Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Dagmar Ullmann-Bautz · 05. Mai 2012 · Theater

„Wir wollen das Leben nicht, aber es muss gelebt werden“ - Thomas Bernhard am Landestheater

90 Minuten intensivste Bernhard-Sprache - ein Erlebnis, das nur dann funktioniert, wenn der Text minutiös auf den Punkt gebracht wird. Am Premiereabend im Vorarlberger Landestheater leuchtete Thomas Bernhards „Macht der Gewohnheit“ mit ganzer Strahlkraft!

Traurigkeit und Sarkasmus

Günther Beelitz inszenierte das Stück und bestätigte damit seinen Ruf als Bernhard-Spezialist und Kenner. Er schenkte dem Bregenzer Publikum einen anhaltend eindrücklichen Theaterabend mit einer wunderbaren Feinzeichnung der Figuren und Genauigkeit bei der Wiedergabe des Textes. Thomas Bernhard hat dieses Stück seinem Lieblingsschauspieler Bernhard Minetti auf den Leib geschrieben - die Uraufführung 1974 bei den Salzburger Festspielen absolvierte Minetti grandios unter der Regie von Dieter Dorn. Auch der Caribaldi, den Schauspieler Andreas Weissert in Bregenz präsentierte, überzeugte, nein er begeisterte! Weissert schafft es, sowohl die unendliche Traurigkeit als auch Bernhards grenzenlosen Sarkasmus nicht nur schauspielerisch darzustellen, sondern regelrecht ins Publikum zu schleudern!

Ritual und obsessive Vision

Seit gut zwanzig Jahren probt Zirkusdirektor Caribaldi Schuberts Forellenquintett. Dazu hat er seine Verwandten und Angestellten in die Rollen der Ensemblemitglieder gezwungen - gezwungen obwohl sie, seiner Meinung nach, völlig unbegabt und unfähig sind, die Aufgabe zu bewältigen. Tatsächlich fühlt sich keiner der zu diesem Unterfangen Verhafteten zum Musiker berufen. Und längst ist allen, auch Caribaldi selbst, klar, dass seine obsessive Vision, die Aufführung des Forellenquintetts, sich niemals erfüllen wird. An der zum Ritual gewordenen sich ständig wiederholenden Handlung haben weder Enkelin, Jongleur, Dompteur, noch Spaßmacher nicht nur nicht das geringste Interesse, nein, sie hassen diese Zusammenkünfte und ihren Peiniger. Nichtsdestotrotz  trommelt Zirkusdirektor Caribaldi die ihm Ausgelieferten unbarmherzig zur täglichen Probe zusammen. Ohne Aussicht auf absehbare Veränderung, auf ein Entkommen, leben die fünf nur noch mit und für dieses eine Musikstück - gestern, heute, morgen!

Die Manege als Metapher

„Wir wollen das Leben nicht, aber es muss gelebt werden“ – dies ist ein zentraler Satz in Bernhards Stück. Bernhard führt uns vor, zeigt uns, wie gefährlich das Dasein in und hinter der Manege ist - die Manege, die als wunderbare  Metapher für das Leben stehen kann.

Nicht nur Weissert wusste zu überzeugen, sondern neben ihm auch alle anderen Darsteller. Berührend Andreas Jähnert als Spaßmacher - brilliert er doch, neben seiner sehr einfühlsamen Darstellung, auch mit artistischem Talent. Olga Wäscher als unglückliche und vielleicht auch missbrauchte Enkelin ist entzückend bemitleidenswert und grausam zugleich – hervorragend! Besonders unterhaltsam und dem menschlichen nahe gestaltet Maximillian Laprell seine Figur des Bier saufenden und Rettich fressenden Proleten und Dompteurs.

Paul Lerchbaumer entwarf den wunderschönen, bunten Zirkusraum - Arndt Rössler leuchtete ihn sensibel aus.

Von Bernhard zu Bernhard, von Stück zu Stück – nichts hat sich verändert! Nach wie vor  polarisiert der „Volksfeind“ Bernhard, brüskiert sein Publikum. Und das ist auch gut so, weil gewollt! Selbst bei dem als Komödie beworbenem Schauspiel „Macht der Gewohnheit“ scheint so manchem das Lachen noch ein wenig tiefer im Halse stecken geblieben zu sein als gewohnt. Sehr gut!

Mit der gestrigen Premiere hat das Vorarlberger Landestheater zum wiederholten Male bewiesen, was für ein wunderbarer Theaterautor Thomas Bernhard sein kann und welche Einzelstellung er unter den Theaterautoren einnimmt.  Das Publikum bestätigte dies mit einem begeisterten Applaus.