NACHT OHNE STERNE von Bernhard Studlar - Eine Theater-KOSMOS-Produktion

„Tag und Nacht, Ihr Geschwister der Ewigkeit, sagt mir, wie gefällt euch unsere Zeit?“ (Ödön von Horváth, „Ein Kind unserer Zeit“)

Im Foyer werden die BesucherInnen des Theater Kosmos-Abends mit einer 2018 in Paris entstandenen Bildserie „Großstadtrauschen“ von Philipp Leissing auf das Stück eingestimmt. Die Bilder entstanden während eines viermonatigen Aufenthalts im Rahmen eines Stipendiums. Die feinnervigen Linien entlang der mit 0,5-mm-Stiften nachgezeichneten Webungen der Leinwände in unterschiedlichen Formaten entstehen in der Auseinandersetzung mit der urbanen Architektur entlang der Seine und in der Avenue Émile Zola. Der Künstler (mehr zu Philipp Leissing am Ende der Besprechung) verführt uns mit seinen visuellen Übersetzungen der Großstadt, die schwebend leicht und filigran-pastell, wie unscheinbar an den Wänden des Foyers hängen, und führt zu den Türen-Toren des Theater-Stadt-Raums. An der Schwelle betreten wir das Epizentrum einer Stadt, hören den pulsierenden Lärm als „das Geräusch der anderen“ (Kurt Tucholsky). Kein Vogelgezwitscher, nicht das Lachen von Kindern, nicht den Wind in den Weiden. Nur das Angst und Unbehagen vermittelnde Hupen von Sirenen und Automotoren, Hubschrauberrotoren und quietschenden Straßenbahnen. Wir sind selbst mitten drin in der Stadt, wie miteingefangen, wie mitbeteiligt, wir sind die Stadt, kein fixes Gestühl, nur Hocker, auf denen man alsbald immer in jene Richtungen auf eine der vier Seiten hinrutscht, wo das aktuelle Bühnengeschehen in 85 Minuten meist mit zwei Figuren, manchmal mehr, in verschiedenen Höhen der rundum einzäunenden Baugerüste durch die „Nacht ohne Sterne“ abspult. Meist in hoher Verdichtung, manchmal rasend schnell, wo es einem als Beobachter und Zuschauer kaum mehr möglich ist, das Geschehen aufzuhalten, zu stoppen, zu intervenieren, einzugreifen und zu protestieren gegen die Aggressionen und Gewalttätigkeiten, und man sich fragt, wo denn die persönliche Mündigkeit geblieben ist, das soziale Gewissen, die Stimme für die Obdach- und Arbeitslosen, die Ausgegrenzten.

„Und nicht vergessen: Schwimmen, sich verlieben, Haltung zeigen“

Dann wieder verlangsamt sich die Nacht in ihrem Tempo, zögerlich und öffnend, immer dann, wenn es im brillanten Text von Bernhard Studlar, dem Autor des 2017 als Auftragsarbeit des Slowakischen Nationaltheaters entstandenen Stücks, um psychogrammische Augenblicksportraits geht, wie im Dialog zwischen der Ärztin und dem Engel, beide – wie alle – Rollen hervorragend besetzt, glänzend gespielt, wenn die Stimmen in der plötzlichen Stille der Nacht wie Echos von den Wänden zurückreflektieren an das Publikum, das selbst im Zentrum dieser Nacht, immer ruhelos in Bewegung, sitzend, körperlich spürt, wie „in dieser Scheiß-Stadt alles im Arsch“ ist. „Andauernd … eine Demo … und alles kommt zum Stillstand. Die U-Bahn, der Bus, Taxi können Sie sowieso vergessen. Keine Ahnung, wer heute dran war. Die Linken, die Rechten, alles eins.“ Und die „Welt ist echt im Arsch. Die längste Zeit schon. Und wir? Sind wir auch im Arsch? Keine Ahnung.“ Den zahlreichen Figuren, ich kann mich nicht erinnern, ob das Theater KOSMOS je mit so vielen SchauspielerInnen auf der Bühne war, „jedenfalls steht das Wasser bis zum Hals!“ Alle sind sie im nächtlichen Reigen und der immer dünner werdenden „Zivilisationsdecke“ ziemlich bedient, von Spielschulden und von Schuldgefühlen gezeichnet, mit existenziellen Ängsten und tödlich finalen Krankheiten, mit Sehnsüchten nach ein bisschen Sicherheit und einem kleinen bisschen Glück, mit dem Begehren, umarmt zu werden, wenn denn da jemand wäre. Diese individuellen biographischen Seins-Zustände und Befindlichkeiten, alle Hoffnungen und Verzweiflungen, die schauspielerisch völlig überzeugend und authentisch auf die Bühne gestellt sind, erscheinen in den Fadenkreuzen des gesellschaftlichen Kontextes, dessen politische Bedingungen und Voraussetzungen sich in den letzten Jahren massiv verschärft haben und über menschenverachtende Ausgrenzungsstrategien rechtspopulistisch-nationaler politischer Parteien in Europa ihre hässliche Fratze zeigen. Der relevante politische Theater-Stoff, die drängend dringlichen Fragen der Zeit, die sich im Szenario „zu einem brüchigen gesellschaftlichen Panorama“ verdichten, sind im Theater KOSMOS in kompetenten Händen.

„The play-within-the-play“ und: „no sleep – no home“

An einer Stelle, in der 10. Szene – in der „Bar a Nox“ – nach ca. einer Stunde, kommt es zu einer scheinbaren Unterbrechung des Stücks, als ein Mann unerwartet die Bühne betritt und sich direkt an das Publikum wendet. „Ich habe … zugesehen, ich habe Sie nicken gesehen, jaaa, bevor ich es nicht mehr ausgehalten habe und einfach auf die Bühne gehen musste. Musste! Um diesem Schauspiel hier endlich ein Ende zu machen. Schluss! Ein für alle mal. Mit so einer Schreibe muss endlich Schluss sein. Mit dieser Meinungsmache. Diesem ‚Gutschreibertum‘! Schluss damit. So etwas brauchen wir hier nicht mehr! Das ist schließlich unser … Unser Stolz! Und diese Bühne überlassen wir einem dahergelaufenen, ausländischen Autor für seine Propaganda-Literatur. Ja, wo sind wir denn?“ Dieser Einschub, im dramaturgischen Traditionszusammenhang wie bei Shakespeares „Hamlet“ , „the-play-within-the-play“, soll dort zeigen, dass Hamlet kein traditionelles Stück über die Rache ist, hat hier eine aktuelle zeitgeschichtliche Theater- KOSMOS -Dimension. An dieser Stelle sei nicht weiter ausgeführt, wie diese Szene weitergeht und endet. Sie fokussiert, sehr glaubwürdig und gesellschaftlich notwendig, das Wesen und die Funktion des Theaters heute.

Theater als Einladung zum Diskurs

Man erinnert sich, dass die beiden Theaterchefs Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig FPÖ- PolitikerInnen und -WählerInnen erst vor Kurzem angeboten hatten, ganz im Sinne ehrlicher demokratie-politischer Diskurse, zu Besuch von Inszenierungen und Gesprächen ins Theater KOSMOS zu kommen: „Wir glauben, dass die Bühne ein ausgezeichneter Ort ist, sich Menschen und ihren Biografien zu nähern, sie manchmal sogar zu erleben. Daraus entsteht Respekt vor dem Gegenüber, Mitleid für den Anderen, Verständnis für die Überlebensstrategien des Fremden und Empathie für eine Minderheit. Das sind Errungenschaften unserer Demokratie, das ist die Qualität unserer Zivilisation. Vermehrt setzen politische Parteien auf Entsolidarisierung, auf Ab-, Ein- und Ausgrenzung und ziehen sich in einen chauvinistischen Nationalismus zurück. Immer mehr Menschen schließen sich dieser Haltung an – auch, um ja nichts von dem zu verlieren, das sie noch gar nicht besitzen.“
Dagegen setzt das Theater KOSMOS eine eigenwillige Aktion und lädt diese Menschen ein, um sich mit ihnen in eine Diskussion zu begeben und sie argumentativ für ein solidarisches Verhalten zu gewinnen. „Aus diesem Grund lädt das Theater KOSMOS alle Personen, die eine FPÖ-Mitgliedschaft besitzen und diese auch ausweisen können, herzlich ins Theater ein und bietet ihnen bei allen 4 Theaterproduktionen des Theater KOSMOS im Jahre 2019 freien Eintritt.“

„Es heißt, dass die Vögel aufhören zu singen, wenn ein Unheil droht. Seid mal still. Hört ihr das?“

Im Epilog (nach insgesamt zwölf Szenen): „Sound of spring, wenn die Übriggebliebenen im Morgenrot die Scherben aufkehren“ … „Es heißt, dass die Vögel aufhören zu singen, wenn ein Unheil droht. Seid mal still. Hört ihr das?“

Aus einem über Jahre hinweg soliden Team ragen die beiden Theatergründer und –leiter Augustin Jagg und Hubert Dragaschnig hervor. „Nacht ohne Sterne“ – in der Regie von Hubert Dragaschnig – ist eines in jeder Hinsicht besten Stücke, die hier jemals aufgeführt wurden. Das Theater KOSMOS ist mit dem Aktionstheater von Martin Gruber, der Herold-Fliri von Barbara Herold, dem WalkTanzTheater von Brigitte Walk, dem Projekttheater von Dietmar Nigsch und dem Theater für Vorarlberg unter der neuen Intendantin Stephanie Gräve zentraler Teil einer äußerst interessanten, vielfältigen Theaterlandschaft für das zeitgenössische Theater in Vorarlberg und weit darüber hinaus. Im Theater Kosmos, wie an den anderen, wird Theaterkunst weit über das in der Zeit der Aufklärung hinausgehende, damals gängige „Prodesse et delectare“ (lat. „nützen und erfreuen“) inszeniert. Theater soll intendiert irritieren und Diskussionen anregen, nicht mit erhobenem Zeigefinger im Sinne eines „Theaters als moralische Anstalt“, wie dies – nach den Enttäuschungen über den Verlauf der Französischen Revolution – bei Friedrich Schiller in den „Briefen zur ästhetischen Erziehung“ noch angesagt war. Als Theater soll es „durchaus auch irritierende Impulse setzen“.
Das Theater KOSMOS ist ein Synonym für kreative Theaterkunst und steht für den Anspruch auf gesellschaftliche Diskurse und politische Diskussion. „NACHT OHNE STERNE“ spielt in einer Stadt in Europa, die Nacht hindurch bis zum Morgengrauen und der Morgenröte. Das Stück thematisiert gesellschaftliche Fragen, zumeist angestaute Konflikte und Spannungen , die sehr aktuell sind. Und höchst bedrohlich. Wenn die gewählte Politik in ihren Handlungsstrategien immer rücksichtsloser und entmenschlichter mit diesen großen zivilisatorischen Fragen umgeht, ist es notwendig, dass die Zivilgesellschaft sich dagegen auflehnt und ihre Stimmen erhebt. Theater ist eine davon!

Philipp Leissing

war 2018 vier Monate an der Cité des Arts Paris, im Marais, einem für KünstlerInnen wunderbaren Konstrukt aus den 60ern. Dort wohnen immer ca. 300 KünstlerInnen aus der ganzen Welt. MusikerInnen, TänzerInnen, KomponistInnen, bildende KünstlerInnen, AutorInnen … Das Bundesministerium hat dort drei Ateliers. Kärnten, Salzburg und die Steiermark haben auch noch je eines. Vorarlberg leider keines. In der Umgebung, besonders in der Innenstadt, gibt es sehr viel alte Bausubstanz. Der Künstler ist dort in der Gegend bis hinüber zur Avenue de Zola, südlich der Seine, spaziert, besonders bei La Defense, und hat sich dort Klassiker der Moderne wie die Villa Savoir angeschaut. Am meisten haben ihn dort die postmodernen Gebäude von u. a. Ricardo Bofill in Noisy Le Grand beeindruckt.
Die fünf mittelgroßen Bilder sind in Wien entstanden, das sehr große und das 50 x 60 cm große in Paris. Neu und besonders an dieser Bildserie ist, dass Leissing überhaupt das erste Mal additiv arbeitet und das erste Mal auf Leinwand etwas macht. In den Malerei-Kontext wollte er jedoch nicht hinein, deswegen die Stifte. Die Linie eignet sich, so Philipp Leissing gegenüber KULTUR, perfekt zur Darstellung von geometrisch-architektonischen Formen.

 

NACHT OHNE STERNE v. Bernhard Studlar (ÖEA)
Regie Hubert Dragaschnig, Bühne/Licht Stefan Pfeistlinger, Kostüme Nicole Wehinger, Musik Herwig Hammerl
Es spielen Philip Butz, Wini Gropper, Carmen Jahrstorfer, Sabine Lorenz, Philipp Scholz, Sarah Schuchardt, Boris Schumm, Michaela Spänle, Bernd Sracnik, Selina Ströbele, Theresia Gansch
weitere Vorstellungen: 2., 8., 9., 14., 15., 16., 21., 22., 23. März, jeweils 20 Uhr
Sonntagsvorstellung: 10. März, 17 Uhr
Theater KOSMOS, Bregenz
www.theaterkosmos.at