Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Anita Grüneis · 12. Sep 2017 · Theater

„Fägfüür“ im Schlösslekeller Vaduz - Im Fegefeuer der Verlorenheit

Die Hölle, das sind die anderen“, heißt es in Jean-Paul Sartres Drama „Geschlossene Gesellschaft“. Dort finden sich drei Menschen in einer Hölle wieder, einem geschlossenen Raum, in dem sie sich ohne Hoffnung auf ein Ende ausgeliefert sind. In John Patrick Shanleys „Savage in Limbo“ sind es drei Frauen und zwei Männer in einer Bar. Die Liechtensteiner Regisseurin Katrin Hilbe hat das englischsprachige Originalstück in die regionalen Dialekte übersetzt und für den Schlösslekeller in Vaduz unter dem Titel „Fägfüür“ inszeniert.

Für Katholiken ist das Fegefeuer eine Zwischenstation, in der sich Menschen nach ihrem Tod läutern können, um dann doch noch in den Himmel zu kommen, ein Ort der Hoffnung in Gottes Nähe. Katrin Hilbe zeigt in ihrer Dialektversion Verlorene, die nicht wissen, wohin mit sich, die an sich leiden, an ihrem ereignislosen Leben, an ihrer eigenen Person. Sie reden fast alle ununterbrochen davon, dass sie etwas ändern wollen, aber was das genau sein soll, wissen sie nicht. So sitzen die 32-jährigen ehemaligen Klassenkameradinnen in einer Bar herum und werfen wilde Phantasien in den Raum: „Wir könnten zusammen eine Wohnung mieten“ oder: „Wir könnten Freundinnen sein“. Doch sie finden nicht zusammen. Ihr Leben ist ein Billardspiel, „die eine Kugel trifft die andere und es geht irgendwohin“.

Zwei für glückliche Tage

Für den stoischen Barkeeper mit seinem Marilyn Manson T-Shirt geht es nirgendwohin. Er gießt mit Hingabe seine abgestorbene Pflanze, weil sie absolut zuverlässig ist und nicht weiß, dass sie tot ist. So macht er dann auch Anni, die in seiner Bar zu übernachten scheint, vielleicht eine Alkoholikerin ist, aber vielleicht auch nur eine Träumerin, einen Heiratsantrag, damit sich nichts zwischen ihnen ändern muss. Die beiden sind das liebevollste Gespann in diesem Stück und erinnern in ihrer Verlorenheit an Becketts „Glückliche Tage“. Zwei menschliche Existenzen zwischen Leben und Tod, zwei Gestalten, die trotz aller Verlorenheit ihre Illusionen auf ein besseres Leben nicht vergessen haben. Da kann es dann schon sein, dass Barkeeper Murk für seine Anni den Weihnachtsmann spielt, um sie aus ihrem Kinderkokon zu holen, in den sie sich hin und wieder flüchtet. Die beiden sind mit Susanna Hasenbach und Nicolas Biedermann perfekt besetzt. Ein Traumpaar.

Traumpaar Hasenbach/Biedermann

Susanna Hasenbach ist während des gesamten Stückes präsent, sie räkelt sich auf ihrem Barhocker, rutscht über die Bar, tastet mit ihren nackten Füßen die Wand ab, ist da, und doch in weiter Ferne so nah. Eine seltsam Verblichene, die alles um sich herum wahrnimmt und doch ganz in ihrer Welt bleibt. Ein Wesen, so zerbrechlich wie eine kostbare Porzellanvase. Dazu passt der Barkeeper Murk von Nicolas Biedermann. Ständig einen Zahnstocher im Mund, wortkarg und doch aufmerksam, liebevoll und spröd zugleich, einer, der das Leben kennt und weiß, wie wertvoll ein Mensch wie Anni in ihrer Unschuld ist. Diese beiden erden das Stück, lassen das „Fägfüür“ zu einer wirklichen Möglichkeit der Läuterung werden. 

Weniger kann mehr sein

Zu den beiden Wortarmen gesellen sich Simone Loser als Linda Rotunda, David Kieber als Tony Aronica und Jessica Matzig als Denise Wild. Simone Losers Linda ist ein Vollblutweib, eine Frau, die gerne als Vamp auftritt und in ihrer Seele doch nur ein kleines Mädchen geblieben ist, das geliebt werden will. Von den Männern frustriert, funktioniert auch die Körpersprache nicht mehr, die Kurven sind zu massig geworden. Nur wenn sie singt, zeigt sie etwas von der Urkraft, die einst die Männer betört haben mag. Ihr Lover Tony bleibt bei David Kieber ein pubertierender Kaugummikauer im Lederdress, der so gar nichts zu kapieren scheint, ein Macho wie ein Abzieh-Bild, der als Knall-Charge leider nicht ernst zu nehmen ist.

Nichts wie weg vom Alleinsein

Nicht leicht ist für Jessica Matzig die Figur der Denise, die ihre Jungfernschaft wie eine Trophäe anbietet, vor allem und allen Angst hat und doch so gerne aus sich selbst und ihrem Alleinsein fliehen möchte. Matzig scheint mit ihrem vielen Text die Einsamkeit wegreden zu wollen, aber vielleicht braucht sie als Überbringerin der Reinheit, die keine Lust hat, umzufallen und einfach tot zu sein, die aber auch befürchtet, dass die Zukunft ein Buch ist, wo immer die gleiche Seite kommt, so viel Aktionismus, um nicht mit sich konfrontiert zu werden.

Regisseurin Katrin Hilbe hat sich gut auf die jeweiligen künstlerischen Angebote der Schauspielerinnen und Schauspieler abgestützt und so eine in sich stimmige Inszenierung geschaffen.

Weitere Aufführungen:
Im Schlösslekeller Vaduz: 13.9., 14.9., 15.9., 17.9.
Im Keller 62, Zürich: 19.9., 20.9.

Im Spielboden, Dornbirn: 21.9., 22.9.