Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Fritz Jurmann · 10. Okt 2015 · Musik

Gegen den Strich gebürstet - Die Regie bei Rossinis „Barbier von Sevilla“ am Musiktheater Vorarlberg wird zur Geschmacksfrage

2012, als beim Musiktheater Vorarlberg zuletzt Oper gespielt wurde, gelang mit Mozarts „Don Giovanni“ ein Haupttreffer auf allerhöchstem Niveau. Erwartungen, dass sich dies im dreijährigen Turnus, nach Operette („Die Csardasfürstin) und Musical (Evita), heuer mit Rossinis Oper „Der Barbier von Sevilla“ wiederholen würde, haben sich am Freitag in der Götzner Kulturbühne AMBACH nur zum Teil bestätigt.

Einer musikalisch fast durchwegs untadeligen Produktion in italienischer Originalsprache stand eine Regie gegenüber, die glaubte, die Gattungsbezeichnung „Opera buffa“ allzu wörtlich zu nehmen, damit den ohnehin in der Musik reichlich vorhandenen Spaß noch künstlich überhöhen und damit verlängern zu müssen. Dass dies mit oft untauglichen Mitteln geschah, ist letztlich eine Frage des (guten) Geschmacks und der Toleranz des Publikums, das das turbulente Geschehen ziemlich ungerührt über sich ergehen ließ und sich erst am Schluss zu kräftigem Beifall aufraffte. Dass das Stück anstelle der üblichen gut zwei Stunden hier über drei Stunden dauerte, ist auch der ungekürzten musikalischen Version geschuldet – ein paar Striche hätten gut getan. An dem letztlich etwas schalen Eindruck dieser Produktion konnte auch der fast körperlich spürbare Enthusiasmus des rund einhundertköpfigen Ensembles aus Profis und Amateuren nichts ändern.

Eigener „Barbier-Wein“


Nicht umsonst hatte die unermüdlich rührige MTVO-Präsidentin Maggy Hinterholzer bei ihrer traditionellen Begrüßung nicht nur den heurigen „Barbier-Wein“ mit einem von Paul Renner gestalteten Etikett vorgestellt, sondern auch viel Vergnügen „mit unserer Fassung des Barbier“ gewünscht. Ein vorsorglicher Hinweis darauf, was die aus Salzburg stammende und zuletzt als Assistentin bei Stefan Herheims polarisierender Inszenierung von „Hoffmanns Erzählungen“ bei den Bregenzer Festspielen tätig gewesene Regisseurin Magdalena Fuchsberger aus diesem Werk gemacht hatte.

Bleiben wir zunächst beim Positiven. In dieser Geschichte um die schöne Rosina, die anstelle ihres angejahrten Vormunds nach vielen Verwicklungen und Verkleidungen schließlich doch den geliebten Grafen Almaviva bekommt, zeigt Fuchsberger eine streng gearbeitete Personenführung, die sich eng an Rossinis Musik hält und dieser trotz aller Spassetteln zu ihrem Recht verhilft. Da ist in der ins Heute übertragenen Handlung auch deutliche Gesellschaftskritik an der Ich-Bezogenheit in unserer Zeit zu spüren, wenn die Macht des Geldes dominiert. Auch der Mut ist zu honorieren, den Beginn der Oper eine volle Stunde lang vor geschlossenem Vorhang auf der Vorderbühne rund um das Orchester spielen zu lassen, mit dem Rang als Rosinas Balkon und dem engagierten, originell verkleideten Chor samt Mann im Tutu und einem Conchita-Wurst-Klon als Aufputz. Originell auch der Einfall der Selbstpräsentation der Figuren in Video-Zuspielungen oder die neckischen Anspielungen der Herren, die symbolhaft ihre Männlichkeit demonstrieren.

Schmerzhafte Brüche im Ablauf


Dann aber greift die Regisseurin zusehends in die Substanz des Stückes ein und verändert etwa die Reihenfolge der Musik. Die „Gewittermusik“ erst im Finale, bei der Almaviva als Vampir sämtliche Chordamen umlegt, soll ein Hinweis darauf sein, wie es in der Fortsetzung der Geschichte bei Mozarts „Le nozze di Figaro“ in einer unglücklichen Ehe weitergeht. Das aber wird wohl kaum jemandem klar. Rezitative werden oft durch gesprochenes, manchmal auch deutsches Wort mit Barmusik-Untermalung ersetzt in einer Allzweck-Szenerie (Angelika Daphne-Katzinger), die zwischen Ankleidezimmer, Frisiersalon und Bar samt Pianist (Bernhard Oss) pendelt. Nicht umsonst ist das Logo der Produktion auch auf „BarBier“ getrimmt worden.

Sinatras „My way“ muss da herhalten, der „Rosarote Panther“ und sogar Rocco Granatas auf „Rosina“ umgetextetes „Marina“, bei dem Don Bartolo sich selbst auf dem Akkordeon begleitet. Das ist nun doch zu sehr gegen den Strich gebürstet, ergibt für den Opernfreund einigermaßen schmerzhafte Brüche im Ablauf, und diese schwer verdauliche Mischkulanz hat sich auch ein Rossini nicht verdient. Da ist vieles nur gut gemeint statt gut gelungen, oft intellektuell überzogen und wird auch vom Götzner Publikum, das wohl kaum einmal einen „Barbier“ im Original gesehen hat, mangels Vergleichs nicht honoriert.

Musik in hochkarätiger Qualität


Über alledem bleibt einem noch immer das Vergnügen, Rossinis leichtfüßige Musik zu genießen, die unter der kundigen Hand des musikalischen Leiters Nikolaus Netzer in hochkarätiger Qualität von der Bühne und aus dem Graben kommt. Das Orchester aus heimischen Kräften mit Konzertmeister Markus Kessler bringt auch die vielen heiklen Solostellen in Horn und Holz, die Presto-Einlagen der hohen Streicher fast immer sauber und makellos rüber. Auch die Balance stimmt in der Begleitung der Arien und der perfekt aufeinander abgestimmten Ensembles.

Die professionelle Besetzung der Hauptpartien, vier davon aus Vorarlberg, ist fast durchwegs erstklassig, stimmlich und spielerisch. Im Mittelpunkt natürlich als umschwärmte Rosina die heimische Sopranistin Nina Maria Edelmann, Gattin des Baritons Paul aus der Wiener Sängerfamilie, hierzulande noch bestens bekannt unter ihrem Mädchennamen Plangg. Eine tolle Bühnenerscheinung mit Persönlichkeit, einer Isabella Rossellini ähnlich, die sich auch glänzend bewegt und ihre dunklen Töne ebenso überzeugend ausspielt wie makel- und mühelose Koloraturen in der zentralen Bravour-Arie „Una voce poco fa“.

Stimmlich mit seinem beweglichen Bariton ebenbürtig, gibt der Tiroler Philippe Spiegel sein Rollendebüt. Als frecher tätowierter Hansdampf Figaro von erfrischender Jugendlichkeit trumpft er als die erfreulichste Erscheinung des Abends mit seiner berühmten Arie „Largo al factotum“ auf. Aus Hohenems stammt Riccardo Di Francesco, der als eleganter Bass-Buffo Don Bartolo ausdrucksstark agiert. Sein Gegenspieler und letztliche Sieger um die „Trophäe“ Rosina stammt dagegen aus Südkorea. Byoung-Nam Stefano Hwang braucht etwas Anlaufzeit, bevor sein nicht sehr großer, aber schön geführter Tenor auf Touren kommt, als Liebhaber bleibt er dagegen etwas unbeholfen. Der deutsche Bariton Till Bleckwedel hat seinen großen Auftritt als Musiklehrer Don Basilio mit der respektabel gemeisterten „Verleumdungsarie“.

In kleineren Partien gefallen der aus Übersaxen stammende Matthias Haid als Fiorello und die Schrunserin Iris Mangeng als Kammerzofe Berta, die 2012 erstmals beim MTVO mit dem „Leporello“-Stipendium ausgezeichnet wurde. Warum man ihr kurz vor Ende als Soloeinlage noch eine partiturfremde Mozart-Arie unterjubelte, der sie auch nervlich nicht ganz gewachsen ist, bleibt wohl für immer ein Geheimnis.

 

Weitere Aufführungen in Götzis, Kulturbühne AMBACH:

So, 11. Oktober, 18.00 Uhr
Mi, 14. Oktober, 18.00 Uhr
Sa, 17. Oktober, 19.30 Uhr
So, 18. Oktober, 18.00 Uhr
Gastspiel in Lustenau, Reichshofsaal:
Di, 20. Oktober, 20.00 Uhr

Dauer: 3 Stunden 15 Minuten