Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Liberata M · 27. Jän 2022 · Theater

Demontierter Herkules mit zerzauster Löwenmähne

Gestern Abend fand in Koproduktion mit dem Theater Marie, einem Schweizer Tourneetheater, die Bregenz-Premiere von Dürrenmatts 1963 uraufgeführtem Stück "Herkules und der Stall des Augias" im Vorarlberger Landestheater statt. Es ist von erschreckender Aktualität und bedarf keiner aktualisierenden Eingriffe. Der symbolische wie reale Mist zeigt sich heute in einer neuen Dimension von Umweltverschmutzung, Bürokratisierung und Reglementierung.

Elis, Wiege der Demokratie, Stolz des Peloponnes, versinkt im Mist. Bis zu den Dächern steht er der Stadt, bis zu den Ohren ihren Bürger:innen. Und Herkules soll es richten: Nur der Stärkste unter den Starken, nur ein Halbgott kann noch helfen. Soviel zum Inhalt.
Das Unaufschiebbare, das trotz zunehmender Dringlichkeit weiter aufgeschoben wird, die Reinigungsphantasien, die die Dürrenmatt'sche Komödie anspricht, und der Wunsch, nach einer starken Heldenhand, die kollektive Probleme einfach löst, erinnern an oder werfen vielmehr ihre Schatten voraus auf heutige Krisen.

Männliche Rollen mit Frauen besetzt - und vice versa

Die Inszenierung steht ganz im Zeichen einer gründlichen Demontage des männlichen Helden. Anstelle des Löwenfells, dem ehrwürdigen Attribut des Herakles, hängt ein schlabbriges T-Shirt mit Löwenaufdruck am Körper einer Frau (Milva Stark). Auf ihrem Kopf prangt eine zerzauste Perücke, die nur mit gutem Willen als Löwenmähne durchgeht. Die Entscheidung der Regie (Oliver Keller), alle männlichen Rollen mit Frauen zu besetzen und vice versa, trägt das ihre dazu bei. Das Konzept geht auf. Die Travestie überzeichnet die Rolle von Herkules' Geliebter Deianeira (Christoph Rath) ins Groteske und bereichert die Figur um eine weitere Facette. Der einzige männliche Schauspieler wechselt ständig die an einer Garderobe hängenden Kleider und wird dank der transparenten Stoffe und diversen Dessous dennoch der Stückvorlage gerecht, so unbekleidet wie möglich zu sein. Aus aktuellem Anlass und unschwer zu erratenden Gründen, fällt der zweite Schauspieler aus, sodass Nadja Rui neben ihrer Rolle als Phyleus, Sohn des Augias, auch dessen Tochter Iole spielt und der Rollentausch einen weiteren Dreh bekommt. Die Schauspielerin überzeugt in der Doppelbesetzung durch ihre Präsenz. Der posenhafte, uncharismatische Held Herkules findet immer wieder Gelegenheit, freiwillig Perücke und Maske fallen zu lassen. Parallel dazu wirken die auf eine Leinwand projizierten Gesichter der Darsteller:innen wie Masken im Nō-Theater.

Eine laute Inszenierung

An manchen Stellen kommt die Farce mit etwas zu viel Klamauk daher. Und es ist eine laute, fallweise eine Spur zu laute Inszenierung. In der Mitte des Bühnenbilds von Dominik Steinmann steht – passend zum mobilen Theater Marie – eine am Rand bergförmig gezackte Holzkiste, gefüllt mit Strohsäcken und Plastikballons, die von der Weite riesigen Seifenblasen oder Glasglocken ähneln. In diesem Stall des Augias geben beispielsweise Elier:innen wie zum Alpabtrieb geschmückte Kühe. Durchsichtigen Sitzbällen kommt eine dramaturgisch wichtige Rolle zu, indem Inhalt destilliert und darauf anzüglich-wippende Gesten bühnentauglich gemacht werden. Sie veranschaulichen Kambyses (Sandra Utzinger) als Stuntman für Herkules' sexuelle Heldentaten. Außerdem fallen in guter alter Theatermanier Papierschnipsel als Schnee, fungieren Klopapierrollen als Verband. Aber aller Demontage zum Trotz halten sich die Helden in Wirklichkeit hartnäckig, auch wenn sie noch so lächerlich erscheinen mögen. Vor allem wenn sie wie Herkules keine Normalsterblichen, sondern Halbgötter sind.
In der Schlussszene treffen sich der Präsident Augias (Judith Cunénod) und Phyleus in Augias' Garten, dem beschaulichen Refugium des Ewigen, nun das Unpolitische propagierenden Gärtners. Der Mist hat sich in Humus verwandelt. Das zarte Pflänzchen Hoffnung, das er seinem Sohn vermacht, spielt am Ende aber wieder nur der Farce in die Hände. "So geht denn alles zugrunde / Politiker, Helden und Land". Auch ohne diese absolut desillusionierenden letzten Worte der aus dem Mist auftauchenden Dürrenmatt'schen Parlamentarier, die uns die Inszenierung erspart, wird hier nichts gut ausgehen.

Weitere Vorstellungen:
27./29.1. und 1./4./6.2., jeweils 19.30 Uhr
www.landestheater.org