Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Mirjam Steinbock · 24. Apr 2016 · Tanz

Blüten aus Nahost - Neun TänzerInnen ziehen mit „Badke“ das „Bregenzer Frühling“-Publikum von den Sitzen

Sie rufen, sie lachen, sie trillern und stampfen, sie drehen sich, sind mal am Boden und im nächsten Moment schon wieder auf den stampfenden Füßen; sie verschmelzen im Duo, vereinen sich mit der Gruppe und treten genauso klar als Individuum auf – die meiste Zeit jedoch scheinen sie springend in der Luft zu verbringen, die neun palästinensischen TänzerInnen der belgischen Tanzkompanie „C de la B“. Und das ganze siebzig Minuten lang. Der orientalische „Dabke“ bildet den rhythmischen Teppich für eine sehr zeitgemäße Interpretation dieses Volkstanzes und die TänzerInnen geben Elemente aus dem Hip Hop, dem zeitgenössischen Tanz, dem Ballett, der Artistik, dem Bauchtanz und dem Capoeira mit ein. Die Stile verschmelzen auf organische Weise in einer ungeheuer rasant umgesetzen Choreografie und verwandeln den vorwiegend auf Festen getanzten Volkstanz „Dabke“ damit in die moderne Bühnentanzfassung „Badke“.

Mitschwingen und entgegenwirken


Das Stück beginnt in Dunkelheit und in Ruhe. Zuerst nimmt man die Gruppe akustisch im Gesamten wahr - über ihre Stimmen, ihr Stampfen und ihr Juchzen. Im aufhellenden Licht werden schließlich sie selbst sichtbar, es sind vier Frauen und fünf Männer in moderner Kleidung, die für einen besonderen Anlass gewählt scheint. Sie stehen in einer Linie, mit dem Rücken zum Publikum gewandt, bis sich eine Tänzerin aus der Gruppe löst, sich umdreht und beginnt, zu tanzen und ihr dann eine weitere Tänzerin synchron in den Bewegungen folgt und damit einen Impuls für die anderen gibt, einzufallen in einen Tanz, der in verschiedenen Konstellationen allein, zu zweit, in einer Linie mit den anderen Form findet. Was dann folgt, ist ein Anschwillen von Ton, Licht und Tanz gleichermaßen. Es gibt eingespielte Musik mit einem Gesang, der eine akustische Aufforderung zu Höchstleistung in Bewegung und Auftritt zu sein scheint. Dieser Sound, begleitet von loopartigen Sirenen, bleibt zum Großteil in Dynamik und Lautstärke bestehen und scheint die TänzerInnen zum Mitschwingen als auch Innehalten und Entgegenwirken zu motivieren. Die Stimmung variiert von ausgelassen und fröhlich über melancholisch und zerstörerisch. Die fröhlichen und offenen Gesichter der Tanzenden wirken wie ein Symbol für eine kostbare Momentaufnahme in einem Land, in dem ganz unmittelbar die Situation ins Lebensbedrohliche kippen kann. Offenbar wird dies in einer Szene, in der es plötzlich ein Black und einen Musikstopp gibt und die TänzerInnen ebenso plötzlich inne halten, nach einiger Zeit jedoch anfangen zu pfeifen, bis jemand ihnen „Psst!“ zuraunt. Wenn der Tanz dann wieder anschwillt und sich in Sprüngen, der Bodenarbeit, dem Tanz im Kreis mit all den lachenden Gesichtern zu entladen scheint, dann wird zwar gewahr, wie fragil und existenziell das Leben in einem Konfliktgebiet sein muss, schlussendlich jedoch das Lebensbejahende mit dem Entschluss, auf Basis einer Tradition eine bewegende Haltung einzunehmen, siegt.

Über die Grenzen der Betrachtung hinaus


Nicht selten passiert es bei Bühnenstücken und vor allem auch im Festspielhaus, dass das Publikum komplett in der betrachtenden Rolle bleibt und das Dargebotene situationsbedingt mit einer räumlichen Distanz wahrnimmt. Nicht so hier, denn ähnlich dem Buchstabentausch beim Stücknamen findet auch die Rezeption eine Umkehrung – der Wunsch nach Nähe zu den TänzerInnen und ihrer Freude ist in jedem Moment gegeben. Und das nicht nur, weil sie sich immer wieder dem Publikum zuwenden, seinen Blick suchen und sogar verbal Kontakt aufnehmen. Sie reißen durch ihren kraftvollen und raumfüllenden Tanz schlicht mit und vermitteln die Absicht genau jenes Volkstanzes, der in der gemeinsamen Bewegung einen kollektiven Rhythmus finden und dadurch die eigene Lebensfreude spüren lässt. Dabei wagt die Kompanie durchaus, auch die schrecklichen Seiten des palästinensischen Alltags zu beleuchten. Aber selbst wenn die TänzerInnen am Boden liegen und umgeben vom Lärm der Gewehrsalven und Explosionen die Hände schützend über den Kopf halten, möchte man Teil dieser verbundenen Schwarmbewegung sein, die sich irgendwann wieder kraftvoll und mutig erhebt, um dem eigenen Rhythmus und der Entscheidung zum Leben zu folgen. Ein Plädoyer nicht nur für den Nahen Osten, sondern global wie regional gesehen. Die Botschaft wurde offensichtlich verstanden – das Publikum belohnte den Auftritt der hervorragenden und ausdrucksstarken TänzerInnen mit frenetischem Applaus und stehenden Ovationen.