Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Anita Grüneis · 04. Okt 2017 · Theater

„Endspiel“ im TAK - Das Ende ist schon im Anfang, und doch macht man weiter

„Ein Augenblick kommt zum anderen, und lebenslänglich wartet man darauf, wartet man darauf, dass ein Leben daraus werde", meint der blinde und gelähmte Hamm im Stück „Endspiel“ von Samuel Beckett. Diesmal ist es nicht das Warten auf Godot, sondern das Warten auf das Ende. Oder den Anfang? Die Regie von Dieter Dorn gibt darauf keine Antwort. Als Gastspiel des Wiener Burgtheaters hielt seine Inszenierung das Publikum im Schaaner SAL zwei Stunden lang in Atem. Der Schlussapplaus war mit vielen Bravo-Rufen durchsetzt.

Kaum hörbar rollt ein Guckkasten aus dem Hintergrund nach vorne. In ihm auf der linken Seite zwei hohe Behälter, bedeckt mit schmutzig-weißen Leintüchern, in der Mitte ein wuchtiger Sessel, ebenfalls eingehüllt in ein gräuliches Laken. Daneben ein gebückter Mann in Pantoffeln und Strickjacke mit zitternden Händen. In der Rückwand, hoch oben, zwei kleine Fenster, die einen Spalt geöffnet sind. Der Mann geht zu den Behältern, zieht die Leintücher herab, zu sehen sind zwei schwarze Müllcontainer. Er geht zum Stuhl und nimmt das Laken weg. Ein Mann sitzt darin, über seinem Gesicht liegt ein blutiges, schmutziges Tuch. Ist er lebendig oder tot? Der Pantoffel-Mann öffnet eine Falltür und wirft die Tücher hinab. „Ende. Es ist zu Ende. Es geht zu Ende. Es ist - vielleicht - zu Ende. ...“ Das „Endspiel“ von Samuel Beckett in der Inszenierung der Altmeister, dem Regisseur Dieter Dorn und dem Bühnenbildner Jürgen Rose, hat begonnen.

Übrig bleibt das Nichts 

Samuel Beckett hat das „Drama in einem Akt“ im Jahr 1956 geschrieben. Es ist aber weit mehr als nur ein Nachkriegsspiel. Im Mittelpunkt steht der Mensch, der dabei ist, zu verschwinden „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand". Das Dasein des Menschen ist ohne Bedeutung. Und obwohl der Mensch das ahnt oder sogar weiß, klammert er sich an sein Leben. Warum? Samuel Beckett fragt und antwortet nicht, er stellt nur dar. Er zeigt auf. Er weist darauf hin. Damit das deutlich wird, lässt er die äußre Welt verschwinden. Übrig bleibt das Innere, das Nichts und die tiefe Sinnlosigkeit.

Beim Untergang vergessen?

Das Publikum fragt sich im SAL zwei Stunden lang, ob es noch eine Welt da draußen gibt, außerhalb dieses Guckkastens. Oder ist der gesamte Raum inklusive des Zuschauerraums das Zimmer in einer Psychiatrie? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist die Welt draußen wirklich untergegangen. Oder die Natur hat die vier Kreaturen vergessen, die nun ihr Leben zu Ende leben müssen. Da ist der blinde, gelähmte Hamm, der in seinem rollenden Thronstuhl residiert und mit jeder Faser die Macht an sich repräsentiert. Nicholas Ofczarek ist ein autoritätsheischender Hamm, ein abgestürzter Pilot mit Sonnenbrille, der seinen Diener Clov gerne herumkommandiert und doch zutiefst Angst davor hat, dass dieser ihn verlassen könnte. Ein Realist und ein Träumer zugleich. Ein verlorener Herrscher, ein herrschender Verlorener. Sein Gegen - und Mitspieler - Clov, der nicht sitzen und schlecht laufen kann und doch der einzige ist, der sich ständig bewegen darf, ist bei Michael Maertens ein schlurfender, manchmal hinkender Diener, der bisweilen an den Glöckner von Notre Dame erinnert, der immer zu Diensten steht und doch stets seine Würde behält. Er erkennt, hasst und liebt zugleich. Am Schluss steht er im Nadelstreifen-Anzug da, bereit zu gehen. Wird er gehen? Die Guckkastenbühne fährt zurück, wir werden es nicht erfahren.

Zartheit und grotesken Humor bringen die Eltern von Hamm, Nagg und Nell ins Spiel, die immer noch über ihren Fahrradunfall lachen können, der ihnen die Beine amputierte. Nun stecken sie in hohen Mülltonnen – bereit zur Entsorgung und doch noch am Leben, auch wenn es vorwiegend aus der Erinnerung besteht. Joachim Bissmeier und Barbara Petritsch geben diesen alten „Königskinder“ einen Bissen Weichheit. Wenn die beiden versuchen sich zu küssen, aber nicht zueinanderkommen können, weil die Tonnen nicht nah genug beieinanderstehen, dann tut das Zuschauen weh.

Pathos sei der Tod des Stückes, sagte Beckett, und: "Ich möchte, dass in diesem Stück viel gelacht wird. Es ist ein Spielstück". Dieser Wunsch wurde Beckett erfüllt. Das Publikum in Schaan hat in den zwei Stunden gerne hin und wieder gelacht, um nicht an der qualvollen Enge des Raums und dem sinnentleerten Dasein zu ersticken.    

Weitere Vorstellung am 4. Oktober, 20Uhr im SAL, Schaan