Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Dagmar Ullmann-Bautz · 14. Aug 2010 · Tanz

Einsam zappelt der Mensch

Alain Platels Produktion „Out of Context – For Pina“ wurde am Freitag auf der Werkstattbühne des Festspielhauses im Rahmen der "KAZ - Kunst aus der Zeit"-Schiene der Bregenzer Festspiele gezeigt. Die belgische Tanzgruppe „les ballets C de la B“ löste damit sowohl Begeisterung als auch Irritation und Unverständnis aus.

Nachdem der Choreograph Alain Platel in den letzten Jahren mit dem Genre Oper flirtete und eher opulente Bühnenwerke mit Livemusik und Sängern präsentierte, kehrte er mit seiner jüngsten Performance „Out of Context – For Pina“ zu seinen Wurzeln zurück. Das Tanzstück, das in erster Linie auf die Körperkunst der Tänzer setzt, kommt ohne Kostüme, ohne Bühnenbild, mit reduzierter Musik und Geräuschen aus. Sechs Tänzer und drei Tänzerinnen kommen in  Alltagskleidung auf die Bühne, legen alles bis auf die Unterwäsche ab und hüllen sich in Decken. Zwei Mikroständer mit Mikrophon stehen im Raum.

Berührendes und Abstoßendes



Hysterische Bewegungsabläufe, Fragmente, kleine Geschichten über Begegnungen, Annäherung und Entfernung, über Einsamkeit inmitten vieler Menschen beherrschen den Abend. Achtzig Minuten lang erlebt der Zuschauer kollektive Ausgelassenheit neben individueller Einsamkeit, Berührendes neben Abstoßendem. Eingeflochten in die einzelnen Szenen, immer wiederkehrend, ist die Entstehung des Menschen – Evolution, Begattung, Schwangerschaft, Geburt.



Ausdrucksstarke Körperlichkeit


Platel, der einige Jahre als Heilpädagoge mit Kindern mit Behinderung gearbeitet hat, verwendet mit größtem Respekt die Körpersprache von Menschen mit Behinderung. Dies ist - in dieser Form - für manche Zuschauer peinlich und befremdend. Die Stücke von Alain Platel kann man nicht einfach nur anschauen und genießen. Zum Genuss werden sie erst, wenn man sich eingehend damit beschäftigt, wenn man sich einlässt und zulässt. Nicht nur mit seinen Tänzern geht er bis an die Grenzen des Möglichen, er verlangt auch dem Zuschauer einiges ab.
Die Unterschiedlichkeit der Tänzerinnen und Tänzer fasziniert, ihre auffallende und prägnante Individualität, die ausdrucksstarke Körperlichkeit mit höchst differierender Persönlichkeit.
„les ballets C de la B“ präsentiert modernen Tanz, der den Menschen ganz tief im Innersten berührt, auf archaischste Weise direkt das Nervenzentrum des Zuschauers zum Vibrieren bringt, aufwühlt. 

Schön, lustig, aufreibend …



„Out of Context – For Pina“ ist eine Hommage an die 2009 verstorbene Pina Bausch, der Choreografin, die im letzten Jahrhundert begonnen hat, Tanz mit anderen Genres zu mischen und eine ganz eigene zukunftsweisende Bühnensprache entwickelte.
"Out of Context – For Pina“ ist anmutend schön, wenn sich die TänzerInnen ganz langsam aus ihren Decken schälen, schlüpfen wie Küken, mit großer Eleganz und Körperbeherrschung.
„Out of Context – For Pina“ ist in vielen Momenten unglaublich berührend, wenn zwei sich annähern, beschnuppern, aber einer immer alleine ist.
„Out of Context – For Pina“ ist auch wahnsinnig amüsant, wenn die TänzerInnen im Technofieber raven, sich jeder versucht  aufs einmaligste zu präsentieren, sich aufbläht, körperlich schwadroniert.
„Out of Context – For Pina“ ist aufreibend mit seinen hysterischen Bewegungsabläufen, um dann gleich wieder mit kleinen sehr langsamen Movements zu beruhigen.
„Out of Context – For Pina“ irritiert und verunsichert, wenn spastische, vermeintlich unkoordinierte Bewegungsabläufe die Szene dominieren.
„Out of Context – For Pina“ lässt lächeln und begeistert, wenn die Tänzer sich auf und unter ihren Decken in Babies verwandeln, mit einer Großartigkeit neun kleine eigenständige Individuen präsentieren.

Kunst aus der Zeit bringt mit „les ballets C de la B“ ein international gefeiertes Ensemble nach Bregenz, mit Alain Platel einen der führenden, stilbildenden Choreographen unserer Zeit.