Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Dagmar Ullmann-Bautz · 29. Nov 2009 · Theater

Kontroverse Diskussionen nach einem extravaganten Nestroy – „Der Talisman“ am Vorarlberger Landestheater

Im Vorarlberger Landestheater gab es die Premiere eines Nestroys zu sehen, der im „österreichischen Sinn“ keiner war, sondern vielmehr eine sehr eigenwillige und kontrastierende Interpretation, an der sich die Geister scheiden. Dessen ungeachtet präsentierte sich der Abend einfallsreich, verlief äußerst amüsant, hatte Tempo und die Schauspieler in ihren skurril angelegten Figuren wussten bestens zu überzeugen.

Zeitlich und regional unbegrenzte Aktualität

„Der Talisman“, Johann Nepomuk Nestroys Lehrstück über Vorurteile und Ausgrenzung, über das Streben nach Karriere und die Überbewertung von Äußerlichkeiten, kommt in Bregenz vollkommen bereinigt von der wienerischen, biedermeierlichen Gemütlichkeit auf die Bühne. Regisseur Dirk Diekmann zeigt eine Ansammlung von recht abgebrühten und kratzbürstigen Menschen, jeder einzelne von ihnen mit allen Mitteln um seinen Vorteil kämpfend. Dass die angeprangerten gesellschaftlich-sozialen Probleme nicht regional oder zeitlich begrenzt sind, macht das Ensemble mit einem wilden Sprachenmix von Berlin bis Kärnten und Kostümbildnerin Magda Kropiunig mit einem Kleidermix durch die Jahrhunderte deutlich.
Die sehr  eigenwillige, äußerst reduzierte Bühne des Künstlers  Gerhard Fresacher aus Holz und Plastikfolie gewährte dem Zuschauer einerseits viel Spielraum für eigene Interpretation und setzte andererseits mit toten und gehörnten Puppen klare Statements.

Weixelbraun als Feuerfuchs, Jelinek als Salome Pockerl ...

Mit einer gehörigen Portion Wut verkörpert  „special guest“ Heinz Weixelbraun den rothaarigen Titus Feuerfuchs, der seine  soziale Unterlegenheit, seine „Schäbigkeit“ durch scharfen Witz und Schlagfertigkeit kompensiert. Ob rot, schwarz, blond oder grau, dieser kleine, giftige Zwerg überzeugt mit und ohne Perücke. Weder Weixelbraun noch Julia Jelinek, entzückend als rothaarige Salome Pockerl, zeichnen bemitleidenswerte Ausgestoßene, im Gegenteil  sie sind sich ihrer Situation klar bewusst und nutzen, mehr oder weniger erfolgreich, ihre Gelegenheiten.
Wenn  die Gärtnerin Flora Baumscheer (unbändig expressiv Tamara Stern) und die Kammerfrau Constantia (mit superber Noblesse Katrin Hauptmann) um  den „schwarzgelockten“ Titus buhlen und sich dabei beinahe in die Haare kriegen, ist das belustigend  und traurig zugleich. Frau von Cypressenburg (beeindruckend Gundula Rapsch) eine adelige Schriftstellerin von hohem gesellschaftlichem Ansehen widmet sich allem und Jedermann, nur nicht ihrer Tochter Emma. Alexandra Maria Nutz als Emma, einer reizenden Punkette, lässt nichts unversucht, um die Aufmerksamkeit  ihrer Mutter zu erlangen – erfolglos. Die Männer, Gärtnergehilfe Plutzerkern (Gernot Piffl), Friseur Marquis (Wolfgang Pevestorf) und Notarius Falk (Michael Schiemer), allesamt groteske Figuren, werden von Titus Feuerfuchs zu Steigbügelhaltern degradiert – Macht korrumpiert. Nestroyschen Charme zaubert schließlich Bruno Felix als Bierversilberer Spund in den Abend.

Ein wenig schade, dass die ausgezeichnet musizierende Jägerhutcombo - 5 Musiker des ensemble plus - so wenig zum Einsatz kam und auf Gesangsstücke beinahe, aber doch nicht ganz verzichtet wurde. Das hinreißend vorgetragene Lied  von Salome Pockerl „Ja die Männer habn's guat“ machte Lust auf mehr.

... bunt und extravagant

Alles in allem war es ein Abend mit völlig aberwitzigen Vermischungen, welche die Aufmerksamkeit  des Publikums fesselten, mit einer Buntheit und Extravaganz, die man gut heißen aber auch diskutieren kann. Und genau das ist es doch, was Theater kann und auch soll – kontroverse und interessante Gespräche provozieren. Das Premierenpublikum hat‘s mit viel Applaus gedankt.