Vorläufiges Aus für Metro Kino und Filmforum Bregenz (Foto: Walter Gasperi)
Bettina Barnay-Walser · 10. Mär 2025 · Musik

Don Giovanni mit Barbie-Effekten

Neue Sicht auf Mozarts / Da Pontes Erfolgsoper

Herzlichen Applaus und Bravorufe für alle Beteiligten gab es nach der Premiere am Sonntagabend im Vorarlberger Landestheater. Solist:innenensemble, Symphonieorchester Vorarlberg, Bregenzer Festspielchor, der musikalische Leiter Daniel Linton-France, Regisseur Andreas Rosar und Fabian Lüdicke, der für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet, wurden gefeiert.

Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn vor einer Aufführung ein Mitglied des Hauses vor den Vorhang tritt; gestern war es Niko Raschner, Ensemblemitglied am Vorarlberger Landestheater, der darauf hinwies, dass sich die Sopranistin Réka Kristóf (Donna Elvira) nach einer Viruserkrankung, Sorge um ihre Stimme mache, die Premiere aber trotzdem singen wolle. Das tat sie, mit vollem Einsatz und absolut überzeugend. Das Spiel um den – in Bregenz schon in die Jahre gekommenen – Frauenheld, beginnt schon während der Ouvertüre. Links am Bühnenrand, vor dem roten Vorhang, eine Bar. Sie wird immer wieder zum Treffpunkt der Solist:innen. Wir sehen Don Giovanni (Alejandro Marco-Buhrmester), fesch, grauhaarig und mit Schlangenleder-Cowboystiefeln als Attribut des sich jung fühlenden, lässigen Verführers. An seiner Seite sein Diener Leporello (Marcel Brunner) in einer Collegejacke. Der Vorhang öffnet sich zu einem schäbigen Hinterhof, Donna Anna (Marta Kristín Friðriksdóttir sehr überzeugend, mit wunderbar weichem und emotionsreichem Sopran) ist Don Giovanni entkommen, aber der tötet ihren Vater im Duell. Don Ottavio (Ilia Skvirskii, vornehm und mit klarem Tenor) muss Rache schwören. Wer der Mörder war, wissen die beiden zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht.

Daniel Linton-France und Andreas Rosar: ein gutes Team

Schnell wird erkennbar, dass Regie und musikalische Leitung, also Andreas Rosar und Daniel Linton-France, eng und produktiv zusammengearbeitet haben. Das Solist:innenensemble darf überwiegend nach vorne singen. Bei den akustischen Gegebenheiten im Orchestergraben des Vorarlberger Landestheaters ist das absolut von Vorteil, das Symphonieorchester Vorarlberg schafft es so über weite Strecken, die Sänger:innen nicht zuzudecken. Daniel Linton-France ist ein hervorragender Dirigent. Orchester und Solist:innen stehen in einem musikalischen Dialog mit überzeugender emotionaler Atmosphäre.

Ein Bühnenbild wie ein Kaleidoskop

Die Drehscheibe auf der Bühne gibt verschiedene Kulissenteile frei. Architektonisch wird das Publikum in unterschiedliche Zeiten geworfen, das trifft auch auf die Kostüme zu. Ein Zeichen dafür, dass der Stoff um diesen rastlosen Verführer, der anbetende Liebe durchaus vorzuspielen imstande ist, und vielleicht sogar für Minuten empfindet, nach dem Jagderfolg aber sofort das nächste Opfer sucht, ein zeitloser ist. Die meisten Frauen resignieren, nicht so Donna Elvira. Der hat Don Giovanni die Ehe versprochen, sie reist ihm nach und macht ihm einen Strich durch seine Frauenrechnung. Großartig in dieser Rolle, die Sopranistin Réka Kristóf. Stimmgewaltig, von beeindruckender Bühnenpräsenz. Lodernder Zorn und berührende tiefste Trauer, sie kann beides. Nichts ist von einer stimmlichen Indisponiertheit zu spüren, wenn sie sich in ihrer ersten Arie ins Geschehen wirft. Don Giovanni scheint sie zu verspotten, wenn er sein „Poverina! Poverina!“ vom Bühnenrand aus einwirft, aber er erkennt sie ja im ersten Moment gar nicht mehr. Schiebt dann Leporello vor, der Donna Elvira und uns allen in seiner Registerarie die Anzahl der von Don Giovanni bereits eroberten Frauen, inklusive Staatszugehörigkeit, auflistet. Auch das wieder vor dem Vorhang. Kluger Regieeinfall: Dort wo es keine Kulisse braucht, gibt es auch keine. Andreas Rosar weiß, dass es die Musik ist, die eine Oper ausmacht. Und dass es einfach nur fein ist, alle Sänger:innen gut zu hören, wenn sie – gut begründet – vorne an der Bühnenrampe agieren. Leporello benimmt sich Donna Elvira gegenüber übrigens ziemlich übergriffig; er hat beim Meister gelernt. Marcel Brunner singt und spielt den Diener, charismatisch und technisch beeindruckend, mit Witz und Elan.

Die Nächste auf der Liste

Da kann Don Giovanni nicht widerstehen: Die junge und sehr hübsche Zerlina (Martha Matscheko, mit frischem, versiertem Sopran) ist dabei, ihren Masetto (Korbinian Schlag gibt überzeugend den tolpatschigen Bräutigam) zu heiraten. Keine Frage, dass der unersättliche Don Giovanni auch da noch Begierden hat. Die Hochzeitsgesellschaft wird von den Damen und Herren des Bregenzer Festspielchors (Einstudierung Benjamin Lack) gegeben. Jetzt kommt der vermutete Barbie-Bezug ins Spiel. Da sieht man viel Rosa und Glitzer, ein bisschen faschingsmäßig die Kostüme, Cowboystiefel in pink und Federboas. Rein optisch ist das Konzept für mich nicht nachvollziehbar, aber stimmlich und gestalterisch überzeugen die Chorsänger:innen sehr. Donna Elvira crasht erfolgreich in die Verführungsszene zwischen Don Giovanni und Zerlina. Aber wer kann es der jungen Braut verdenken, dass sie den Schmeicheleien des versierten Verführers kaum widerstehen kann. Immer, aber besonders in den Rezitativen kommt die stimmliche und gestalterische Klasse von Alejandro Marco-Buhrmester gut zur Geltung. Der Dirigent Daniel Linton-France begleitet die Sängerinnen in diesen Sprechgesängen, die die Handlung weitertragen, am Hammerklavier. Er macht das wunderbar. Schöner Regieeinfall, einer von vielen guten: Während Don Giovanni Zerlina vorschwärmt, wie ihrer beider Leben aussehen würde, wenn sie sich ihm denn hingäbe, schwebt ein Puppenhaus auf die beiden herab. Und wieder ist es Donna Elvira, die dazwischen geht. Oh, diese Wut der betrogenen Frau, selten wurde sie besser in Töne gesetzt als in ihrer Arie: „Ah! Fuggi il traditor!“. Ein Gänsehautmoment, ein zweiter ist im 2. Akt Marta Kristín Friðriksdóttir zu verdanken, als Donna Anna erkennt, wer ihren Vater ermordet hat. Aber davor erleben wir noch den großen Ball. Leporello persifliert Butler James aus „Dinner for One“, während er den Champagner einschenkt. Und wir erleben, davor noch, wie Zerlina versucht, den eifersüchtigen und in seiner Ehre gekränkten Masetto zu kalmieren.

Das pinke Reh

Zerlina singt von einem Lämmchen, auf der Bühne steht ein überdimensionales pinkes Reh. Man wundert sich. Und freut sich, wenn Regisseur Andreas Rosar am Tag nach der Premiere Zeit für eine Erklärung hat. Fabian Lüdicke, der für Kostüme und Bühnenbild verantwortlich zeichnet, und er nähmen, so schreibt er, „immer gern ein oder zwei etwas enigmatische Elemente ins Bühnenbild auf, die dem Publikum eine Deutungsoffenheit lassen. Im Libretto ist an dieser Stelle ein Garten als Spielort vorgegeben, den wir bei all den Verwandlungsmöglichkeiten des Bühnenbildes jedoch nicht auch noch auf der Drehscheibe unterbringen konnten. So kam die Überlegung, eine Verfremdung des bisher bekannten Bühnenbildes zu wagen – statt Flora haben wir uns für die Fauna entschieden. Und das Reh als Fluchttier reizt den Jagdinstinkt des Jägers natürlich besonders, was als Anspielung auf Giovannis Libido gesehen werden kann, auch wenn seine „Rehe“ mittlerweile schneller fliehen, als er zielen kann ... aber das ist nur eine mögliche Interpretation.“
Zu den „enigmatischen“ Elementen gehören vermutlich auch die Schaufensterpuppen auf dem Friedhof im 2. Akt. Aber es ist ja schön, wenn man nach der Opernaufführungen noch Stoff zum Diskutieren hat.

Langer 2. Akt

Nach der Pause bleiben einige Stühle leer, ein geringer Teil des Publikums wartet nicht auf das Ende. 3 ½ Stunden dauert der Abend und der 2. Akt zieht sich tatsächlich. Aber das ging mir bisher in allen Don Giovanni-Inszenierungen so. Sehr unterhaltsam ist die Szene, in der Don Giovanni und Leporello ihre Oberbekleidung tauschen, um die Verfolger:innen in die Irre zu führen. Genussvoll tauchen die beiden in dieses Spiel ein, das Publikum genießt die erneute Verführung von Donna Elvira – sie auch –, und nach einigen wunderschön gesungenen Arien, Duetten und dem mitreißenden Sextett „Sola, sola in buio loco“ nähern wir uns dem Ende und damit dem Auftritt des Komturs (Evert Sooster), Donna Annas ermordetem Vater. Warum sich einige Damen des Bregenzer Festspielchors in beiger Unterwäsche rund um Don Giovanni am Boden räkeln, während er (vermutlich) Austern isst, erschließt sich mir nicht ganz. Der ruchlose Verführer geht zugrunde und alle von Don Giovanni Geplagten finden sich zur Schlussszene zusammen. Wenn sie singen: „Questo è il fin di chi fa mal!“, und damit betonen, dass es den Bösen halt so geht, denkt man kurz an einige Personen aus der internationalen Politik und schließt sich dem begeisterten Schlussapplaus an. Bravorufe gab es für alle. Premiere geglückt. Toi, toi, toi für alle weiteren Aufführungen.

Vorarlberger Landestheater: „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart / Lorenzo da Ponte
weitere Aufführungen
: 12./15./19./21./25./28.3. jeweils 19.30 Uhr sowie 23./30.3. jeweils 17 Uhr
Theater am Kornmarkt, Bregenz
https://landestheater.org/spielplan/detail/don-giovanni/