Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Mirjam Steinbock · 10. Okt 2015 · Tanz

Niemand kann malen, ohne verletzlich zu sein. Und auch nicht tanzen. - „3times Joan“ im Kunsthaus Bregenz

„3times Joan“ ist das Gesamtwerk aus drei Soli junger Tanzschaffender aus Vorarlberg mit der Inspiration aus der Retrospektive Joan Mitchell im Kunsthaus Bregenz. Seit einigen Jahren öffnet das Kunsthaus Bregenz seine Türen dem regionalen Tanzschaffen und lädt junge wie etablierte KünstlerInnen zu Ausstellungen ein, bei denen man die Ergänzung von Tanz als logisch und sinnvoll erachtet. Bisher im Programm waren Aufführungen, offene Bühnen, Kuratorenführungen mit namhaften Vorarlberger Tanzpersönlichkeiten und Fotoshootings im Rahmen der Ausstellungen mit professionellen TänzerInnen und Ensembles aus dem In- und Ausland. Unterstützend holt sich das KUB bisweilen den Verein netzwerkTanz ins Boot. Die Verbindung von außen und innen ist somit hergestellt und mit Tanzabenden wie diesen kann das KUB sogar als temporäres Tanzhaus betrachtet werden. Etwas, das in der Region – neben einer ausbildenden Institution oder Hochschule für Bühnenkunst – noch immer fehlt. Gegen Ende der aktuellen Ausstellung, einer Retrospektive der amerikanischen Expressionistin Joan Mitchell, lud das Kunsthaus drei junge Tanzschaffende aus Vorarlberg dazu ein, mit der Inspiration aus der Ausstellung jeweils ein Tanzsolo zu präsentieren.

Die drei Soli sollten dann in ihrer chronologischen Präsentation zu einer Sinfonie in drei Akten zusammengefügt werden, wie Kunstvermittlerin Kirsten Helfrich es am Tanzabend erläuterte. Rund ein halbes Jahr hatten die eingeladenen TänzerInnen Carina Huber, Natalie Fend und Dominik Feistmantl Zeit für die Entwicklung. Zusätzlich zu dieser Carte Blanche erhielten sie die Möglichkeit, den künstlerischen Prozess an publikumsfreien Tagen im KUB stattfinden zu lassen. Mit den hohen Ansprüchen des Kunsthauses, jungen und werdenden KünstlerInnen einen Raum für Wachstum zu bieten und dabei der Qualitätsanforderung eines international beachteten Hauses gerecht zu werden, bot man den jungen Menschen den Wissens- und Erfahrungspool einer Tanzexpertin an. Man wählte dafür die bekannte Vorarlberger Choreografin Brigitte Jagg, die selbst schon im Kunsthaus auftrat.

Auftakt vor großem Kunst-Publikum


Der Einladung zum Tanzabend folgte ein großer Kreis tanzinteressierter und kunstaffiner Menschen. Man sah TanzkollegInnen, KünstlerInnen anderer Sparten, KuratorInnen, Kunsthaus-BesucherInnen und die an sämtlichen Tanzfestivals interessierten Menschen. Ein anspruchsvoller Kreis, der sich übrigens auch nicht von der Aufforderung abhalten ließ, den Applaus erst im dritten Stock zu geben, sondern stattdessen jedes Solo klatschend wertschätzte.

Die Soli waren entsprechend ihrer ProtagonistInnen mit deren jeweiligen Ausbildungen und Stilen vollkommen unterschiedlich. Carina Huber präsentierte ihres im ersten Stockwerk und gab damit den Auftakt in den Abend. Sie begann ihn liegend in einem mit Bodenmarkierungen versehenen Rahmen. Ihre Bewegungen durch den Raum begleitete ein Gedicht, das Joan Mitchell erst zehnjährig verfasste und das Carina Huber sowohl selbst vortrug als auch einspielen ließ. Die herausgelösten Textfragmente verdichteten sich immer mehr und nahmen damit Bezug auf die Gemälde, die sowohl aus einzelnen Strichen als auch aus Strich-Clustern bestehen. Carina Huber schaffte es, sich einen Raum zwischen den Zuschauenden zu schaffen und diese mit zu nehmen auf ihrer manchmal kindlich anmutenden Reise durch den mit großer Kunst behafteten Raum. Entgegen ihres eher klassischen Tanzhintergrunds sah man sie in einer Körperlichkeit, die nicht dem schönen Gehen, Rennen oder eben Tanzen entsprach. Vielmehr rührte sie in ihrer Unmittelbarkeit und ungeschönt wahren Art und Weise an, bei der man Tendenzen und Talente zum Theatralen und Überspitzten entdecken konnte. Es formte sich die Frage, ob Tanz die angestrebte Form für Carina Huber sein sollte oder ob nicht auch andere künstlerische Darstellungsformen dieser ambitionierten jungen Frau geradezu von selbst in ihr ausdrucksstarkes Gesicht, in ihre Hände und Arme zu fliegen scheinen. Was sie stark im Raum spürbar machte, war das umtriebige Suchen und Schaffen, dem sich KünstlerInnen stets auszusetzen haben.

Die Tonart macht die Musik


Einen weiteren Fakt der aufreibenden Kunstarbeit brachte Natalie Fend auf eindrückliche Weise im zweiten Stockwerk ins Zentrum: mit Lautstärke spielend trug sie die Aussage Joan Mitchells vor „Niemand kann malen, ohne verletzlich zu sein. Aber man muss sehr stark sein, um sich diese Verletzlichkeit erlauben zu können“. Beginnend im zuerst verdunkelten Stockwerk und rückwärts schreitend, unterteilte sie den Raum diagonal und bildete somit eine sich bewegende Parallele zur Zuschauerreihe. Dabei goss sie Wasser von einem Glas in das andere und wendete damit eine Methaphorik an, die sich stark in den Gemälden aus Mitchells zweiter Schaffensperiode widerspiegelte. Natalie Fend schaffte es ebenfalls, das Publikum mitzunehmen auf ihrem forschenden Weg, die Gemälde immer wieder betrachtend, sich drehend, inne haltend und extrem tanzend. Es schien, als ließe sie viel Persönliches einfließen. Besser, man ließ sich nicht blenden von ihrer zarten Stimme, ihrem sanften Gesang, ihrem gekonnt gesetzten Tanz, um nicht gleich einem von den Sirenen beeindruckten Segler Schiffbruch zu erleiden. In jedem Moment nämlich reflektierte Natalie Fend auf das eigene Denken und bot keine gut verdauliche Lösung aus dem künstlerischen Dilemma, das neben Aufruhr doch gleichsam Befriedigung und Ruhe mit sich bringen kann.

Allein der Körper reicht nicht aus


Im dritten Stockwerk, in der die letzte, sehr intensive Schaffensphase Joan Mitchells gezeigt wird, erwartete Dominik Feistmantl die Zuschauenden in einem Kopfstand mit angewinkelten Beinen, an der Wand lehnend. Er war vollkommen nackt, an den Füßen lediglich ein Paar Pumps, sein Kopf ruhte auf seinen Kleidungsstücken. Er ließ sich viel Zeit mit seinen minimalistischen Bewegungen, die sich in der Rückenpartie abspielten und den Blick auf das Zusammenspiel der Muskeln fokussierten. Sich langsam aufrichtend und einen goldenen Ring aus dem Mund spuckend, wendete sich Dominik Feistmantl dem Publikum zu, ging durch die Reihen, bot sein Schmuckstück an, beinahe verführerisch. Selbst im Moment des Ankleidens suchte er den Blickkontakt, streifte weiter durch das Publikum und ließ seine Bewegungen in einem wilden Tanz münden. Kein Zweifel, dass Dominik Feistmantl eine exzellente Tanzausbildung in Amsterdam genossen hat und über Können verfügt. Und doch fehlt an diesem Abend etwas, das den thematischen Bezug zur Ausstellung, zu Joan Mitchell und nicht zuletzt zum Kunsthaus herstellte. Wenngleich der junge Tänzer bereits über Präsenz verfügt, konnte er diese nicht gezielt einsetzen und die Zuschauenden halten. Es wirkte, als habe er sich nicht genügend mit dem Raum und den Gemälden auseinandergesetzt. Auch, ob er das Coaching-Angebot von Brigitte Jagg im Vorfeld angenommen hatte, blieb eine offene Frage. Im Gegensatz zu den beiden Tänzerinnen entwickelte er das Stück nicht vor Ort, sondern tat dies während einer Residenz in Frankreich. Der Umgang mit dem Raum machte einen entsprechend unbeholfenen Eindruck. Man wünscht dem jungen Mann sehr, langsam in das eigene künstlerische Schaffen eintauchen zu können und sich, wie Gesellen es in ihrem Handwerk tun müssen, Zeit zu nehmen auf dem Weg, ein Meister zu werden. Vielleicht war die Aufgabe auch eine zu große, die Erfahrung um das eigene Schaffen noch nicht reif genug oder es hätte einen intensiveren Austausch vor Ort gebraucht, um Fallstricke zu vermeiden.

Auf ein nächstes Mal


Der Drang, sich nach diesem Tanzabend auszutauschen, war ebenfalls groß. Man sah Menschen in Gruppen zusammenstehen und Einzelne, die sich noch im Stillen mit den Gemälden beschäftigten. Eine Führung im Anschluss hätte sicher den Nerv für ein noch umfangreicheres Verständnis und Mitfühlen für die Künstlerin, ihr Werk und ihr Leben getroffen. Oder ein langer Tisch im Foyer des KUB, an dem man sich bei Speis und Trank den Gesprächen um Persönliches und Künstlerisches hätte widmen können – im Dunstkreis all der Briefe, Fotos und Filme von und über Joan Mitchell. Vielleicht eine Anregung für ein nächstes Mal, das so oder so ähnlich hoffentlich bald wieder im Kunsthaus stattfinden wird.