Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Thorsten Bayer · 09. Sep 2012 · Theater

Menschenfreund mit Daumenkinos und Wanderschuhen – ein berührender Auftritt von Volker Gerling zum Abschluss des Luaga & Losna-Festivals

„Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt“ ist das Motto von Volker Gerling. Der 44 Jahre alte Künstler ist in den vergangenen Jahren rund 3.000 Kilometer durch Deutschland gewandert und hat dabei die Zusammentreffen mit ganz unterschiedlichen Menschen fotografisch festgehalten. Aber nicht mit einfachen Porträts, sondern in Form von Daumenkinos. 25 davon stellte er am gestrigen Samstag im Feldkircher Theater am Saumarkt vor. Auf der Bühne blätterte er die Fotos unter einer Videokamera ab, projizierte die Bilder auf die Leinwand und erzählte die Geschichten der Menschen, die er fotografieren durfte. Leiter Johannes Rausch zog eine positive Bilanz des Luaga & Losna-Festivals.

Vor neun Jahren hatte Volker Gerling eine Idee, die sein weiteres Schaffen prägen sollte. Das Kamerastudium an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg hatte der gebürtige Rheinländer mit Auszeichnung abgeschlossen, erste Versuche mit Daumenkinos, einem Medium „an der Schnittstelle zwischen Fotografie und Film“, wie er sagt, bereits unternommen. Um wirklich neue Leute kennenzulernen, außerhalb der kulturaffinen Szene Berlins, müsse er die Hauptstadt verlassen, erkannte er. Also machte er sich auf eine große Wanderung, der in den nächsten Jahren noch viele weitere folgen sollte. Der erste Schritt als wandernder „Daumenkinograph“ war unternommen.

Sehr viel Empathie

Die Begegnungen mit Menschen auf diesen Reisen hat er in Form von fotografischen Daumenkinos festgehalten. Dort begegnet der Betrachter beispielsweise einer jungen Frau in der Bahn, Mutter und Tochter, einem schwulen Paar, einer Obdachlosen oder einem Dichter im Männerwohnheim. Damit will er den Charakter dieser Menschen zeigen – was ihm erstaunlich gut gelingt. Sein Blick ist nie voyeuristisch, sondern zeigt immer wieder sehr viel Empathie für sein Gegenüber. Mit dem Paulus-Zitat „Das was man sieht, kommt von dem, was man nicht sieht“ erklärt er die Faszination dieses Mediums. „Die Zeit wird flexibel, sie liegt im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand des Betrachters. Außerdem gibt es größere Lücken zwischen den Bildern als beim Film. Bei mir sind es drei Bilder pro Sekunde, beim Film 24.“ Er macht bei seinen Porträtstudien jeweils 36 Aufnahmen. Zwölf Sekunden sind eine lange Zeit, zumal gegenüber einer laut ratternden Spiegelreflexkamera, die er auch im Theater am Saumarkt vorführt. Das soll auch genau so sein – schließlich gelte es, die „Modelle“ aus ihrer Pose herauszuholen.

Wanderausstellung

„Gerling gelingt, was der darstellenden Kunst öfter gelingen sollte: zu zeigen, was für ein unerschöpflich interessantes Thema Menschen sind“, lobte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. „Stiller, schlichter und schöner kann Kunst nicht sein“, befand der Zürcher Tagesanzeiger. Wenn er auf Wanderschaft ist, nimmt er kein Geld mit.
Er übernachtet im Freien oder nimmt – im Ausnahmefall – die spontane Einladung einer wohlmeinenden neuen Bekanntschaft an. Er finanziert sich ausschließlich über Einnahmen seiner „Wanderausstellung“. Den Begriff nimmt er wörtlich. Auf Reisen hat er immer einen Bauchladen mit Daumenkinos zum Zeigen bei sich. Der „Eintritt“ ist frei, bei Erwachsenen bittet er beim „Austritt“ um eine kleine Spende. Außerdem bietet er die Bilderserien zum Verkauf an.

Erfolgreiches Festival

Volker Gerlings Auftritt war die Abschlussvorstellung des 24. Luaga & Losna-Festivals. Fünf Feldkircher Tage „Theater für junges Publikum“ (nach dem ersten Teil in Nenzing Mitte Juni) liegen hinter den Organisatoren. Festivalgründer Johannes Rausch blickt positiv zurück: „Wir waren recht erfolgreich, und das trotz des guten Wetters. Künstlerisch bin ich sehr zufrieden.“ Zwar sei es schwierig, in Vorarlberg immer wieder ein neues Publikum aufzubauen. Da sei die Situation beispielsweise in Wien eine ganz andere: „Dort gehört es im Beamtentum einfach zum guten Ton, mit den Kindern ins Theater zu gehen.“ Doch abhalten lässt er sich von der hiesigen schwierigeren Ausgangslage nicht: Schon beginnen die Vorbereitungen für die nächste Ausgabe des Festivals 2013.

 

Am nächsten Samstag ist Volker Gerlings Programm noch einmal in Vorarlberg zu erleben, und zwar im Rahmen des Walserherbstes.
Samstag, 15. September, 20.30 Uhr
St. Gerold, Geroldhus
www.walserherbst.at

Weitere Infos über Volker Gerling:
www.daumenkinographie.de