Ethan Coen hat seinen ersten Spielfilm als Soloregisseur gedreht: „Drive-Away Dolls“. (Foto: Focus Features)
Peter Niedermair · 10. Sep 2021 · Zirkus

Eisele, Huneck & Zandl in einer Vorpremiere mit „Sawdust Symphony“ im Freudenhaus Lustenau

Die gestrige Circus Performance in der taufrischen Tradition der Magie Nouvelle hält das faszinierte Freudenhaus Publikum, unter denen etliche 10-Jährige und ältere Besucher:innen waren, 60 Minuten auf Trab. Wir staunen über die theatralische Wunderkammer des neuen Circus. Dieser phantastische Bilderbogen ereignet sich in rhythmisiert wechselnden Tempi als play within the play auf einer raffiniert gebretterten Bühne, die schier unendlich viele Spielmöglichkeiten und Luken öffnet.

Das Ensemble der Drei, die Autoren und Performer in einem sind, agiert individuell und im intensiven Dialog, der sich gelegentlich zu einem Triell erweitert, und spielt sich ausdrucksstark, von verschmitzt ironisierend bis meditativ versunken in allerhand Objektmanipulationen mit diversen Werkzeugen und konstruiert mit handwerklicher Geschicklichkeit mit Holz. Die Drei tauchen in einen stringenzlosen, absolut faszinierenden und in dieser From einzigartigen Kosmos von Arbeit ein, die uns in die Welt der Fantasie entführt und im Wesentlichen als fortgesetzte, absurde Kette von aneinander gereihten Ereignissen begegnet. Dabei verlieren wir uns als Zuschauer:innen in diesem magischen Amalgam aus Gerüchen von frisch gefrästem Holz, das von einer Drehfräsmaschine und einer handlich kleinen Motorsäge, die wir alle so kennen, wenn wir mit Holz arbeiten und haufenweise Sägespäne, geraspelt oder geschliffen, sich über die Bühne versprühen oder von der Decke von oben aus zwei sich drehenden Walzen heruntergeregnet werden.

Action creates Satisfaction

Ein für das ernsthaft-heitere und erheiternde Stück stilbildendes Werkzeug, der Hammer, der in zahlreichen Variationen und Qualitäten auf die Bühne „tritt“ bzw. geworfen auftaucht, wird als laufende Ironisierung eingesetzt und funktioniert in seinen Varianten und Wiederholungen als Visualisierung des homo faber in seinem Konstruktionsbegehren und in seiner Beziehung zu Werkzeugen, die das Objekt des Begehrens, die zahlreichen Nägel, die an allen möglichen Stellen auf der Bretterbühne herausragen, zu versenken trachten. Was sich schlechthin als kleine Tragödie erweist, weil der Hammerschlag partout immer daneben trifft und der Handwerker im besten Sinne also scheitert, was man erst im Echo des Abends auf dem Fahrrad am Nachhauseweg zu realisieren beginnt. Konstruktion und Dekonstruktion halten sich im raffinierten Dialog die Waage, wenn man diese im ursprünglichen Wortsinn als einen sich bewegenden, schwingenden Gegenstand sieht. Welche Art von Begehren wird gestillt, wenn wir einen Nagel in Holz einschlagen? Welche Form von Befriedigung erzeugt das Schleifen einer Oberfläche mit Schmirgelpapier? Welche Gefühle löst es aus, wenn eine Motorsäge zu heulen anfängt und die Kette sich rasant am Sägeblatt im Umlauf windet? Der Mensch, hier mehrheitlich Mann, wie ich vermute, wird zum aktionistischen Performer auf der Bühne. Er manipuliert die Objekte und verschwindet im Universum seiner Lebenspraxis, er geht auf in der Selbstwirksamkeit seiner Arbeit. Sawdust Symphony ist in der Vorpremieren-Aufführung am gestrigen 9. September im Lustenauer Freudenhaus ein Circus-Experiment.

Kreative Schaffarei

Die Performance der Magie Nouvelle geht diesem forschenden Spirit des arbeitenden Menschen nach, diesem zutiefst menschlichen Streben nach Kreation, nach Schaffen, nach Schaffarei. Das Thema des Stücks ist die Erforschung des zivilisatorisch gesehen eigentlich jungen historischen Prozesses, warum und wie gesteuert wir unseren Visionen von Arbeit und Konstruktion nachgehen. Sawdust Symphony, ein wahrlich wunderbar gewählter Titel für dieses Stück, pendelt zwischen der Tragödie der Arbeit, deren historischem Stellenwert, deren Reputation und den irdischen Glücksversprechungen, dass Arbeit Sinn haben soll, nach dem wir das Lob der Faulheit, das uns die Industrielle Revolution auf den Teppich der Geschichte gekehrt hat, gesungen haben.

Die Musik zu den Sägespänen


Die Drei auf der Bühne haben 60 Minuten wie die Irren geschuftet, sich Kübel mit Kleister über den Kopf gekippt, bis die Leimsauce über Gesicht und alles herunter lief, haben sich zum Bersten megaviel Sägespäne ins Hemd gesteckt und zu allem Wahnsinn noch Kreissägeblätter auf dem Handgelenk über die Bühne balanciert, hinüber getragen an den Rand der begrenzten Bühnenwelt, während in einer rhythmischen Fortdauer, die musikalisch von unaufdringlicher aber eindringlich schöner Musik begleitet wurde, stilistisch latinisierte Eigenkompositionen für Gitarre und Opernarien zum Weinen schön, wie die von der Callas, Lasse Munk (Soundscape von Kolja, sowie elektronische Musik beim Drechseln) Juliano Abramovay (Gitarre). Neben diesen zwei Künstlern hat die Gruppe noch mit Musik von Veronica Cangemi und Colin Stetson/Sarah Neufeld gearbeitet. Die gespielten Titel bei der Vorpremiere von Sawdust Symphony: Bachianas Brasileiras No. 5 (George Frideric Handel, Veronica Cangemi, Una Stella), Canata spagnuola: No Se Emendera Jamas - Allegro (Heitor Villa-Lobos, Veronica Cangemi, Una Stella), The Sun Roars Into View (Colin Stetson/Sarah Neufeld)

Sawdust Symphony und die Magie Nouvelle

Die schauspielerischen und zirkusartistischen Leistungen des Trios sind phänomenal, umwerfend. In einer Zeit, in der das Handwerk zusehends an Stellenwert verliert und an Beliebtheit abnimmt und der Hohlformel der Digitalisierung das Dauerwort geredet wird, ohne es je umfassend deskriptiv in einen realen Arbeitsweltkontext zu stellen, spielt Sawdust Symphony mit dem Zweck und der Romantik von elektrischen Werkzeugen, nebst dem Geruch von frisch geschlagenen und bearbeiteten Holz. „Magie Nouvelle“ ist die Bezeichnung für eine neuartige Richtung in der Zauberkunst und setzt in erster Linie auf Gefühle, die bei den Zuschauer:innen angesprochen werden. Nicht der einzelne Effekt steht im Vordergrund, sondern das gesamte Geschehen. Bei der Magie Nouvelle geht es nicht mehr um vordergründige Zaubertricks, um zu zeigen, was für ein großartiger Zauberer man ist, sondern um eine Art neue „Sprache“ der Zauberkunst, die sich mit anderen Künsten verbindet.

Sehnsucht nach Magie in dieser Welt

Am Ende des Abends schieben wir den Veranstaltern, den Programmeuren und Programmmeusen, den Spickzettel einer Rückmeldung über den Tresen, „diese Welt der magischen Illusionen wollen wir wieder sehen!“ Die eigentliche Premiere von Sawdust Symphony findet am 24. September in Den Haag statt. Die spätsommerliche Saison im Freudenhaus, das in der Nachfolge von Willi Pramstaller, der über viele Jahre die Stoffe für die Bühnenträume aufbereitet hat, nun von Roman Zöhrer und Lisa-Marie Berkmann geschupft wird.
Sawdust Symphony auf und hinter der Bühne: David Eisele, Kolja Huneck, Michael Zandl, Autoren und Performer; Juliano Abramovay, Lasse Munk, Sound Design und Kompositionen; Sanne Rosbag, Licht Design; Philipp Dünnwald, Michael Zandl, Bühnendesign und Special Effects; Korzo Den Haag, Produzent

Weiterer Termin: Freitag, 10.9. 20:30 - € 25,- / 15,- | geeignet für Menschen ab 10 Jahren.
Restkarten an der Abendkasse; die 3G-Regeln werden kontrolliert.