Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Niedermair · 17. Mär 2022 · Theater

Das Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung bringt „der raum - szenisches gedicht für tontechniker und beleuchter“ von Ernst Jandl ins Kulturhaus Dornbirn

Diesen Mittwoch, 16. März 2022, war die Aufführung eines ganz außergewöhnlichen Stücks. An der Schnittstelle zwischen Theater und Bildender Kunst feierte „der raum – szenisches gedicht für beleuchter und tontechniker“ von Ernst Jandl Premiere.

Ernst Jandl, 1925-2000, Lebenspartner Friederike Mayröckers; neben Lyrik schrieb Jandl Prosatexte, zahlreiche Hörspiele sowie zwei Theaterstücke und übersetzte Autoren aus dem Englischen. Zu Jandls Popularität trugen seine Lesungen bei, die auf zahlreichen Schallplatten veröffentlicht wurden, sowie die künstlerische Zusammenarbeit mit Jazz-Musikern. In bester Erinnerung sind seine Auftritte am frühen Spielboden und im Kulturhaus Dornbirn. Mit „der raum“ hat Jandl – ich glaube 1971 – quasi ein Ballett für Licht und Ton geschrieben, in einer konkreten, sehr vitalen Dramatik, die gänzlich auf Schauspieler:innen verzichtet. In Zeiten von Krieg und Pandemie darf und soll Jandls Ode an den Theaterraum, wie Stephan Kasimir und Caro Stark im Interview mit Dagmar Ullmann-Bautz und Heinz Ullmann im Märzheft 2022 der Zeitschrift KULTUR, Seite 26/27 erzählen, auch als Plädoyer für mehr Utopien in Kunst und Gesellschaft gelesen werden.

Der Vorhang geht auf. Die Bühne bleibt leer.

Nein. There is a Light that never goes out. „sehr hell sehr sehr hell” schrieb Ernst Jandl. Und: „zu pulsieren beginnend / lichtstöße / tief hinein in / zuschauerraum / zuschauergefühl: augenschock“. Ernst Jandls „der raum - szenisches gedicht für beleuchter und tontechniker" ist ein Lichttheaterballett, das sich auf das rückbesinnt, was Theater kann: erschrecken, verzaubern, entzaubern. Allein durch Licht und Ton und in völliger Abwesenheit von Schauspieler:innen. Ernst Jandl hat eine Ode an den Theaterraum und seine Technik: Licht und Farbe, Klang und Architektur, Nebel und Stille geschrieben. Eine metaphysische Erfahrung von Zeit und Raum – losgelöst von Sprache, von Plot und Figuren. In Zeiten der Pandemie kann Jandls „leerer Raum“ aber auch als spöttischer Kommentar zur Spätmoderne gelesen werden, in der die Denkräume für Kultur, Politik und Gesellschaft von den Apologeten der Slim Fit-Generation immer mehr ausgehöhlt und entleert werden. „Ohne Kunst und Kultur wird es still“, hieß es am Anfang der Pandemie. Vielleicht hätten wir die Zeit am Balkon lieber nützen sollen, um die Räume wieder mit Inhalten zu füllen. Was bleibt übrig, außer einem Raum als Ort von Möglichkeiten, die einem dann dringlich bewusst werden, wenn sie abwesend sind? Die Abwesenheit all der üblichen Ausdrucks- und Gestaltungsformen klassischer oder zeitaktueller Themen ist doch mehr als ein bloßes Nichts, birgt sie doch immer noch das Bewusstsein dessen, was in diesem Nichts möglich wäre. Lasst euch (nicht) blenden!

UNPOP liefert eine starke Ensembleleistung …

hintersinnig, witzig, skurril, lichtausufernd, jandlig-schräg, geklonte Mostschädel-Figuren in den sich verengenden und öffnenden Lichtkegeln, ernst und heiter, blendend hell bis grell, viel und starker Applaus. Verdient auf alle Fälle! Ernst Jandl weiter: „Es schließt nicht an die liebenswürdige österreichische Theatertradition an und hat auch nicht die Aufgabe, dem Theater zu geben, was des Theaters ist. Vielmehr sucht dieses Stück ein Stück praktischer Erforschung des Theaters (das dabei als etwas Gegebenes und technisch hoch Entwickeltes angenommen wird) zu sein, indem es die räumliche Erfahrung des Theaters optisch und akustisch zu seinem Thema macht. Das geschieht in der Weise, dass dieses Stück, ähnlich, wie es die konkrete Poesie im Bereich der Lyrik tut, einen einzelnen Aspekt des Theaters, nämlich den räumlichen, den des Theaterraums, von allen übrigen trennt und ihn allein, optisch und akustisch und sogar mit einem Rest von Semantik, einem Minimum an sprachlicher Aussage, zum Theaterereignis macht. Es ist das letzten Endes die gleiche Methode der Reduktion, mit dem Ziel des Erforschens und Zeigens, von der im Zusammenhang mit der konkreten Poesie immer wieder, und mit Recht, die Rede ist.

Ernst Jandl über „der raum - szenisches gedicht für beleuchter und tontechniker"

1
zuschauerraum hell
bühne hell
2
zuschauerraum weniger und weniger hell
bühne heller und heller
3
zuschauerraum total dunkel (bleibt)
bühne hellstens
4
keine veränderung

So beginnt Ernst Jandls Text ...

eine Ode auf den Theaterraum und seine Technik. „der raum" ist ein abstrakt-reduziertes Theater-Experiment, das im deutschsprachigen Raum nur sehr selten aufgeführt wird. Es ist vor allem des grellen Scheinwerferlichtes wegen eine Sinne-durchdringende Beschäftigung mit dem Medium Theater. Es ist an sich kein „Blend“werk, doch empfehle ich zukünftigen Besucher:innen eine gute Sonnenbrille ins Sakko einzupacken. Was mir bleiben wird, ist eine hochkomplexe Theaterinszenierung von UNPOP (Stephan Kasimir und Caro Stark) und die Erkenntnis, dass nicht wir als Zuschauer es sind, die den Raum bestimmen oder definieren, sondern der Raum uns. Die Atmosphäre im vollbesetzten Zuschauer:innen-Raum war hochaufmerksam und dicht, die Zeit kurz, gerade mal eine Dreiviertelstunde, das reduzierte Hinschauen auf das karge Geschehen herausfordernd und anstrengend, auch der vergebliche Versuch, wenigstens in einem der Maschinenmonster eine Figur zu erahnen, und die Welt der Bühne in den Kopf einzulassen war ein starkes Stück. Die Bühne bleibt die ganze Zeit über „leer“. Das ist schon ungewöhnlich, weil das Stück gegen traditionelle
Theatergewohnheiten auf die Zuschauer:innen kommt. Das Geschehen auf der Bühne
verlagert sich sozusagen in das Kopfinnere, inszeniert dort eigene Gedankengeschehen und rückt damit ein Stück weit auch an die Theaterwelt des analytischen Dramas, wie wir es von Henrik Ibsen oder Arthur Miller kennen. Mit „Jandeln" kann man nicht früh genug anfangen.

Den Eltern und anderen (V)erziehern empfohlen: „Ottos Mops hopst“

Auf der Höhe, wo für gewöhnlich Schauspieler:innen auf der Bühne auftauchen, gibt es eine Lichterflut, die aus Scheinwerfern kommt, die ohne Rücksicht auf die Zuschauer:innen kommen, Lichter, die mit ihren Streukegeln im Kreis tanzen, als würden sie jandl’sche Lichteier durch die Gegend stubsen, die im Kreis tanzen, so schnell, dass man mit Zählen gar nicht mitkommt, den Boden und die Decke beleuchten und dann urplötzlich erlöschen, bevor man sich wieder dem ebenfalls grell-kreischenden Soundgeschehen nicht hingibt,sondern aussetzt. Bei Jandl klingt das so: „hellstens / funkelndst / zu schweben scheinend / in kopfhöhe eines dort nicht / stehenden.“ Dröhnen, Stampfen und Kreischen wechselt mit Lichtblitzen und wenigen Schriftzügen - „bleibt leer“ - ab. Nebelschwaden und sphärische Töne. Ob Ernst Jandls Ode an den Theaterraum und seine Technik … Licht und Farbe, Klang und Architektur, Nebel und Stille geschrieben … eine metaphysische Erfahrung von Zeit und Raum – noch losgelöst von Sprache, von Plot und Figuren ein Sinnbild dieser Pandemie ist, sei dahingestellt. Das ist vielleicht auch nicht die zentrale Frage. Doch: der Theaterabend mit dieser beeindruckenden Ensembleleistung ist etwas ganz Besonders, das sich viele neugierige Besucher:innen anschauen sollten. Es erweitert die Blicke und das Nachdenken über das Theater an sich. Den beiden künstlerischen Leiter:innen, Stephan Kasimir und Caro Stark, gehört für dieses Theaterexperiment meine große Anerkennung. Danke!

Ensemble für unpopuläre Freizeitgestaltung: „der raum - szenisches gedicht für beleuchter und tontechniker"
weitere Vorstellungen: 19./20./24./25./26.3., 20 Uhr
Kulturhaus, Dornbirn

www.unpop.at