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Peter Füssl · 09. Mär 2025 · Tanz

Spitzentanz trifft auf Hightech à la Wayne McGregor

Die Company Wayne McGregor eröffnete mit „Deepstaria“ den 38. Bregenzer Frühling

Letztes Jahr ernannte König Charles III. Wayne McGregor für seine Verdienste um den Tanz zum Knight Bachelor, und als Commander of the Order of the British Empire darf er schon seit 2011 den „Sir“ vor seinem Namen tragen. Der 1970 geborene Star-Choreograf, der seit bald 20 Jahren auch der erste Resident Choreographer mit zeitgenössischem Tanzhintergrund beim Royal Ballet in London ist, zählt aber längst auch in der internationalen Tanzwelt zum Hochadel. Für seine vor dreißig Jahren gegründete eigene Company (die ursprünglich als Random Dance firmierte) schuf er rund drei Dutzend vielbeachteter Werke, mit sechs davon gastierte er im Laufe der Jahre auch beim Bregenzer Frühling. Ein gern gesehener „Dauergast“, von dem man Herausforderndes auf allerhöchstem Niveau erwartet – dem wurden die Briten mit dem im letzten Jahr beim Festival in Montpellier uraufgeführten „Deepstaria“ zum Auftakt des Bregenzer Frühlings 2025 im sehr gut besuchten Bregenzer Festspielhaus durchaus gerecht.

Exzellente Tänzer:innen, ein magisches Licht-Design und ein herausfordernder Soundtrack ...

„Deepstaria“ für Unbeleckte: Schaut man sich die 70-minütige Produktion „Deepstaria“ ohne jegliches Vorwissen an, so ist man möglicherweise zuerst einmal vom Lichtdesign der in Berlin lebenden Theresa Baumgartner begeistert. Die international vielbeschäftigte 34-jährige Visual Artistin und Stage Designerin erfüllt die ansonsten komplett leere Bühne mit zauberhaften, oftmals leicht umnebelten Lichtstimmungen – komponiert aus von beiden Seiten und von oben in den Raum strömenden und diesen ausfüllenden geometrische Formen. Anfangs sind dies die unterschiedlichsten Grautöne, später wechseln dann die Grundfarben ins Rote, Blaue und Grüne. Die farblich jeweils dazu passenden Spotlights werden exakt auf das Tanzgeschehen ausgerichtet, alles verläuft in ausgesprochen ruhigen Bahnen – dementsprechend effektvoll entladen sich dann zwischendurch einmal sich in Stroboskop-artigen Lichtkegeln manifestierende Regengüsse, oder ins Publikum gerichtete Lichtblitze.
Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich in der typischen McGregor-Manier im mit unorthodoxen schnellen und präzisen Bewegungen angereicherten „klassischen“ Modern Dance-Vokabular – zuerst solo und in Zweier- und Dreier-Kombinationen, in der zweiten Hälfte des Stückes dann öfters auch in größeren Gruppen oder als volles neunköpfiges Ensemble. Exakte Sprünge und abenteuerliche Streckungen und Verrenkungen in der Vertikale wie in der Horizontalen werden scheinbar mühelos und durchaus ästhetisch wirkend in die Choreographie integriert – Sir McGregor beschäftigt zweifellos nur akrobatische Top-Tänzerinnen und -Tänzer. Deren von Illaria Martello entworfenen Kostüme werden übrigens nur zweimal gewechselt – von schwarzen Dessous bzw. Herrenslips zu cremefarbenen Anzügen und schließlich zu leichten, durchscheinenden, fast schwebenden, weißen Organza-Kleidchen.
War alles bisher Geschilderte irgendwo zwischen zauberhaft, spannungsgeladen und eindrucksvoll einzuordnen, so darf man den Sound-Track des französischen Geräuschemachers, Sounddesigners, Filmkomponisten und Oscar-Preisträgers Nicolas Becker und des Musikproduzenten LEXX zumindest als Herausforderung bezeichnen. Unzählige Samples aus verzerrten Alltagsgeräuschen durchmischt mit Außergewöhnlichem aus der elektronischen Effekte-Zauberkiste ergeben eine nicht allzu rhythmische und niemals melodisch aufbereitete Geräuschkulisse – abwechslungsweise dezent, oft effektvoll und manchmal schlicht auch etwas nervend.

... und was noch so alles dahintersteckt: Biologie und Hightech

Bei Wayne McGregor ist es aber nie ein Fehler, sich im Vorhinein ein bisschen mit einer Produktion zu beschäftigen. Im Fall von „Deepstaria“ findet man dann zum Beispiel heraus, dass er sich zu dieser Choreographie von einer erst 1966 in der Tiefsee entdeckten und nur selten gesichteten durchscheinenden Quallen-Art inspirieren ließ, was manche Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer – speziell in der Phase des blauen Lichts – um eine neue Bedeutungsebene erweitert. Etwa wenn sich die Hände wie wogende Seeanemonen bewegen oder die Körper Korallenform annehmen. Im weiteren Sinne geht es aber auch um die Faszination des Menschen für die Weite und die Leere – sei es nun in der Tiefsee oder etwa auch im Weltraum – und damit verbunden auch um Bedrohungen, Grenzerfahrungen und Sterblichkeit, also um auch zutiefst Menschliches, das sich in komplizierten Beziehungsgeflechten ausdrückt.
McGregor ist auch als bekennender Hightech-Fan bekannt, was immer wieder dazu führt, dass er in seinen Produktionen topaktuelle Technik zur Wirkung bringt und dadurch den experimentellen und innovativen Charakter seiner Werke verstärkt. So werden etwa die Ingredienzien des Soundteppichs mittels einer Technologie namens Bronze KI als kreativem Werkzeug für jede Aufführung neu zusammengestellt. Ständiges Variieren als Kompositionsprinzip sozusagen. Zwischen leisen Tiefseegeräuschen und Noise-artigem Dröhnen gerät man so jedenfalls ganz sicher nicht in den Ruf, allzu Konventionelles zu tradieren. Das erklärt natürlich auch die zwar effektvolle, aber maschinell wirkende und auf einer emotionalen Ebene nicht unbedingt ansprechende Geräuschkulisse.
Die wundervollen Lichteffekte wiederum sind der Vantablack-Beschichtung geschuldet, die Benjamin Males für die Projektionsflächen verwendet hat und die das Licht aus jedem Einfallswinkel zu fast hundert Prozent absorbiert (weswegen diese Technologie normalerweise im Teleskop-Bau oder in der Raumfahrt-Technik verwendet wird). Der ideale Hintergrund für Theresa Baumgartners sich stetig entwickelnden Lichtskulpturen, die eine wesentliche Qualität von „Deepstaria“ ausmachen und in Kombination mit den Tänzerinnen und Tänzern oftmals wie kunstvolle Gemälde wirken. Das sind dann die ganz besonderen Momente, in denen „Deepstaria“ auch emotional voll anspricht. Zum Denken regen die Choreographien von Wayne McGregor ja ohnehin immer an.

Nächste Veranstaltung beim Bregenzer Frühling:
Shahar Binyamini, House of Dance/Zürcher Hochschule der Künste: „New Earth“ (UA), „Bolero X (ÖEA)
Sa, 5.4.2025, 20 Uhr
Festspielhaus, Bregenz
www.bregenzerfruehling.com