Fouad Boussouf mit einer österreichischen Erstaufführung des Stückes „Fêu“ zu Gast beim „Bregenzer Frühling“ (Foto: Antoine Friboulet)
Peter Füssl · 17. Mai 2015 · Tanz

Unbequemer Flamenco – Israel Galváns Nuevo Flamenco-Produktion über das Schicksal von Roma und Sinti während der NS-Zeit beim „Bregenzer Frühling“

Zu Recht gilt der mit Preisen und Auszeichnungen überhäufte 42-jährige Tänzer und Choreograph Israel Galván als einer der großen Erneuerer des Flamenco, der mit seinen abendfüllenden Stücken die Genregrenzen in vielerlei Hinsicht sprengt. So auch mit dem vor zweieinhalb Jahre uraufgeführten „Lo Real/Die Wahrheit“, das die Vernichtung der Roma durch die Nazis zum Thema hat. Dabei handelt es sich natürlich nicht um eine fortlaufende Geschichte, sondern um eine Aneinanderreihung von Bildern, die das zwiespältige Verhältnis der „Herrenmenschen“ zu den exotisch-folkloristisch reizvollen Gitanos und ihrem Flamenco aus unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten.

„As I search for a piece of kindness/and I find Hitler in my heart/from the corpses flowers grow/and I find Hitler in my heart“ – Antony Hegartys gespenstischer Song legt schon ganz am Anfang die Stimmung für das beinahe zweistündige Spektakel fest: stets lauert das Grauen hinter der pittoresken, mitunter sogar auch einmal witzigen Fassade. Israel Galván schiebt in schwarzer Uniformhose, die Hosenträger lässig herunterbaumelnd, ein völlig ramponiertes Klavier auf die Bühne, dessen Eingeweide am Schluss zum elektrisch geladenen Todeszaun mutieren werden, der den Menschen in den Todeslagern den Weg zur Freiheit versperrt. Stahlträger fungieren als harmlose Bühnenumrahmungen, aber auch als Eisenbahnschienen, auf denen die mit Menschen überfüllten Viehwaggons ins KZ rollen, oder als unüberwindbare Grenzpfosten. All das wird subtil eingeflochten, lässt sich oft mehr erahnen, als definitiv erkennen – und geht umso mehr unter die Haut.

Familiengeschichte, Riefenstahl, Todestango und Todesfuge

Galvans Interesse am Thema wurzelt in seiner Familiengeschichte, denn seine Eltern zählten als Gitanos, sein Vater zudem als Zeuge Jehovas, zu den Verfolgten. So rückt Galvan die Berührungspunkte zwischen Tanz und Tod ins Zentrum, oder vielmehr wird ums Überleben getanzt. Wie auch bei Leni Riefenstahl, die für ihren Film „Tiefland“ Sinti und Roma aus den Vernichtungslagern ankarren ließ und sie entgegen ihrer Versprechungen „nach Gebrauch“ als kostenlose Komparsen wieder umgehend dorthin zurückverfrachtete, wo später fast alle umkamen. Diese tragische Geschichte war eine weitere Inspirationsquelle für Galvan. Aber auch der „Tango Plegaria“ von Eduardo Bianco wird ins Stück integriert - auch „Todestango“ genannt, weil die Häftlinge in vielen KZs gezwungen wurden, ihn als makabre Begleitmusik zu Folterungen und Hinrichtungen zu spielen. Darauf nimmt auch Paul Celans erschütternde „Todesfuge“ Bezug, die in „Lo Real“ eine zentrale Position einnimmt. Für den musikalischen Part stützt sich Galvan auf die Flamenco-Sänger Tomás de Perrate und David Lagos und auf eine exquisite Band, die Flamenco ebenso perfekt daherzaubert wie dissonante Reibungsflächen und verstörende Geräuschkulissen als Ausdruck der Nazi-Gräuel.

Jenseits von Flamenco-Kitsch und bloßem Unterhaltungsanspruch

 

Verzweiflung, Angst, Leid und Schmerz  werden in „Lo Real“ also auf vielfältige Weise  zum Ausdruck gebracht - und natürlich getanzt! Galván lässt allen Akteuren viel Raum. Vor allem natürlich Isabel Bayón, die voller innerer Zerrissenheit den von den Nazis geforderten Klischee-Flamenco liefert, und Belén Maya, die mit dem Grauen des KZ-Lebens konfrontiert ist. Israel Galván selber macht deutlich, dass die Meinung mancher Kritiker, er tanze nicht Flamenco, sondern erfinde ihn neu, mehr als berechtigt ist. Mit unglaublicher Präzision und in atemberaubender Schnelligkeit präsentiert er sein Tanzvokabular, das mit dem Flamenco als Basis auch aus anderen zeitgenössischen Tanzstilen schöpft, verblüfft mit einer Art Bodypercussion und lässt zu Anfang  – wohl ironisch auf die Nazi-Welt anspielend -  sogar ein paar Schuhplattler-Bewegungen einfließen. Von Flamenco-Klischees ist dieses Stück natürlich meilenweit entfernt, was so manchen Zuschauer eher ratlos zurücklässt, zumal ernsthafte Auseinandersetzungen mit nach wie vor brisanten politischen Themen in diesem Genre klarerweise die ganz große Ausnahme sind. Umso bemerkenswerter ist es, dass Israel Galván für „Lo Real“ letztes Jahr mit dem wichtigsten spanischen Theaterpreis, „Premios Max“, in gleich in drei Kategorien ausgezeichnet wurde. Ein paar kleine Straffungen hätten dem Gesamteindruck von "Lo Real" aber vermutlich nicht geschadet.

Finale des „Bregenzer Frühling“ 2015
Trajal Harrell
„Antigone Sr./Twenty Looks or Paris is Burning at The Judson Church“

Fr, 22.5.2015, 20 Uhr
Festpspielhaus Bregenz
www.bregenzerfruehling.at