„Kaffee und Zucker?“ Dokumentartheater im TAK in Liechtenstein © Pablo Hassmann
Peter Füssl · 12. Sep 2021 · Tanz

Atmen bis zur Atemlosigkeit – tanz ist exceptional präsentiert Simon Mayers Solo-Performance „Being Moved”

Der Oberösterreicher Simon Mayer gehört zu den gern gesehenen Gästen bei Günter Marinellis tanz ist Festival. Mit „SunBengSitting“ (2014) und „Sons of Sissy“ (2015) präsentierte er am Dornbirner Spielboden bereits zwei äußerst erfolgreiche Produktionen im Spannungsfeld von alpenländischer Tradition, Brauchtum und zeitgenössischem Tanz – eine sehr spezielle, zum Teil auch witzige Art getanzter Identitätssuche. Dort ließ Mayer nun auch sein Solo-Projekt „Being Moved“, das letztes Jahr in Belgien Premiere feierte, anschließend auch im Wiener Brut gezeigt wurde, dann aber durch die Pandemie bedingt nicht mehr aufgeführt wurde, wiederauferstehen. Ein effektvoll reduziertes Werk, das den Zusammenhang von Atmung und Bewegung in den Mittelpunkt stellt und dafür schamanistische Techniken verwendet.

Behutsamer Start mit Versuchsanordnung

Gleich zu Beginn lädt Simon Mayer das Publikum ein, in der Phantasie auf den sieben im Halbrund aufgestellten Stühlen Platz zu nehmen und am folgenden Experiment teilzunehmen. Unter den Stühlen befinden sich Scheinwerfer, darüber hängen an langen Spiralen Glühbirnen von der Decke herunter – beides dient der Beleuchtung, damit wäre aber gleich auch schon die gesamte Bühnenausstattung beschrieben. Dann startet er – auf der Tanzfläche stehend – mit einfachsten, durch tänzerische Gesten visualisierten Atemübungen, die in langsame, zunehmend raumfüllende Drehbewegungen übergehen. Die Bewegungen korrespondieren mit seinen zum Soundtrack mutierten überlauten Atemgeräuschen. Ungestüme Drehbewegungen, hechelnder Atem, dazwischen abrupte Stills – bis sich alles in einem ersten, von wilden Armbewegungen begleiteten Drehtanz zu elektronischem Donnergrollen entlädt. Fadeout, dichte Rauchschwaden umhüllen die Tanzfläche.

Wachsende Intensität bis zum furiosen Finale

Langsam wird es wieder klarer. Die sieben nebelumwobenen Glühbirnen tauchen die Tanzfläche in ein mystisches Licht. Der Tänzer ist bis auf die Unterhose entkleidet, nur ein Gewirr aus schmalen Lederriemen zieht sich über seinen Körper, die Mikrofone zur Soundgewinnung halten. Zuerst im Sitzen, dann in Bewegung spielt Mayer mit einem Kontrabassbogen auf seinem Körper, spart keine Stelle aus, stöhnt, windet sich, steigert sich zu einer Art Veitstanz. Schließlich verwendet er den Bogen wie eine Geißel und lässt so Peitschengeräusche entstehen, die wie alle anderen Laute und Geräusche des Abends von Sounddesigner Pascal Holper zu einem stetig anwachsenden, elektronisch modifizierten Soundtrack hinzugemischt werden. Schließlich wird der Bogen zum Dirigentenstab, der dem Publikum den Rhythmus und die Intensität der Atmung vorgibt, Mayer scheint ein Atemorchester zu dirigieren, zu manipulieren, bis eine Art Geräuschsymphonie aus unterschiedlichen Atemgeräuschen entsteht.

Das Geschehen wird immer wilder, Geschrei, Primatengeräusche, der Tänzer vollzieht halb in der Hocke Hüpf- und Laufbewegungen, ehe plötzlich im halbdunklen Saal engelsgleiche Gesänge erklingen und Mayer in meditativer Ruhe versinkt. Das ist aber nur das Vorspiel zum furiosen Finale, zur Ekstase, in der Körper und Geist, Atmung und Bewegung eins werden, in der alles kulminiert, was Simon Mayer aus seiner Beschäftigung mit ostasiatischem Schamanismus gelernt hat. Der elektronische Atem-Soundtrack wird immer schärfer, rhythmisch akzentuierter, Mayer kombiniert Dreh- und eigenartig abgehackt wirkende Armbewegungen, dreht immer rasanter und scheint mit den entsprechenden Flugbewegungen abheben zu wollen. Rauch, Stroboskopgewitter, kathartisch wirkende Schreie, die durch Mark und Bein gehen – bis er plötzlich wieder im Raum steht, allein, auf sich selbst zurückgeworfen, von sanften Tönen, Atemgeräuschen und kleinen Geräuschexplosionen umfangen. Schließlich versinkt der Saal in totaler Dunkelheit, in der das Publikum viele Minuten lang in totaler Stille verharrt. Eine in dieser Länge sehr außergewöhnliche Reaktion.

„Being moved“ bewegt in seiner Radikalität also wirklich und viele zutiefst. Dennoch darf man sich auch fragen, inwiefern so etwas wie kontrollierte Ekstase überhaupt möglich ist? Die braucht es naturgemäß, um solch eine Solo-Performance zu realisieren. Und es stellt sich auch die Frage, ob der Einsatz von Rauchschwaden und Stroboskoplicht das Publikum nicht zu sehr in die Bühnenwirklichkeit zurückholt, wo man doch eigentlich einer Art schamanistischem Ritual beiwohnen wollte, um Tiefgründiges zur Wechselwirkung von Atmung und Bewegung zu erfahren.

tanz ist exceptional im Oktober
Spielboden Dornbirn

Demestri & Lefeuvre: „Glitch“ (ÖE)
Do, 14.10.21, 20.30 Uhr

Hungry Sharks: „1.618“
Sa, 16.10.21, 20.30 Uhr
www.tanzist.at
www.spielboden.at