Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Dagmar Ullmann-Bautz · 28. Mai 2010 · Theater

Alkohol, Tabletten und purer Egoismus

Kindesmissbrauch in seiner abscheulichsten Art wurde gestern am Vorarlberger Landestheater mit dem Stück „That Face – Szenen einer Familie“ aufs eindrücklichste vorgeführt. Das Erstlingswerk der blutjungen englischen Autorin Polly Stenham (geb. 1987) sorgte international für Furore.

Das Vorarlberger Landestheater spielt das Stück bereits seit einigen Wochen als Schüleraufführungen. Jetzt steht es im Abendprogramm und begeistert. Der tiefschwarze Humor, der bei Jugendlichen sicher gut ankommt, hat gestern beim vorwiegend erwachsenen Publikum jedoch nur wenig Widerhall gefunden. Zu sehr berührt und erschüttert die Geschichte, erzeugt sprachloses Staunen und Betroffenheit.
Der 18 jährige Henry kümmert sich, nachdem der Vater das Weite gesucht hat, seit fünf Jahren um seine alkohol- und tablettensüchtige Mutter, die ihn mit Haut und Haaren vereinnahmt, während sie ihre 13-jährige Tochter einfach nur ablehnt – aus Eifersucht, weil auch Mia ihren großen Bruder brauchen würde. Die Jugendlichen im Stück sind seelisch gequält und missbraucht, was dazu führt, dass sie den Schmerz, den sie erleiden müssen, überall dort weitergeben, wo sich ihnen Möglichkeiten bieten. Eine Konstellation, die Gänsehaut verursacht.

Tolle Schauspieler und sorgfältige Regie

Gundula Rapsch, ein bekanntes Gesicht aus verschiedensten TV-Serien und Fernsehfilmen, beeindruckt mit ihrer Darstellung der Mutter Martha. Sie verleiht ihrer Figur ein großes emotionales Spektrum - egal ob sie hyperventiliert, bettelt oder schwerst betrunken ist, Rapsch überzeugt in jeder Sekunde. Mühelos besteht der junge Schauspieler Alexander Julian Meile neben der erfahrenen Kollegin. Meile als Sohn Henry berührt und macht wütend zugleich. Ganz genau stellt er dar, zeigt kleinste Regungen, wechselt gewandt zwischen verletzlichem Kind und sorgendem Mann. Olga Wäscher verleiht dem 13-jährigen Mädchen Mia genau die richtige Dosis an Unbekümmertheit, jugendlicher Aggression und Verletzlichkeit, während Katrin Hauptmann als Freundin Izzy alle Register an unschuldiger Hinterhältigkeit zieht. Es ist nicht leicht für Jens Ole Schmieder, der als Vater erst spät im Stück dazu kommt, auf diesen mächtig rollenden Zug aufzuspringen. Schließlich schafft es Schmieder die Zerrissenheit zwischen Hilflosigkeit und dem Wissen, die Dinge unbedingt in die Hand nehmen zu müssen, und dies als abgebrühter Broker, recht eindeutig zu vermitteln.  Das junge Talent Bernadette Fessler vom Jugendclub des Landestheaters bewährte sich als Alice, das von Mia und Izzy missbrauchte Mädchen.

Enge familiäre Welt



Regisseur David Penn hat dieses Ensemble mit sehr feiner Hand und größter Sorgfalt geführt. Er setzt nicht auf Effekthascherei, sondern auf die emotionale Wirkung der Worte und die darstellerischen Fähigkeiten der Schauspieler. In dem sehr reduzierten und äußerst praktikablen Bühnenbild von Paul Lerchbaum und den stimmigen Kostümen von Clarisse Maylunas schuf Penn eine enge familiäre Welt, wie sie  in unterschiedlicher Schattierung vielen bekannt und von den meisten verdrängt sein dürfte.  Zwei Stunden lang fordert er das Publikum heraus, macht es wütend und rührt zu Tränen. Mit langanhaltendem Applaus dankte es dem Ensemble für einen äußerst eindrücklichen Theaterabend.