Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Mirjam Steinbock · 29. Jun 2015 · Tanz

Und im Spiegel der Notausgang – Natalie Fend und Jan Sutter überzeugen und berühren bei der Premiere der Tanz- und Musik-Performance „FeMale“ am Dornbirner Spielboden

Das Kollektiv „Tangent.COLLABORATIONS“ wird seinem Namen gerecht: es geht um Berührungslinien. Um Annäherungen und Schnittstellen. Zwischen verschiedenen Künsten und spezifischen Themen. Natalie Fend ist Mitgründerin des Kollektivs und landet mit „FeMale“, ihrer ersten großen Produktion, gleich mal einen Coup. Der Abend ging unter die Haut, der Applaus war nicht enden wollend und genau dies gönnt man einem Projekt, das von so vielen KünstlerInnen klug in Szene gesetzt wurde. Der Appell des Abends schien kristallklar: sei mutig und entdecke Dich selbst!

Bei FeMale geht es um geschlechtsbezogene Identitäten und um die Krisen, die daraus entstehen können. Tatsächlich wird am Premierenabend der Tanz- und Musikperformance mit dazugehörender Ausstellung umarmt, was das Zeug hält. Denn nicht die Unterschiedlichkeit von Mann und Frau und vom jeweils Typischen oder Atypischen wird unterstrichen, sondern das Naheverhältnis wird ins Zentrum gerückt. Dabei machen sich alle an diesem Gesamtkonzept beteiligten KünstlerInnen den Faktor Zeit zunutze. Beim Zuschauen der Performance des Duos Fend/Sutter, dem Betrachten der Bilder Edgar Leissings, beim Lesen der Gedichte Natalie Fends und beim Lauschen der Soundscapes von Alina Rosalie Amann lässt man sich gern hineinziehen in eine Welt der bewußten und langsamen Entdeckung. Dahinter steht ein kluges räumliches Konzept mit entzückenden Details. Auf den ersten Blick macht das die Aufnahme der Themen männlich & weiblich, zusammen & allein, glücklich & traurig, entfernt & nahe attraktiv und sie scheint leicht, bei näherer Betrachtung entfaltet sich deren Tiefe und Bedeutsamkeit. Sehr geschickt wird man so eingefädelt und sieht sich schon verstrickt in die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen und Klischees. Man darf dies als Angebot betrachten und wird als ZuschauerIn nicht vorgeführt, man kann sich sowohl im Betrachten des Dargestellten als auch im Eigenen bewegen. Ohnehin ist man gern Gast dieses Abends, der charmant und souverän von den KünstlerInnen geführt wird.

Spürbare Entwicklungszeit


Rund drei Jahre ist Natalie Fend bereits mit der Entwicklung dieses Stücks beschäftigt. Man spürt diese Zeit der intensiven Rechereche und die Konsequenz der Künstlerin, bereits Eingeflochtenes  wieder zu entweben und in der Darstellung präzise zu bleiben. Was ihr mit der Unterstützung des Musikers Jan Sutter auch vollends gelingt. Man stellt sich schon die Frage, wie Natalie Fend es schafft, so blank zu ziehen und die Identitätssuche derart verletztlich und ehrlich darzustellen. Vielleicht ist es hilfreich, dass sie das Stück am Boden beginnt und das schwarze Kostüm sie zumindest am Anfang beinahe vollständig bedeckt. Bühnenmittig hinter ihr befindet sich eine kleine Empore mit einigen Requisiten sowie einem Spiegel, in dem – nicht von allen Plätzen sichtbar – das Notausgangschild grün leuchtend erkennbar ist. Der Musiker befindet sich mit seinem technischen Equipment gut sichtbar auf der Bühne, auch hinter ihm ist ein Spiegel aufgebaut. Was dann aus einer Stille heraus beginnt, gleicht einer Metamorphose, die sich im Zentrum der Bühne im Lichtkegel abspielt. Natalie Fend zittert und windet sich, begleitet von einer fast zärtlich angelegten elektronischen Klanglandschaft. Der Tanz gewinnt an Kraft und die Tänzerin verlässt die in konzentrischen Kreisen angelegten Bewegungen. Der innere Kreis wird verlassen, sie nimmt Raum ein, entledigt sich ihres Kostüms, steht mit dem nackten Rücken zum Publikum und gibt ihm wiederum viel Zeit, ihre sehr starke Rückenpartie wahrzunehmen. Was folgt, ist ein Muskelspiel, der Tanz mutet martialisch, kämpferisch an und mündet in der Eroberung der Empore, einer Kleinbühne, auf der die Tänzerin in High Heels schlüpft, sich eine Perücke aufsetzt, sich schminkt, und auf einem imaginären Catwalk zum Publikum läuft. Sich präsentiert, dann zurück geht, sich umzieht, die Perücke wird zum Schamhaar, sie läuft nur in einem Highheel. Das Posing zum Publikum perfekt als Show, der Gang zur Empore unperfekt und wacklig, aber gerade in dieser Mischung und Disharmonie unglaublich stimmig. Mittlerweile ist die Bühne pinkfarben ausgeleuchtet, zwei Diskokugeln verstärken den Glitzereffekt, eine farbig-schillernde Show. Beinhahe hätte man Jan Sutter vergessen, der sich mittlerweile ebenfalls schminkt, sich die Nägel lackiert und eine Reihe von Selfies mit seinem Computer macht. Und dann schiebt Natalie Fend die Empore auf die Seite und macht Platz für den Musiker, der auf seinem E-Bass ein Solo gibt. Danach geht sie zum Mikrofon und singt. Es sind zwei Stimmen zu hören, eine weibliche und eine männliche. Letztere gehört jedoch nicht zum Musiker, sondern entspringt ihr selbst. Das Ganze hat etwas Magisches, ist jedoch frei von jeglichem Kitsch.

Eine Perle im Tanz- und Performancezirkus

 

Und damit endet das Stück, lässt das Publikum tief bewegt zurück und bewirkt das, was Kunst eben vermag: das Eigene zu reflektieren. Der Performanceabend versprach in der Ankündigung viel und hat alles gehalten. Man hat sogar noch etwas mehr bekommen. Stücke und Konzepte wie diese sind rar geworden. Umso angenehmer sind Perlen wie solche, bei denen der Rhythmus stimmt, es einen dramaturgischen Bogen gibt, Nackheit Sinn macht, man erkennt, wo Tanz aufhört und Performance anfängt, bei denen sich Stille und Klang die Hand geben und man als Publikum Raum bekommt. Und doch gibt es etwas Kritisches zu bemerken: für das nächste Stück liegt die Latte weit oben.