Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Niedermair · 06. Okt 2019 · Theater

„Bin noch in Tanger und darf nicht reisen. Therese.“ – Die Geschichte der österreichischen Tänzerin Therese Zauser. Ein biographisches, multimediales Theaterprojekt mit internationalen Verbindungen

Gestern Abend, 5. Oktober erlebte ein hörbar begeistertes Publikum die Premiere des Stücks um die Protagonistin Therese Zauser in jener Stadt, in der sie 1910 geboren wurde - im Montforthaus Downtown Feldkirch. Der Weg dorthin lohnt, der Text Nadine Kegeles ist faszinierend, klug und anspruchsvoll, Brigitte Walks Inszenierung und strukturelle Komposition auf der Folie der politischen und kulturellen Geschichte überzeugend. Alles in allem eine Glanzleistung, vor allem auch das Schauspiel von Laura Mitzkus und Peter Bocek, die die zweigespaltene Figur der Therese Zauser geben.

Die Protagonistin

Therese Zauser verließ mit 19 Jahren die Enge der Kleinstadt im Westen Österreichs, wurde Artistin, reiste durch Nordafrika und die Mittelmeerländer und trat in Varietés und Clubs als Sängerin und Tänzerin auf. Dafür legte sie sich die Künstlernamen Therese Judith Jansen und Judit Jessie Zauser zu und bezeichnete sich als „Danseuse et chanteuse fantaisiste“. Zu den wichtigen Stationen, an denen sie auftrat, zählten Sophia, Izmir, Nikosia, Port Said, Alexandria, Kairo, Suez, Damaskus, Bagdad, Teheran, Malta, Oran, Algier, Casablanca, Fez, Tanger, Dakar und Lissabon. Und auch in Europa: Portugal, Deutschland, Tschechoslowakei. Therese reiste immer allein, ihre Engagements dauerten in der Regel nur wenige Wochen; und sie musste sich ständig um ihre nächsten Auftritte sorgen. Die einschlägigen Etablissements trugen klangvolle Namen  Korso Tabarin, Casino Bella Vista, Le Florida, Au Pavillon Chinois, Dancing Perroquet Constantine, Cabaret Arcadia u.a.m. , die den Spirit der Belle Époque spiegelten.

Intentionen des Stücks

In Nordafrika spürte sie die nationalsozialistische Machtergreifung. Aus Tanger schrieb sie am 17. September 1938 ihrem Bruder Karl: „Seit ich Deutsch geworden bin, habe ich nichts mehr zu lachen.“ Ab Januar 1939 trat Therese hauptsächlich in Lissabon auf, wurde dort nach einer Gefängnisstrafe ausgewiesen und suchte – ohne Erfolg – Engagements in Deutschland. Weitere Auftritte in Saarbrücken, Frankfurt und Wilhelmshaven folgten. Dort wurde Therese Zauser wegen feindlicher Aussagen gegenüber dem Naziregime denunziert und umgehend verhaftet, nach Hamburg-Hütten gebracht und schließlich im Oktober 1941 ins KZ Ravensbrück deportiert. Am 11. Februar 1942 wird Therese Zauser im KZ Ravensbrück ermordet.
Intention des Theaterprojekts ist es, die Wege und das Leben von Therese Zauser nachzuzeichnen und ein Bild von ihr, von den Städten rund um das Mittelmeer, der kolonialen „Belle Époque“  und der heutigen Sichten auf Orte mit europäischer Vergangenheit zu bekommen. Die Spurensuche reist auf historischen Wegen mit zeitgenössischen filmischen und theatralischen Mitteln, die „eine Gegenwart kreieren, wo eine Vergangenheit im KZ Ravensbrück ermordet wurde.

Montforthaus als neuer Spielort

Der kleine Saal im 1. Stock des Montforthauses eignet sich ideal für die Inszenierung der Geschichte der österreichischen Tänzerin Therese Zauser, nicht nur weil es ein Zwei-Personen-Stück ist, sondern auch weil die Protagonistin des Stücks eine Feldkircherin war, die mitten in dieser Stadt lebte und etwas Neues machte. Und: Die Zauser wollte immer das Schönste und Beste haben. Auf zahlreichen Fotos, die Brigitte Walk auf den Recherche-Reisen zu den Orten und Wegen in den Ländern um das Mittelmeer gefunden hat, sieht man diesen Lebensstil, diese Welt der Belle Époque, die sich im Wesentlichen auf den Boulevards der Metropolen, in den Cafés und Cabarets, den Ateliers und Kunstgalerien, den Konzertsälen und vor allem in den Salons ereignete; getragen von einem mittleren und gehobenen Bürgertum. Bedeutend auch das „Prinzip Blond“, das besonders in Afrika gesetzt wurde, wobei, wie Brigitte Walk im Gespräch ausführt, dieses Prinzip von Therese Zauser ziemlich genau auf den Punkt gebracht wurde. All diese Eigenschaften und Dynamiken musste man im Zentrum der Städte präsentieren und behaupten. Einen Teil von diesem atmosphärischen Ambiente, dem Credo der Zauser, nimmt das Montforthaus inmitten der Feldkircher Innenstadt auf. Blond, weiß, hell.

„Ich mache, was ich will“

Brigitte Walks Motive diese Biographie und die damit verknüpften Themen aufzunehmen, sind zweifach. Das erste ist die Frau, die sagt, egal was um mich herum los ist, „ich mache, was ich will“, egal zu welcher Zeit und in welchen Lebensumständen. Sie will unbedingt künstlerisch arbeiten und geht dafür weit weg und dorthin, wo sie ihre Vorstellungen realisieren kann. Diese Welt ist historisch-politisch-kulturell auch voller Brüche und einige Teile dieses großen Bildes kollidieren auch, Fragen tun sich auf, wie sie überhaupt nach Tanger kommt und was sie dort tut. Damit verknüpft ist panoramaartig der gesamte Fragenkatalog dieser Zeit, was sich auf mehreren Ebenen im Stück spiegelt. Die Protagonistin ist nicht allein politisch zu betrachten, weil sie nicht jüdisch ist, sie macht eigentlich etwas, was eher am Rande der Gesellschaft zu finden ist, sie arbeitet im Vergnügungsbusiness, eben auch dort, wo es ‚the dark side of people‘ gibt. In diesen Clubs und Varietés tanzt sie, wobei das in ihrer Zeit hoch angesehen war. Für die Leute in den Kolonien waren das Orte, an denen sie noch einmal ihre Identität behaupten konnten, vgl. „Casablanca“, der US-amerikanische Propagandafilm von Michael Curtiz aus dem Jahr 1942, mit Humphrey Bogart und insbesondere Ingrid Bergman. Casablanca während des Zweiten Weltkriegs spiegelt prototypisch Ausschnitte aus der Inszenierung, die wir gestern Abend als Premiere gesehen haben. Frankreich ist von der deutschen Wehrmacht erobert und teilweise besetzt, nicht das französische Protektorat Marokko, das zu Französisch-Nordafrika gehört und durch das Vichy-Regime verwaltet wird. Viele fliehen nach

Casablanca,

um vielleicht von dort aus einen Flug ins neutrale Lissabon nehmen zu können, von wo aus sie hoffen, weiter in die USA zu gelangen. Allgemein wurden in den Kolonien Showstars importiert, die in den Cabarets auftraten, was ein Stück weit das Gefühl vermittelte, man sei am Puls der Zeit, das sei wie in Berlin, das sei ihr Leben - was es ein bisschen auch war. Man nahm sich praktisch die Zwanziger- und Dreißigerjahre mit und schuf sich eine „perfekte“ zweite Wirklichkeit. In den Zeitungen der damaligen Zeit sieht man die Fülle des Angebots an Vergnügungen, von Kunst, Kultur und allen weiteren Vergnügungsoptionen, die mehr als nur mit Paris mithalten konnte. Viele Leute aus Europa sind damals ins Flugzeug nach Casablanca gestiegen und haben sich dort Jean Gabin und die großen Tänzerinnen angeschaut. Das war kulturhistorisch so etwas wie Eintauchen in die

Freiheit des leeren Raums. 

Therese Zauser hatte immer Agenturen, die sie vermittelten, ihr die Hotels checkten, ihre Engagements waren immer in den ersten Häusern am Platz. Ihre Flüge, Zugfahrten und alles Organisatorische wurden ihr arrangiert; sie hatte einen Artistenkoffer mit ihren Requisiten, der ihr vorausgefahren ist. Das Künstlerinnen-Leben auf diese Art war natürlich sehr anstrengend, Gage gab es nur bei Auftritten, sie brauchte ständig neue Kostüme, neue Tänze und Programme, die offensichtlich gut angekommen sind. Im Mittelfeld war sie immer präsent. Sie hat vor allem getanzt, gesungen, gelegentlich in einem Film mitgespielt. Ihre Programme entsprachen dem Zeitgeist, sie präsentierte Stepptänze und Phantasietänze, britisch-kolonial. Sie kannte sich in dem aus, was gerade gefragt war. So war sie 12 Jahre auf dieser Tour unterwegs.

Zeitgeschichte

Die nationalsozialistische Machtergreifung spürte sie auch in Nordafrika: Aus Tanger schrieb sie am 17. September 1938 ihrem Bruder Karl: „Seit ich Deutsch geworden bin, habe ich nichts mehr zu lachen.“ Dies bedeutete das Ende ihrer künstlerischen Karriere. Sie durfte nicht mehr reisen, wurde mit einem Reiseverbot belegt, als Deutsche durfte sie in manche Länder nicht mehr einreisen und sie konnte nicht mehr auftreten, wie in Ägypten, wo die Deutschen 1940 gelandet waren. Eine Agentur vermittelte sie nach Portugal und weiter nach Deutschland. 1941 war sie in Stuttgart, Frankfurt, Budweis, Pilsen und Prag. Sie war unter den Nazis und fühlte sich gar nicht wohl. In den Clubs im Protektorat Böhmen-Mähren hatte sich längst eine völlig andere Stimmung breitgemacht. Sie sah den Krieg, die Deportationen. Das veranlasste sie, zum Film zu gehen, sie versuchte bei der UFA oder bei den Hal-Roach Studios in Kalifornien unterzukommen. Doch sie bekam nur Absagen. In Saarbrücken soll sie an einem Abend nach Wein gesagt haben, man bringe sie nie in eine Rüstungsfabrik und die Briten werden den Krieg gewinnen. Daraufhin wurde sie denunziert, von Nazioffizieren oder anderen Gästen, die von ihr nicht das bekamen, was sie wollten. Danach wurde sie für zwei Wochen nach Wilhelmshaven engagiert; dort wurde sie Ende August 1941 verhaftet, zwei Monate arrestiert in Hamburg-Hütten, und am 25. Oktober ins KZ Ravensbrück überstellt. Sie bekommt einen schwarzen Winkel als Asoziale.

Eine phantastische Geschichte – Opfer der Zeitläufe

Die Geschichte der Therese Zauser ist die phantastische Geschichte einer mutigen, unternehmungslustigen Frau, die etwas werden wollte und auch ein Opfer der Zeitläufe wird. Die Zeit schlägt voll durch. Es gab durchaus Risse. Sie hat auch an die Nazis geschrieben, sie könne übersetzen und spreche Arabisch; was auch ablehnend beschieden wurde. Die Biographie der Zauser ist ein Zeitzeugnis. Uns in Europa, sagt Brigitte Walk, hat man bisher immer nur Bilder gezeigt aus den Staaten, wo die Flüchtlinge herkommen, unterentwickelt, Islamismus, als habe das alles mit uns nichts zu tun. Die Mittelmeerländer sind ein eigener Kulturraum, der immer mit Europa verbunden war. Es wäre ahistorisch diese Routen zu schließen, weil wir sie eröffnet haben, die Griechen, die Franzosen, die Briten, wir alle waren immer in Afrika, erzählt Brigitte Walk. Es gibt in diesen mediterranen Ländern in Stein gemachte Spuren, viel Architektur, die ein Zeuge dieser steinernen Präsenz ist. Anderes kennt man aus den Bildern von Paul Klee und anderen, die dem Beispiel Picassos folgend der künstlerischen Impressionen und auch der Schönheit wegen nach Afrika gingen, um diese Atmosphäre dort zu erleben. Wir sind ein Teil deren Geschichte und haben, wie Brigitte Walk betont, deren Geschichte geraubt. Bei den ausgiebigen Besuchen in den ehemaligen nordafrikanischen Kolonialländern sei in zahlreichen Begegnungen klar geworden, dass es dort keine Bilder und Fotos aus dieser Zeit gibt, weil nur die Engländer und Franzosen Bilder gemachten hatten, die sie mitnahmen, wo diese Bilder aus den Dreißigerjahren in den Archiven zugänglich sind. 
Was die Botschaft in die jetzige Gesellschaft hier in Vorarlberg sei, frage ich Brigitte Walk. - Es gehe auch darum, viel mehr darüber zu wissen und sich nicht diese Bilder einreden zu lassen, diese Länder lieferten nur Flüchtlinge, es gehe um historische Fakten über die Kolonien, um die Frage nach den Identitätskrisen und deren Wirkmacht auf die Gegenwart. Sich nicht von den Demagogen an der Nase herumführen zu lassen, sei ihr ein zentrales Anliegen. Die Zauser-Geschichte sei paradigmatisch, was die historischen Spuren anlangt.

Text und Regie

Nadine Kegele war für Brigitte Walk die ideal geeignete Autorin, in ihrer Literatur, mit ihrem knappen, leicht spöttisch ironischen Stil, treffsicher aber nie demagogisch, die dem Stück den entsprechenden Dreh gibt. Die Schriftstellerin spaltet die Figur der Zauser in zwei auf, die Regisseurin denkt diese Idee weiter als Mann und Frau und lässt diese Figur erzählen, wie sie vorwärts geht, ab Tanger, wo 1938 die Reisesperre kommt; und in Erinnerungen rückwärtsgehen, bis sie wieder in Ägypten ist und als Kind wieder zu Hause eintrifft. Die eine Figur erinnert sich zurück, wie schön das alles war, die andere Figur geht schnurstracks nach Deutschland und dort in den Tod. Die Figuren reden miteinander und deutlich spürbar wird die Frage nach der Identität, wer bin ich, wenn meine Identität so stark von außen bestimmt wird. Regie- und Inszenierungstechnisch gesehen ist diese Zweiteilung ein faszinierender und überzeugender Griff. Das Genderfluide war in den Dreißigerjahren in der Unterhaltungsbranche sehr präsent, in Berlin zum Beispiel, es war große Mode, feminin oder androgyn zu sein.
Wichtig und erwähnenswert ist noch das Jüdische und die Frage, was das Jüdische für eine Rolle im Maghreb, am Mittelmeer und damit auch für Europa spielte. Überall auf den Spuren der Recherche-Reise war die Bedeutung des Jüdischen als Verbindungsglied spürbar, die Verknüpfungen zwischen den Einheimischen und den Anderen. Die jüdischen Communities waren, so sie nicht verarmt oder Pogromen ausgesetzt waren, immer die Bindeglieder, Handelsleute, gesellschaftliche Upper-Class und haben diese Verbindungen auch gehalten, auch die Minderheiten, wie die armenische.  

„Bin noch in Tanger und darf nicht reisen. Therese.“
Inszenierung Brigitte Walk, Text Nadine Kegele, Ausstattung Sandra Münchow, Komposition Marcus Nigsch, Schauspiel Laura Mitzkus / Peter Bocek, Video Said Afifi, Cem Bariscan, Bouthaina Alila Fabach, Anna Fotiadou, Omnia Sabry / Sarah Mistura, Technik Matthias Zuggal, Bauten Roland Adlassnigg, Tourleitung Mareike Windorf, Produktionsleitung Beate Buchbaum / Philomena Juen / Suat Ünaldi, Fotos Mark Mosman; eine Produktion von walktanztheater.com 2019 in Kooperation mit Montforthaus Feldkirch

Vorstellungen
6.10., 11 und 18 Uhr; 7./9. und 10.10., jeweils 20 Uhr
Herbst 2019 – Herbst 2021: Tournee Wien – Theater Kosmos / Izmir / Jerusalem / Cairo, Alexandria …