Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Peter Niedermair · 30. Sep 2021 · Theater

„Der Zug ist abgefahren oder Der Tag an dem das Universum Selbstmord beging“ – Besuch der Generalprobe in Feldkirch

Die gestrige Generalprobe für die Premiere des Stücks nach einer Idee der in Hohenems lebenden Regisseurin Heidi Salmhofer lässt für heute, 30. September, im Alten Feldkircher Hallenbad auf ein kurzweiliges, etwas mehr als einstündiges Theatererlebnis hoffen. Die Bühne dieses früheren Schwimmbeckens an sich ist ein multipel inszenierbarer Ort, der nicht nur im wörtlichen Sinne zum wasserlosen Eintauchen animiert, sondern auch geeignet ist, alle möglichen verrückten Ideen zu ventilieren. In diesem ersten vollen Theaterstück von Heidi Salmhofer, die vielfach bereits als Literaturjournalistin aufgetreten ist, geht es um einen jungen Mann, der mit seinem Leben unzufrieden ist. Er sitzt in einem Zug und begibt sich auf eine Reise, deren Ziel er nicht kennt. „Ich habe ein Ticket gekauft. Ich möchte dieses Ticket auch gerne herzeigen. Ich möchte, dass man sieht, dass ich ein ehrlicher und gewissenhafter Mensch bin. Was macht es für einen Sinn, eine Fahrkarte zu lösen, wenn NIEMAND kommt und es auch wahrnimmt.“

„Im selben Zug sitzt noch jemand, ein Mann, oder auch eine Frau, vielleicht nichts von beiden oder alles von beiden“, schreibt die Theaterautorin im Klappentext zum Stück. Dieser Jemand stellt sich als Universum vor. Im Gespräch mit dem an seinem Leben zweifelnden jungen Mann stellt sich alsbald heraus, das Universum hat keine Lust mehr. Es hat es leid, immer wieder Richtungsgeber:in und immer wieder verantwortlich dafür zu sein, wenn etwas im Leben der Menschen schiefläuft. Mit rasanter Geschwindigkeit fährt das Stück mit den beiden Protagonisten, die musikalisch immer wieder von einem Flötisten und einem Akkordeonisten, Raphael Brunner und Juan Carlos Diaz, mit fetzigen Songs begleitet werden und wirft mit jedem Bahnkilometer die Frage auf, was passiert, wenn der Zug stehen bleibt und das Universum aussteigt, um sich auf die Gleise zu werfen. Das Ende naht, oder, was auch sein könnte, der Anfang.

Die Bühne als Laboratorium

Das Stück beginnt im Konjunktiv. Die Bühne als Experimentierraum. JUNG, der sich langweilt und im Fenster spiegelt: „Wenn mir meine Eltern eine Zahnspange gekauft hätten, würde ich ganz anders aussehen. Auch auftreten würde ich anders. Ich würde in einen Raum hinein gehen und weil ich schöne Zähne hätte, wären auch meine Schultern gleich viel breiter. Jetzt habe ich da vorne eine Lücke, und da hinten steht einer leicht über. Der Große. Das merke ich immer wieder beim Beißen. Obwohl man meinen müsste, innerhalb der ganzen Lebensjahre, die man schon hinter sich hat, sollte sich das Gebiss und der Mund schon daran gewöhnt haben, ans Beißen. Aber ab und zu spürt man - also ich - dass da etwas einfach nicht ganz stimmt. Die anderen sagen immer: ,Das macht dich zu etwas ganz Besonderem. Einzigartig!‘ Am Arsch. Im Supermarkt bleibt das einzigartige Gemüse auch immer liegen. Obwohl es besser schmeckt. Hat was mit der Überzüchtung zu tun, glaub ich. Also der, die dann eben nicht vorhanden ist, wenn so eine Karotte vorne einen Schwanz herausstehen hat, zum Beispiel.“

„Ich wüsste gerne, wohin ich fahre.“

ALT/Das Universum liest währenddessen eine Zeitung und nimmt JUNG nicht wirklich wahr: „Ich wüsste gerne, wo ich hin fahre.“ JUNG: „Wenn ich Bücher lesen würde, dann hätte ich mir jetzt ein Buch mitnehmen können. Lesen wäre besser als diese Langeweile. Außerdem würde ich dabei immer etwas über das Leben lernen. Ich könnte mir Wissen aneignen. Ich könnte an den Erfahrungen anderer teilnehmen. Ich könnte ein besserer Mensch werden. Lesen ist die zweitschönste Sache der Welt. Sagt man.“ Jung schaut beim Fenster hinaus. JUNG: „Ich mag die erstschönste Sache der Welt. Das Arge beim Sex ist, dass er wie ein Tor zwischen Leben und Tod ist. Wenn du einen richtig heftigen Orgasmus hast ... (macht seinen Orgasmus nach) ... So stell ich mir den Tod vor. Wenn man sich aufhängt, dann bekommt man angeblich während des Sterbens noch einen Ständer. Wie das bei den Frauen so ist, weiß ich nicht. Aber bei den Männern jedenfalls. Deshalb ist für mich ein Orgasmus immer wie eine Begegnung mit dem ganz großen Universum. wirklich wahr.“
Ein paar Augenblicke später: JUNG (sieht wieder zu ALT): „Wissen Sie, es ist nicht immer notwendig, ein Ziel zu haben. Der Weg ist das Ziel.“ ALT: „Das ist einer der vertrotteltsten Kalendersprüche, den sich der Mensch jemals ausgedacht hat. Wenn der scheiß Weg schon das Ziel ist, dann braucht Mensch sich nämlich nicht wundern, wenn er nirgendswo ankommt. Der Mensch redet sich gerne alles schön.“ JUNG: „Aber vielleicht will man nicht ankommen?“ ALT: „Schwachsinn. Jeder Mensch will wo ankommen. Egal wo.“ JUNG: „Ich nicht …“
Sehr passend sind die Songs ausgewählt, die das Stück ähnlich dem Chor im Theater kommentierend begleiten: Across the Universe (Beatles),  It's the End of the World (REM), Hurt (Johny Cash), The bad touch (Bloodhound Gang), Breath (Pink Floyd) - eine Instrumentalversion, Road to Nowhere (Talking Heads) und The Passenger (Iggy Pop). Dazu bewegen sich die Protagonisten im Pool in tänzerischen Bewegungen und die sich wiederholenden Refrains, wie etwa „nothing’s gonna change the world …“ oder „It’s the end oft he world as we know it …“ – „Es braucht kein Ziel. Es braucht einzig das Jetzt“, sagt ALT, worauf JUNG erwidert: „Verscheißern Sie mich bitte jetzt nicht. Ich soll Ihnen – dem großen Universum – einen Grund, ein Jetzt aufzeigen, damit Sie noch Freude an einer Weiterexistenz haben. Das überfordert mich. Dafür bin ich nicht der Richtige.“

Eine dramatisch-philosophische Reflexion

In den großen Theaterpassagen ist das Stück eine dramatisch-philosophische Reflexion über die Hingabe ans vielfach aussichtslose Leben, eine Existenz, die tragisch-heiter ständig am Scheitern ist. „Eine Begegnung mit dem ganz großen Universum.“ Doch da kommt kein Schaffner mehr. Es nützt nichts, auch wenn sich JUNG eine Karte für den Zug gekauft. „Train to Nowhere“, hieß damals der Popsong, der dieses existenzielle Universum einfing und spiegelt. Das schlägt einen Bogen zu Beckett und den absurden Fragen des Existenzialismus, Fragen, die an sich in jede Zeit passen, in die heutige, unsrige ganz besonders. Das Stück entlässt einem in die Regennacht Feldkirchs. Der Weg zum Zug klärt noch keine Fragen an sich. Aber frische Luft um diese Tageszeit tut gut.

 

Mit Sascha Jähnert, Hanno Dreher; Musik: Das Kollektiv Duo - Raphael Brunner Akkordeon, Juan Carlos Diaz Querflöte; Musikalische Beratung: Ula Lazauskaite; Text und Regie: Heidi Salmhofer
Premiere 30.9.2021, 20 Uhr, Altes Hallenbad Feldkirch
Weitere Spieltermine: 1. / 2. / 3. Oktober 2021, 20 Uhr
Eintritt: Euro 22,- und 17,-
Karten unter: www.sprachbilder.net oder www.event-vorarlberg.at