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Michael Löbl · 25. Jun 2023 · Musik

Sunny Boys

Das Klavierduo Lucas und Arthur Jussen bei der Schubertiade Schwarzenberg

Eigentlich soll man sich während eines Konzertes voll und ganz auf die Musik konzentrieren und sich nicht von optischen Impressionen ablenken lassen. Als Konzertbesucher tut man aber ganz genau das, denn es geht gar nicht anders.

Bei Damen auf der Bühne gibt es meist viel zu bestaunen: Kleider, Farben, Schuhe, Haare. Bei den Herren ist diese Ausstattung weit weniger spektakulär. Obwohl – sitzt ein Orchester auf der Bühne, kann man gleich einmal folgendes Detail überprüfen: Sind alle Socken lange genug, um die Haut zwischen Socken-Ende und Hosenbeginn zu verdecken? Faustregel: je besser das Orchester, desto weniger Haut ist sichtbar.
Auch bei Lucas und Arthur Jussen ist es zunächst die Optik, die Aufmerksamkeit erregt. Die Brüder treten auf, als hätten sie sich von Dreharbeiten einer amerikanischen Soap-Opera auf die Bühne des Angelika-Kauffmann-Saales verirrt. Sehr speziell ihre Hemden und Anzüge, einer der beiden sieht dann auch noch dem Schauspieler Hugh Grant verdammt ähnlich. Und nein, Zwillinge sind sie keine, der Altersunterschied beträgt drei Jahre. Dann tauchen Fragen auf. Brüder, die seit ihrer Kindheit als Duo leben, gibt es da nie Stress wie unter Geschwistern üblich? Harmonie als Dauerzustand, obwohl man seit Jahren gemeinsam übt, reist, isst und konzertiert? Wie funktioniert das mit Partnerinnen oder Partnern?  

Schuberts Gipfelwerk für Klavierduo

Wenn das Programm dann beginnt und die ersten Töne erklingen, wird es schlagartig ernst. Musikalisch gibt keinerlei Mätzchen oder aufgesetzte Effekte, Lucas und Arthur Jussen spielen ungemein feinfühlig, sehr differenziert und musikalisch durchdacht. Natürlich könnte man auch das absolut perfekte Zusammenspiel loben, aber gehört das nicht zur Daseinsberechtigung eines Klavierduos? Eines Duos, das auch noch seit frühester Kindheit gemeinsam musiziert? Das zentrale Werk dieses Vormittages war zweifellos Franz Schuberts großartige f-moll Fantasie D 940. Welches Geschenk der Komponist damit allen Klavierduos gemacht hat, dafür müssen ihm alle unendlich dankbar sein. Vom ersten bis zum letzten Ton spannt sich ein musikalisch zwingender Bogen, dem sich niemand entziehen kann. Lucas und Arthur Jussen spielten das absolut meisterhaft. Dem ersten Thema gaben sie Raum, ohne das Tempo zu zerdehnen, dazu passend gestalteten sie den schnellen Mittelteil nicht als reines Virtuosenstück, sondern als dramatische Fortsetzung des Beginns. Ganz organisch kehrten sie am Schluss wieder zur magischen Anfangsstimmung zurück. Eine großartige, in ihrer Tiefe der Bedeutung des Werkes angemessene Interpretation. Schon allein wegen dieser zwanzig Minuten hätte sich die Fahrt nach Schwarzenberg gelohnt.
Das restliche Programm litt unter der Tatsache, dass es in der Besetzung Klavier vierhändig nicht allzu viele derartige Gipfelwerke gibt. Was Franz Schubert in seinen nur 31 Lebensjahren hinterlassen hat, ist – wie es Alfred Brendel treffend formuliert hat – ein Wunder. Natürlich ist darunter auch manches, das musikalisch nicht auf demselben Niveau ist wie die ganz großen Meisterwerke. Was allerdings den Komponisten Schubert wieder ein wenig menschlicher macht. Die vier Polonaisen D 599 gehören in diese Gruppe. Nette Stücke, leider wenig abwechslungsreich und wohl am ehesten einzeln als Zugabe geeignet. Lucas und Arthur Jussen machten das Beste daraus und versuchten durch kluge Phrasierung und dynamische Abstufungen jeder der Polonaisen einen eigenen Charakter zu verleihen.

Ein Orchester wird schmerzlich vermisst

Auch die C-Dur Sonate KV 521 von Wolfgang Amadeus Mozart zu Konzertbeginn ist leider nicht sein stärkstes Stück. Und Maurice Ravels „Ma mère l'oye“ nach Märchen des französischen Schriftstellers Charles Perrault enthält zwar wunderschöne musikalische Stimmungen und interessante Klangeffekte, bleibt aber doch ein Kinderstück und ist pianistisch etwas einfach gestrickt Die Uraufführung spielten auch zwei Mädchen im Alter von sechs und zehn Jahren. Mancher Konzertbesucher hat außerdem Ravels später entstandene Orchesterfassung im Ohr und vermisst schmerzlich die magischen Klänge von Holzbläsern, Harfe oder gedämpften Streichern.
Zum Abschluss spielten Lucas und Arthur Jussen noch zwei Märsche von Schubert, darunter den bekannten Militärmarsch D 733/1: brillant, hochmusikalisch, witzig und effektvoll. Das hingerissene Publikum wollte mehr und erklatschte sich zwei Zugaben.

www.schubertiade.at

https://arthurandlucasjussen.com/