Soap&Skin begeisterte am ausverkauften Dornbirner Spielboden (Foto: Stefan Hauer)
Fritz Jurmann · 11. Okt 2025 · Musik

Tasten-Tsunami über St. Karl

Der Tiroler Pianist und Organist Michael Schöch wurde zum gefeierten Star der Hohenemser Chor- und Orgeltage.

Das war am Freitagabend in der Pfarrkirche St. Karl Borromäus ohne Zweifel das, was man einen fulminanten Auftakt für die 34. Ausgabe der Hohenemser Chor- und Orgeltage heißen darf. Im Mittelpunkt dieser atemlosen fünfviertel Stunden steht mit dem Tiroler Michael Schöch ein einsamer Einzelkämpfer, der zwischen Klavier und Orgel einen Tsunami an virtuoser Tastenkunst entfesselt, die einen uneingeschränkt in Bann schlägt. So sehr, dass man am Ende nicht mehr weiß, sollte man ihm nun die Palme für sein hasardierendes Spiel am Bösendorfer im Altarraum überreichen oder doch für seine grandiose Beherrschung und Erweckung der erweiterten Gollini/Edskes-Orgel auf der Empore. Er hätte ohne Zweifel beides verdient und erhielt es als Star dieses Festivals auch spontan in Form von Standing Ovations eines begeisterten Auditoriums.

Solokünstler in besonderer Funktion

Wer ist nun dieser 40-jährige, so wunderbar natürlich und entspannt wirkende Musiker, der gleich nach seinem Debüt hier im Vorjahr zusammen mit dem „Rheingold Quartett“ schon im Folgejahr 2025 von den beiden erfahrenen Kuratoren Christoph Wallmann und Peter Amann wieder zu ihrem Festival nach Hohenems engagiert wurde, diesmal als Solokünstler in besonderer Funktion? Michael Schöch studierte bei Prominenz in Innsbruck, München und Salzburg, war ARD-Preisträger, gestaltete in seiner engeren Heimat bereits einen Zyklus aller 32 Beethoven-Klaviersonaten, leitet seit 2015 eine Orgelklasse am Innsbrucker Konservatorium und ist seit heuer auch Chef des internationalen Paul-Hofhaimer-Wettbewerbs in Innsbruck.
Das Erstaunlichste bei ihm ist freilich sein Alleinstellungsmerkmal, dass dieser Musiker das umfangreiche Klavier- wie das Orgelrepertoire in gleichem Umfang wie aus dem Effeff auf höchstem Niveau beherrscht und dafür auch bereits international mit Preisen und Auszeichnungen geradezu überhäuft wurde. Diese verblüffende Doppelbegabung auf zwei allein in ihrer Klangerzeugung und Spieltechnik so unterschiedlichen Instrumenten ermöglichte also auch an diesem Abend den direkten und unmittelbaren Vergleich, thematisch verbunden durch die geistige Klammer des auf Töne umgesetzten berühmten Namensmotivs des großen B-A-C-H mit manchen daraus entstandenen Bearbeitungen. Ein faszinierendes Konzept, das in seiner Vielfalt und Konsequenz gefangen nahm und trotz seines eigentlich etwas sperrigen Inhalts immerhin weit über einhundert Interessierte an diesem Abend in die Kirche zu locken vermochte. Sie hatten alle ihr Kommen nicht zu bereuen, wie die angeregten Diskussionen anschließend auf dem Kirchplatz zeigten.

Bewältigung der Logistik

Zunächst einmal war für die Veranstalter die Bewältigung der Logistik und deren Finanzierung ein Problem, denn nur durch das Zusammenwirken vieler guter Geister im Umfeld war es möglich, einen ausgezeichnet intakten, gut intonierten riesigen Bösendorfer in den Altarraum der Kirche zu transportieren. Michael Schöch fühlt sich dort auf Anhieb sichtlich wohl und beginnt publikumsfreundlich mit Bachs „Epidemischer“, das ist dessen „Toccata und Fuge in d-Moll“, BWV 565, die ihrer unglaublichen Popularität wegen bis hin zum Telefon-Klingelzeichen scherzhaft so geheißen wird. Er spielt das original für Orgel komponierte, extrem virtuose und effektvolle Werk in einer Klavierfassung von Max Reger, die den oft vorgeschriebenen Manualwechsel durch dynamische Abstufungen erreicht, sonst aber in Verehrung für Bach ganz nah am Ursprungswerk bleibt. Schöch lässt sich auch durch die großräumige Akustik der Kirche nicht von einem straffen Tempo dieses Sakral-Hits abhalten, was natürlich etwas auf Kosten von Klarheit und Sauberkeit geht – beeindruckend bleibt es allemal.
Mit einer gehörigen Portion Unerschrockenheit stürzt sich Schöch dann in das fast halbstündige ,Monster‘ eines Variationenwerks, das als Regers bedeutendstes, auch spektakulärstes Klavierwerk gilt und vom Interpreten alles an technischen Finessen, an romantischer Farbgebung und auch an einer gehörigen Portion Kraftentfaltung fordert, dem der stählerne Flügel locker standhält. Erst als sich nach vierzehn Variationen in den verschiedensten Formen und Ausdrucksmöglichkeiten alles in einer monumentalen Doppelfuge rundet, ist die Welt wieder in Ordnung, der Pianist aber kein bisschen geschafft.

Orgel im ersten Stockwerk

Denn nun geht es für ihn einen Stock höher, auf die Empore zur prächtigen traditionellen Gollini-Orgel von Hohenems, die nach ihrer Restaurierung durch die Schweizer Firma Edskes vor zwei Jahren noch sehr an Glanz und Farbreichtum des Pleno gewonnen hat. Schöch stellt ein Schlüsselwerk Johann Sebastian Bachs an den Beginn, seine berühmte „Passacaglia und Fuge c-Moll“, BWV 582, die wie ein Klangmonument mächtig im Kirchenraum entsteht. Über einem ehernen achttaktigen ostinaten Bassfundament zeigt sich Bachs unerschöpfliche Fantasie in 20 Variationen, denen Michael Schöch mit der Vielstimmigkeit der Register und Klangkombinationen lebendige Gestalt verleiht, selbst bei einstürzenden Klangkaskaden mit der Präzision eines Uhrwerks stets streng im Metrum des Pedals verharrend. Auch hier endet das Werk in einer kunstvollen Fuge mit dem Schlussakkord C-Dur.                  
Und erst hier, gegen Ende seines Programms, wird Michael Schöch seinem selbstgewählten Motto gerecht, „Faszination B-A-C-H“, wohl um die Zuhörer:innen intellektuell nicht zu überfrachten. Als verspielte romantische Charakterstücke, langsam sanft und perlend schnell, präsentiert er zwei Beispiele aus Robert Schumanns „Sechs Fugen“, op. 60, seinem einzigen Orgelwerk, das nichts als dieses Thema B-A-C-H in kunstvollen Verarbeitungen zum Inhalt hat.

Ins Volle greifen

Nach dieser kleinen Verschnaufpause greift Schöch nochmals ins Volle, zelebriert mit „Fantasie und Fuge über B-A-C-H“ von Franz Liszt einen Klangkosmos von kaum glaublicher Intensität und Virtuosität, wie er nun wie in Wellenbewegungen über dem Publikum zusammenbricht. Dabei besticht die gewagte, weit in die Zukunft reichende spätromantische Harmonik des Werkes ebenso wie die verschleierten, wie von Ferne klingenden Einschübe, die der Organist dem Schwellwerk entlockt.
Seine Zugabe ist eine auch bei der Schubertiade von Pianisten gern verwendete, Bachs Choralvorspiel „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ in einer Klavierbearbeitung wieder von Max Reger. Damit ist alles gesagt.   

Weitere Konzerte der Hohenemser Chor- und Orgeltage:
Sa, 11.10., 19.30 Uhr: „Orgel plus Schlagwerk“ (Johannes Hämmerle, Wolfgang Wehinger, Mathias Schmidt)
So, 12.10., 18 Uhr: „Renaissance-Gesang und Jazz-Saxophon im Dialog“ (Mitglieder des „ensembles cantissimo“ Konstanz, Leitung und Orgel: Markus Utz) 
Pfarrkirche St. Karl

www.orgeltage.at/