Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Gunnar Landsgesell · 28. Jän 2022 · Film

Licorice Pizza

Der jüngste Film von Paul Thomas Anderson ("Magnolia", "The Master") taucht mit einem jugendlichen Paar tief in die Siebzigerjahre ein. Einiges kommt einem hier komisch vor. Die Vitalität des Films ist beeindruckend.

Als würde ein abgerissener Film hier plötzlich wieder zu laufen beginnen, so steigt man in diesen Film ein. Und solche unvermittelten Einstiege lieben Amerikaner, zumindest die Regisseure unter ihnen. Auch „Licorice Pizza“ beginnt so. Ein 15-jähriger Junge namens Gary (Cooper Hoffman, Sohn des 2014 verstorbenen Philipp Seymor Hoffman) redet auf einem Campus auf die einige Jahre ältere Alana (Alana Haim) ein, in die er sich offenbar gerade spontan verliebt hat. Sie geht weiter, belustigt sich, er folgt ihr, zieht rhetorisch alle Register, und die Kamera bleibt dran: schwebend, schwankend, all den Unwägbarkeiten dieser seltsamen, irgendwie komischen Einstiegsszene folgend.
Dass die beiden bis ans Ende dieses Films im Gespräch bleiben werden, das ahnt man hier schon, aber wie, das ist die schönste Seite an diesem Film. Anderson zeichnet mit Gary und Alana ein flackerndes, stets überraschendes Porträt eines jungen Paares, das sich emotional umkreist, aber dann doch wieder die Rolle eines unerschrockenen, findigen Entrepreneur-Duos einnimmt. Auf dem deregulierten Arbeitsmarkt der USA der Siebzigerjahre ließen sich von Wasserbetten bis Flipper-Lokal schnell die Marktnischen wechseln, Andersons zwei junge Draufgänger sind dabei nicht leicht zu berechnen. Für das Publikum hingegen wirkt es befreiend, wie der Film die Stimmung dieser Zeit atmet, oder wie man sie sich zumindest vorstellt.

An Altman geschulte polyphone, unwägbare Erzählweise

Paul Thomas Anderson hatte einmal den gelobten „Boogie Nights“ gedreht und danach „Magnolia“, da hieß es: So schaut die Zukunft des Kinos aus. Eine polyphone, sich verästelnde Erzählung, die scheinbar nicht an einem Drehbuch klebte, sondern an der offenen Form eines Robert Altman interessiert war. Nach zuletzt zwei nervigen Arbeiten („Inherent Vice“, „Phanton Thread“), die beide penetrant konstruiert wirkten, findet Anderson zu dieser Zukunft zurück. Oder eigentlich in die Vergangenheit des „New Hollywood“ der Sechziger- und Siebzigerjahre, als die großen Studios krachten und eine Riege junger Regisseure das Kino durch ihre offenen, unberechenbaren Erzählungen quasi neu erfanden.
1973 wird bei PT Anderson nicht nur zu einem Jahr, in dem Männer Frauen noch zum Spaß auf den Hintern geklapst haben (so wie Frauen in dieser retrospektiven Perspektive generell ganz nebenbei sexualisiert werden, zieht sich als Konstante durch die Geschichte), auch so manche Mitmenschen erscheinen in diesem Zeitbild recht unberechenbar. Der unbekümmerte Konsum bestimmter Substanzen arbeitet Andersons oft vagen Szenerien ordentlich zu. Seltsame Stimmungen und eine emotionale Instabilität zeichnet sein in wenigen Strichen skizziertes Gesellschaftsbild aus. In kleinen Subgeschichten findet sich Bradley Cooper als vollgedröhnter Freund von Barbara Streisand, dessen amikale Art gegenüber Gary und Alana, die ihm gerade ein Wasserbett in seine Villa liefern, beständig in bedrohliche Tonlagen kippt. An anderer Stelle trifft Alana auf einen viel älteren Herren im Anzug (Sean Penn), der David Lynch entsprungen sein könnte. Schließlich kommt mit Benny Safdie als Congressman, für den Alana eine Zeit lang arbeitet, die Doppelbödigkeit der Politik ins Spiel. In „Licorice Pizza“ muss jeder ein „Actor“ sein, um bestehen zu können. Episodisch in der Form und dramaturgisch unwägbar scheint in Andersons Film alles auseinander zu driften. Mittendrin bilden Gary und Alana als komisches Paar das Zentrum des Geschehens, sie halten die Dinge zusammen. Ihnen dabei zuzusehen ist ein Vergnügen, wie es einem selten im Kino passiert.