Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Peter Füssl · 08. Mai 2016 · Tanz

Buddhismus trifft auf amerikanischen Minimalismus - Shen Wei verzaubert beim „Bregenzer Frühling“

Der 1968 in Hunan, China geborene und seit 1995 in New York lebende Choreograph, Tänzer, Künstler und Designer Shen Wei präsentierte bei seiner Österreichpremiere im Bregenzer Festspielhaus zwei seiner wichtigsten Stücke: das 2005 uraufgeführte „Map“ und das um drei Jahre ältere „Folding“. Dabei wurde rasch klar, dass sich das Schaffen des genialen Multitalentes selbst in diesem an unorthodoxen Ideen so reichen Genre noch jenseits aller gewohnten Kategorien bewegt.

„Map“ - ungewohnt lockere, fließend-weiche und dennoch präzise Bewegungen

 

Fünf riesige, in Schwarzweiß gehaltene und mit kryptischen Zeichen bemalte geometrische Körper entpuppen sich als Ballons und schweben zur Saaldecke, um den Blick auf zwölf Tänzerinnen und Tänzer freizugeben, die zu Steve Reichs „The Desert Music“ höchst eigenwillige Tanzbewegungen vollführen. Ob solistisch oder in unterschiedlich großen Gruppen, stets bewegen sich die Akteure auf eine ungewohnt lockere, fließend-weiche und dennoch präzise Art und Weise, verzichten auf alles Schroffe, auf gewagte Sprünge oder extreme Verrenkungen. Es passiert nichts Dramatisches, und dennoch ist es außerordentlich spannend, mit welchem Einfallsreichtum und unorthodoxen Tanzvokabular das 1983 entstandene, durchaus mitreißende Chor- und Orchesterwerk des Minimal Music-Papstes in Bewegungen umgesetzt wird. Vor dem Hintergrund eines an die Zen-Kunst erinnernden Bühnenbildes gelingt Shen Wei hier die geniale Verbindung von scheinbar fast schon spielerisch einfachen Elementen mit seiner hochkomplexen Ideenwelt, in der es unter anderem darum geht, reale, aber auch geistige Räume durch Bewegung zu vermessen.

Folding – eine mystische, von Aliens bewohnte Traumlandschaft

 

In „Folding“ lässt Shen Wei seine Compagnie, aber auch das Publikum für eine gute halbe Stunde in eine surreale Phantasiewelt eintauchen, deren Bilder sich gleichermaßen aus archaischen fernöstlichen Kulturen, antiken Dramen und Science-Fiction-Welten zu stammen scheinen. Anfangs tippeln die in schwarze und rote Kleider mit langen Schleppen gehüllten Figuren noch einzeln, zu zweit oder in Gruppen durch den Raum, als vollzögen sie wie ferngesteuert irgendwelche unbekannten Rituale. Dieser Eindruck wird durch die von buddhistischen Sprechgesängen durchsetzte, 2002 geschriebene Komposition „Last Sleep of the Virgin for Bells and String Quartet“ des englischen Komponisten John Tavener verstärkt, dessen Werke auf theologischen und spirituellen Überlegungen basieren. Dann aber formieren sich die Akteure mit ihren Coneheads zu absurden Zweierteams und durchmessen, ihr Aussehen permanent in neue Fabelwesen verändernd, in Zeitlupe den Raum. Mystische Geschöpfe aus fernen Zeiten? Aliens aus unbekannten Welten? – Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Schließlich finden sie sich auf einer Lichtinsel wieder, wo sie – in wunderbaren Spiegelungen verdoppelt – wie Seeanemonen den Bewegungen eines unsichtbaren Meeres zu folgen scheinen. In „Folding“ demonstriert Shen Wei eindrücklich sein Multitalent, denn er zeichnet auch für Bühnenbild, Kostüme, Make-up und Light-Design dieses fast schon magisch wirkenden Stückes verantwortlich.

Der begeisterte Applaus des Publikums machte klar, dass man gerne noch mehr von Shen Wei sehen würde, der mit seiner vor 16 Jahren gegründeten Compagnie in den angesehensten Häusern und auf den renommiertesten Festivals gastiert, aber – wie etwa bei der Eröffnung der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking – auch ein Millionenpublikum zu begeistern versteht.