Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Margot Prax · 25. Feb 2019 · Ausstellung

"Schein und Sein"

Mit Arbeiten der in der Umgebung von München lebenden Künstlerin Monika Supé startet die Galerie.Z in das Ausstellungsjahr. Bestens bekannt sind ihre Körperhüllen, wofür sie meterweise Draht verhäkelt. Um das Thema "In Wahrheit Lüge?" kreisen die Werke ihrer aktuellen Präsentation in Hard. Neben Zeichnungen sind Objekte zu sehen, deren Wirkung stark von Licht und Schatten beeinflusst wird. Sein und Schein offenbaren sich dabei auf höchst überraschende Art und Weise und fordern zu genauem und mehrfachem Hinschauen auf.

86 Milliarden Nervenzellen, jede einzelne davon ist über tausend Synapsen mit anderen Neuronen verbunden, Nervenbahnen in der Länge von 145 Erdumdrehungen. Beeindruckende Zahlen fürwahr: Sie bilden die Vielseitigkeit unseres Gehirns ab. Was dies mit den Arbeiten von Monika Supé gemein hat, erschließt sich schnell. 
Raffiniert und bis ins kleinste Detail klug überlegt müssen nämlich ein Haufen Metallstifte, einige Meter Draht oder Fichtenwipfel angeordnet und arrangiert sein, dass sie unser Gehirn zu überlisten im Stande sind. Leicht gerät man ins Grübeln, wenn man vor dem Bildnis der Haremsdame steht. Man ist sogar versucht, direkt ins Bild zu greifen. Unmittelbar drängt es einen, den ersten gewonnenen Eindruck auf Echtheit zu überprüfen. 

Wie täuschungsanfällig ist Wahrnehmung?

Diese ausgefuchste Fährtenlegung ist exakt die Masche - im ureigensten Wortsinn - von Monika Supé. Als promovierte Architektin und Dozentin für Wahrnehmungstheorie setzte sie sich intensiv mit der Wechselwirkung von Raum und Körper auseinander und ging der Frage nach, wie beeinflussbar oder täuschungsanfällig Wahrnehmung ist. Außerdem untersuchte sie in ihrer Dissertation die Möglichkeit, visuelle Wahrnehmung zu trainieren. Der Schritt zu "Schein und Sein" - so auch der Titel der Ausstellung - liegt nahe.
Für die künstlerische Umsetzung bedient sie sich des Effekts des Schattens und verwendet eine Technik, die im Kunstkontext exotisch anmutet. Monika Supé biegt und verhäkelt Draht. Beides transformiert sie auf außergewöhnliche und ästhetische Art und Weise zu Werken, die zwischen Zwei- u. Dreidimensionalität changieren. Mit den an sich unspektakulären Mitteln, lotet sie die Grenzen von Raum und Körper, Innen und Außen, Fülle und Leere, Materie und Nichts aus. 
Zum einen konstruiert sie Objekte aus Draht, zum anderen zeichnet sie mit Tusche plastische Körper, um so die unterschiedlichen Techniken im Zusammenspiel von Raum und Fläche auszuschöpfen, bisweilen auszureizen. Sie nutzt den Draht als graphische Linie im Raum und bezeichnet die Objekte als plastische Graphik, als Zeichnung im Raum. Für die Maschenwerke verwendet sie eine handelsübliche Häkelnadel und verarbeitet teilweise bis zu 200m Draht, was viel Zeit beansprucht. 
Der Faktor Zeit, der für die Künstlerin neben Körper und Raum von großer Bedeutung ist, bildet sich in ihrer langwierigen Arbeitsweise ab. Denn während der Entwicklung jedes Objekts verstreiche Zeit und sei somit als vierte Dimension regelmäßig eingearbeitet, erläutert die Künstlerin. Die Reusenhäuschen mit den rüsselartigen Öffnungen sind demzufolge mit Zeit, mit der Arbeitszeit der Künstlerin, gefüllt. Deren Fertigung ist aufwändig und erfordert handwerkliches Geschick. 

"Ohne Raum kein Körper"

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass sich Körper (im Konkreten die Drahthülle) und Raum (konkret der Luftraum) gegenseitig bedingen. Ohne das Eine kann das Andere nicht existieren. "Ohne Raum kein Körper", bringt es Monika Supé prägnant auf den Punkt. Damit eröffnet sie ein erstaunliches Experimentierfeld. Entlang der Grenze von Körper und Raum erschafft sie Variationen und Simulationen von Wahrheit, die den Betrachtern Wahrnehmungselastizität abverlangten. 
Die dreidimensionalen Häuschen etwa wirft sie als Schattenzeichnungen an die Wand, und sogleich verschwimmen die Grenzen zwischen Sein und Schein, Echtheit und Illusion, Wahrheit und Simulation. Trauen wir uns noch, unserer Wahrnehmung zu trauen? Die Abbildungen an der Wand wirken ungemein plastisch. Der 3-D-Effekt verblüffend. Die darin befindlichen Personen verstärken den Eindruck zusätzlich. Bewegt sich der Betrachter darüber hinaus um das Objekt herum, ändert sich mit dem Blickwinkel auch die Wahrnehmung. Die Augen beginnen, laufend neue Bilder zu generieren.
Schleust die Künstlerin damit "fake views" (gefälschte Ansichten) ein oder ist die Wahrheit vielmehr eine Tochter der Zeit, wie es der römische Dichter und Philosoph Aulus Gellius postulierte. Entgegen anders lautender Interpretationen meinte er damit, dass neue Entwicklungen und neue Einsichten neue Wahrheiten schaffen. 
In der Serie "Linearität" zeichnet Monika Supé Fragmente des menschlichen Körpers wie Beine, Füße oder Waden in extremer Genauigkeit, wobei sie wieder ihre Maschentechnik einsetzt. In das frappierend textilähnliche Schlaufengeflecht eingezwängt, erfährt die zweidimensionale Darstellung eine stupende Plastizität. "Es gäbe keinen Zwischenraum, ließen sich Körper nicht voneinander unterscheiden, gäbe es keinen begrenzenden Körper, ließe sich kein Raum erkennen", konstatiert Monika Supé.
Für sie sind Raum und Körper zwei Teile eines Ganzen, getrennt durch eine dünne Grenze: Die Oberfläche des Körpers. Exakt an dieser Linie bewegt sie sich, testet sie aus, zeichnet sie nach, löst sie auf.
Mitunter unterbrechen Laufmaschen das dichte Maschenwerk. Sie sind als Störungen zu verstehen und Zeichen dafür, dass Späteres Vergangenes verändern kann. Damit greift die Künstlerin neueste wissenschaftliche Theorien auf, die nicht ausschließen, dass die Zukunft Einfluss auf die Vergangenheit haben könnte. 

In Wahrheit Lüge?

Mit der zentralen Frage der Ausstellung "In Wahrheit Lüge?" richtet sie sich direkt ans Publikum. Die Arbeit mit der Darstellung der Haremsdame bietet sich dabei als Basis bestens an. Sie ist dem Werk "Die Badende von Valpinçon" des französischen Malers Ingres nachempfunden. Das Gemälde ist als zweidimensionaler Akt bekannt. In Monika Supés Version erscheint beim ersten flüchtigen Betrachten aus einiger Entfernung eine Zeichnung. Tritt man näher, ragen scheinbar willkürlich angebrachte Drähte aus der Fläche.
Dann passiert es: Bei Beleuchtung verwandelt sich die als undefinierbares Gekräusel wahrgenommene Metallstiftgemenge und gibt mit seinen Schattenlinien das wahre Bild frei: Die sorgfältigst platzierten Stifte werfen Schattenlinien. Sie sind es, die die Gestalt der Badenden erscheinen lassen. Regelmäßig beobachtet Monika Supé, dass Besucher mit Fingern prüfen, ob der Schatten tatsächlich kein Bleistiftstrich ist. 
Um sich einer Wahrheit zu vergewissern oder Schein von Sein zu unterscheiden, genügt mitunter ein Perspektivenwechsel. Als Versuch bietet sich das Exponat mit dem Ausschnitt aus Sandro Botticellis Werk "Die Verleumdung des Apelles" an. Je nach Blickwinkel könnte es als Darstellung, Täuschung, remake oder fake durchgehen. Gesichert scheint hingegen, dass das Sprichwort "Lügen haben kurze Beine" darauf basiert.
Monika Supé führt den Betrachtern eindrucksvoll vor Augen, wie komplex Wahrnehmungsabläufe sind und wie simpel es ist, vermeintliche Wahrheiten zu produzieren. Wie soll man da noch den Wald vor lauter Bäumen sehen? Allzu freimütig folgen wir dem Sog des Fichtenwäldchens und lassen uns hinters Licht führen. Eine wahre tour de force für unser Gehirn und unsere Sehgewohnheiten, durch die Monika Supé das Publikum mit ihren ebenso verblüffenden wie reizvollen Arbeiten manövriert.

Monika Supé: Schein und Sein
bis 23.3.
Galerie.Z, Hard
www.galeriepunktZ.at