Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Manuela Cibulka · 17. Feb 2022 · Theater

Büchners „Leonce und Lena“ feierte im Vorarlberger Landestheater Premiere

Den Müßigang vor Augen, der Langeweile entgegen, blickt Nico Raschner ins Publikum, bevor sich die Bühne füllt und mit Büchners „Leonce und Lena“ in nicht ganz zwei Stunden dem Publikum vom Lustspiel bis zur Liebesromantik alles geboten wird, was das Landestheater zu bieten hat.

Was man nicht alles aus Langeweile macht – studieren, beten, verlieben, verloben, heiraten, vermehren und auch sterben – erfahren wir von Büchner in den ersten Minuten, und der Einstiegsdialog alleine gereicht bereits zu einer Fülle von Assoziationen und Querverbindungen zur derzeitigen Situation. Dass Büchners Themen in seiner 1836 geschriebenen „tragischen Komödie vielfältig sind, wissen wir, und wie zeitgemäß, wird einem an diesem Abend schnell bewusst. Das liegt einerseits natürlich an dem wunderbaren Text an sich, andererseits aber vor allem an der Inszenierung durch Milena Fischer und der feinen Dramaturgie Ralph Blases.
Schnell umrissen ist die Geschichte: Ein Prinz, der des Alltags und der Menschen überdrüssig ist, soll mit einer ihm unbekannten Prinzessin vermählt werden. Um dem allen zu entfliehen, zieht er gemeinsam mit einem Begleiter los und begegnet – wie der Zufall es will – genau jener Unbekannten, die ebenfalls aus denselben Gründen floh, und in die er sich unsterblich verliebt. Der Schluss sei nicht verraten, aber da es keine Tragödie ist, kann es so schlimm nicht enden. Weniger schnell können die dicht gereihten Themen abgehandelt werden: das Kranken an der Sinnentleertheit, die Auflehnung und Revolution, die Lächerlichkeit mancher Vorgaben und Obrigkeiten, die Ungleichheit in der Arbeitswelt, verunmöglichte Liebe ... Wie die Themenfülle war auch der Abend sehr ausgefüllt – Grund genug, ihn nachklingen zu lassen.

Ausstattung und Besetzung

Aufgeführt wird ein Lustspiel, das mit einigem Klamauk daherkommt. Aufgetürmte Frisuren, grell-farbige Kostüme aus einer Mischung zwischen Schlabberlook der 80er Jahre, Pâtisserie-Häubchen und Rokoko, immer wieder bauch- und beinfrei und auch der Feinripp darf nicht fehlen. Für Bühne und Kostüm zeichnet Philipp Eckle verantwortlich und auch wenn sehr dick aufgetragen wird, bieten die Arrangements Platz für jede Menge Erheiterung und helfen dem Zuschauer, Durchblick in den Mehrfachbesetzungen zu bewahren. Nico Raschner und sein Kompagnon Sebastian Schulze sind nur in einer Rolle besetzt, und diese geben sie beide eindrücklich auf jeder Linie. Nico Raschners Leonce ist melancholisch und traumversunken, überdrüssig und doch gleichsam kraftvoll und hungrig nach mehr. Ihm zur Seite gestellt ist der arbeitsscheue Valerio, von Sebastian Schulze als gleichrangiger Mitspieler klar angelegt. Mit viel Körpereinsatz bekommt seine Rolle etwas leicht Durchtriebenes und die Wortwechsel zwischen den Beiden eine kabarettistische Note. Weiters im Bunde der Männer-Riege sind Tobias Krüger als König Peter – eine besonders bei seinem zweiten Auftritt trotz fehlendem Beinkleid und seines doch etwas jungen Alters für einen abdankenden König sehr überzeugende Darbietung mit viel Witz und Charme – sowie ein wandelbarer David Kopp als Präsident und Polizeidiener und ein noch vielseitigerer Luzian Hirzel als Hofmeister, Staatsrat, Polizeidiener, Zeremonienmeister und letztlich sogar als liebliche Rosetta. Mutet diese Besetzung anfangs etwas eigenartig und unnötig an, kann man sich seiner Darbietung des Tanzes am Podest zur sterbenden Liebe Leonce' nur schwer entziehen.  Toll gemeistert.
Maria Lisa Huber als Prinzessin Lena und Vivienne Causemann als deren Gouvernante überzeugen als Paar an diesem Abend besonders. Lena sprüht vor Jugend und Freiheitsdrang und die Enge der Etikette – symbolisch durch das Überstreifen eines Korsetts und Reifrockes angedeutet – ist bis in die hintersten Reihen zu spüren. Die sie begleitenden Gouvernante verleiht Vivienne Causemann einen tollen Charakter – liebend, stark und letztendlich, passend zur gesamten Aufführung, anstatt höfisch einfach „cool“.

Komik und Tiefgang

Besonders eindrücklich wird der Abend aber vor allem dann, wenn sich die Aufmachung etwas zurücknimmt, die Bühne sich entlädt, um Platz zu machen für ein Ährenfeld oder eine klare Vollmondnacht. Perücken und Damenhandschuhe fallen, Schuhe werden abgestreift, und wenn man es schafft, sich auf diese Szenen einzulassen, kommt das Lyrische und Romantische nicht zu kurz. Hier sei auch die Lichtregie von Arndt Rössler und vor allem die Musik von Matthias Grote erwähnt. Wäre es ein Kinoabend, würde man sich im Anschluss die Filmmusik besorgen – wunderbar ausgewählt, lässt Grote die Schauspieler:innen singen und tanzen und zu „Come together“ von den Beatles die Drehbühne bewandern. Bis sie sich unter dem Mond begegnen, die Sterne im Publikumsraum leuchten und Nico Raschner als Leonce spricht: „Zu viel! Zu viel! Mein ganzes Sein ist in dem einen Augenblick.“ Dieser Augenblick ist wirklich sehr berührend und die darauf folgende Liebeszene alleine ein Besuch der Vorstellung wert.
Neben diesen Bildern nehme ich sowohl die von Ralph Blase in der vorab stattgefundenen Einführung getätigten Ratschläge („Kaufen Sie sich Büchners Werkausgabe und erzählen sie vielen Menschen schnell von dieser Aufführung.) als auch eine der letzten Szenen mit. Der abdankende König überreicht seinem Nachfolger symbolisch das Reich in Form eines Schnupftuches und spricht: „Ich lege die Regierung in deine Hände und werde sogleich ungestört zu denken anfangen.“
Also: Lesen Sie Büchner und besuchen sie das Landestheater.

Vorarlberger Landestheater: „Leonce und Lena“ von Georg Büchner
weitere Vorstellungen:
19./23./25./27.2, 1.3., 19.30 Uhr
2.3., 10 Uhr
Publikumsgespräch:
23.3., 21.15 Uhr