Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Anita Grüneis · 24. Jän 2013 · Theater

Kinder, wollt ihr ewig leben? - "Before your very Eyes" von Gob Squad & CAMPO im TaK

„Before your very Eyes“ – vor unseren Augen - heißt die Produktion der beiden Top-Gruppen Gob Squad & CAMPO aus Berlin und Belgien, die im TAK als Gastspiel gezeigt wurde. Gespielt wird sie von sieben Kindern im Alter zwischen 11 und 15 Jahren. Vor unseren Augen schauen wir den „echten Kindern“ beim Erwachsenwerden zu.

Sie sitzen in einem einseitig verspiegelten Glaskasten, sie sehen uns nicht, wir aber sehen sie. Sie tanzen, wie Teenies eben tanzen, wild und ungestüm. Dann befiehlt eine Stimme aus dem Off „Grow up“. Sie halten inne, eine will gleich mit dem Sterben beginnen, doch die anderen greifen nach neuen T-Shirts, ziehen sich diese über und schon wirken sie älter. So beginnt die Show des Alterns beim Jungbleiben, die auch dem Publikum einen Spiegel vorhält. Denn mit dem Blick auf das Spiel dieser Kinder sieht es sich selbst zu, erkennt die eigenen Träume wieder, die sich meist in Luft aufgelöst haben und doch einst so wichtig waren.

Vor den Augen der Zuschauer werden die Kinder mit sich selbst konfrontiert. Sie sehen sich, wie sie vor drei Jahren vor der Kamera getanzt haben, als 8-Jährige oder 12-Jährige. Nun sitzen sie in diesem Glaskasten und schauen beim Beobachten der Videos in die eigene Vergangenheit. Das Publikum schaut ihnen dabei zu und staunt, ebenso wie die Kinder selbst, über die Veränderung. Welch einen Unterschied drei Jahre machen können! Wie anders jeder einzelne nun aussieht, wie anders er sich bewegt.

Dann ein Schnitt – die Kinder sind nun 19 Jahre alt und werden von der Stimme gefragt, was sie mit diesem Alter alles verbinden. „Ich kann Sex haben und schwanger werden, oder Sex haben und nicht schwanger werden“, meint eine und ein anderer sagt: „Ich kann nur ein Messer, eine Gabel und einen Löffel besitzen“. Es ist die Zeit der grenzenlosen Freiheit, alles ist möglich, Gothic ist „in“ und so schminken sie sich schwarze Augen und schwarze Münder. Wieder schauen wir bei der Verwandlung zu, denn all das geschieht vor einer Kamera, die uns übergroße Bilder aus dem Glaskasten nach draußen liefert. Es ist aber nicht nur die äußere Verwandlung, die verblüfft, es ist die Darstellung dieser Kinder, die plötzlich um Jahre gealtert wirken.

Diese kluge Verknüpfung von Video und Live-Darstellung schafft auch immer wieder Irrititationen. So melden sich die jüngeren Ichs der Kinder auf der Leinwand, reden über ihre Ängste wie „ganz alleine auf der Welt zu sein“ oder „den kleinen Eisbär zu verlieren“ und befragen ihre angeblich 19-jährigen Ichs, wovor sie Angst haben.  Da gibt es dann schon mal die Antwort: „Dass mein Ipod auf den Boden fällt“.

Sie stecken dich in einen Sarg

Die Zeiten ändern sich weiter, die Kinder scheinen vor unseren Augen 40 zu werden, sprechen nur noch über gute Weine und die Untaten ihrer eigenen Kinder. Was sie sonst noch tun können, wenn sie über 40 sind, fragt die Stimme aus dem Off. „Ich kann etwas erklären, ohne es zu verstehen“, meint einer, ein anderer: „Ich kann stinken“, und „Ich kann meinen Kindern Mützen aufsetzen, wenn ich friere“. Lappalien?  Und doch erkennt sich in den Antworten auch das Publikum. Mit einer schier unglaublichen Professionalität spielen uns diese Kinder das Älterwerden vor. Was passiert, wenn sie sterben? Auch darauf haben die Kinder eine Antwort parat: „Sie stecken dich in einen Sarg und fahren dich weg“.

Ein ungewöhnlicher Theaterabend, bei dem jeder Zuschauer im eigenen Tagebuch blättert und sich fragt, was denn aus all dem geworden ist, was früher einmal so wichtig war. „Was als spannende geheimnisvolle Zukunft vor uns lag, beginnt sich jetzt aufzulösen“, sagt die Stimme aus dem Off und klingt dabei fast so mystisch wie die Elbenkönigin Galadriel im „Herrn der Ringe“. Gesprochen wurde an diesem Theaterabend übrigens Flämisch und Englisch, ein Spruchband lieferte die deutsche Übersetzung.