Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 31. Mär 2012 · Tanz

Perfekt getanzte Bilder zu Liebe, Leben und Vergänglichkeit – Das Nederlands Dans Theater 1 sorgte für einen fulminanten Auftakt beim „Bregenzer Frühling“

Dass das bereits 1959 gegründete Nederlands Dans Theater 1 nichts an kreativem Schwung und Experimentierfreude verloren hat und zurecht zu den Top-Compagnien des zeitgenössischen Tanzes gezählt wird, stellte die Den Haager Truppe im bis auf den letzten Platz ausverkauften Bregenzer Festspielhaus wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis. Das ist nicht zuletzt dem brillanten Choreographen-Duo Paul Lightfoot und Sol León zu verdanken, das in den letzten zwanzig Jahren mehr als vierzig aufsehenerregende Produktionen für das NDT geschaffen hat. Mit „Sehnsucht“ und „Schmetterling“ standen zwei von der internationalen Kritik hochgelobte, neuere Stücke auf dem Programm.

Beziehungskiste wortwörtlich ins Bild gesetzt


Silas Henriksen, Parvaneh Scharafali und Medhi Walerski sind die hervorragenden Solisten der 2009 uraufgeführten 25 Minuten-Produktion „Sehnsucht“. Zu dramatisch bewegenden Klängen aus Beethovens Klavierkonzerten Nr. 3 und 4 und aus seiner  5. Sinfonie lassen Lightfoot/León getanzte Bilder zur Liebe und zu deren Vergänglichkeit entstehen, die vor allem durch das außergewöhnliche Bühnenbild an Eindrücklichkeit gewinnen. Ein Paar bewegt sich in einem über dem Bühnenboden aufgehängten langsam rotierenden, als kleines Wohnzimmer eingerichteten Würfel und kommuniziert manchmal mit einem außerhalb dieses Würfels tanzenden Mann. Es entstehen eindrucksvolle Bilder von Nähe, aber auch des Auseinanderdriftens. Manchmal erinnert der rotierende Würfel an ein Hamsterrad, in dem die Akteure gefangen sind, klaustrophobische Gefühle kommen hoch, das breite Spektrum an Emotionen wird in dieser wortwörtlich genommenen Beziehungskiste eindrucksvoll ins Bild gesetzt. Und wenn durch die Drehung des Zimmers buchstäblich „schräge“ Perspektiven entstehen, entfernen sich auch die Bewegungen der Akteure immer weiter vom klassischen Bewegungsrepertoire und gewinnen zunehmend an Schrägheit. Manchmal ist auch akrobatisches Geschick gefragt, wenn das Zimmer und die Gefühlswelt sozusagen auf dem Kopf stehen und es darum geht, sich trotz aller Freiheitssuche gegenseitig zu stützen, um nicht auch noch den letzten Halt zu verlieren.

„Schmetterling“ – getanzte Todesvisionen


Für die 2010 entstandene Produktion „Schmetterling“ ließen sich Lightfoot/León von der tragischen Geschichte ihres Solisten Medhi Walerski inspirieren, der vor der Uraufführung ein Sabbatical einlegte, um seine todkranke Mutter in ihrem letzten Lebensabschnitt zu begleiten. Hier geht es also um den Schmetterling und seine Metamorphose in seinen unterschiedlichen mythologischen Bedeutungen als Todesbote, aber auch als Symbol für Wiedergeburt und Unsterblichkeit, oder für die Seele selber, die mit Hilfe von Schmetterlingsflügeln in die Freiheit entschwinden kann. Auch auf der Bühne tanzt Walerski nun mit seiner mittels grauen Haarsprays zur alten Frau gestylten Partnerin dem Tod entgegen, was aber keineswegs tragisch melancholisch vonstatten geht. Vielmehr bieten die vierzig Minuten ein Feuerwerk aus grandiosen Soli, Pas de deux, Trios und Ensemblepassagen, in denen die erstklassigen Tänzerinnen und Tänzer ihr riesiges Repertoire an zeitgenössischem Bewegungsvokabular präsentieren. Trotz aller Todessymbolik geraten manche Passagen durchaus witzig, was vor allem auch den skurrilen Texten einiger Lieder aus den genialen, 1999 erschienen „69 Love Songs“ der Indie-Pop-Band Magnetic Fields zu verdanken ist. Wer aber mit einem hoffnungsfrohen Ausblick rechnet, wenn sich ein schwarzer Vorhang nach dem anderen hebt und den Blick auf ein gewaltiges, von vereinzelten Sonnenstrahlen durchsetztes, dramatisches Wolkenpanorama freigibt, hat sich zu früh gefreut. Denn auch dieses strahlend eindrucksvolle Bild wird wie ein Vorhang  weggeschoben und legt schließlich ein schwarzes Universum frei. Der Tod gibt seine letzten Geheimnisse nicht preis. Grandioses Finale eines eindrucksvollen Tanzabends. Dieser „Frühling“ hatte schon mal einen perfekten Start und lässt noch Großes erwarten!


Weiter Aufführung: 31.3.2012, 20 Uhr, Festspielhaus Bregenz
www.bregenzerfruehling.at