Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Michael Löbl · 28. Apr 2023 ·

Spätherbstliches im Frühling

Das Armida Quartett und die Klarinettistin Sabine Meyer eröffneten die Schubertiade 2023

Die Schubertiade-Saison beginnt wie immer im Frühjahr und in Hohenems. Langsam muss man sich wieder hineinversetzen in die Welt des Liedgesanges, der Klavierabende und der Kammermusik. Bei Sängern, Streichern und Pianisten den Überblick zu behalten, das geht noch, wesentlich schwieriger wird es bei den Streichquartetten. Weil sie zu viert sind, bleiben die Biographien der einzelnen Musiker:innen im Hintergrund, die Lebensläufe der Ensembles hingegen sind alle sehr ähnlich.

Bei der Schubertiade werden 2023 folgende zwölf Quartette auftreten: Armida, Mandelring, Hagen, Modigliani, Apollon Musagète, Pavel Haas, Julia Fischer, Aris, Schumann, Elias, Minetti und Ébène. Das Artemis-Quartett gibt es leider nicht mehr, deren Primgeigerin ist ja mittlerweile als erste Frau in der Orchestergeschichte Konzertmeisterin der Berliner Philharmoniker.
Erstaunlich viele Mitglieder der einzelnen Quartette sind miteinander verwandt, verschwägert oder verheiratet, alle haben sich während des Studiums kennengelernt und dann ein Quartett gegründet. Darauf folgen Meisterkurse bei erfahrenen Kollegen, sehr oft dem Alban-Berg-Quartett, mindestens einen Preis bei einem internationalen Wettbewerb sowie eine große Auszeichnung für einen oder mehrere Tonträger. Wie viele dieser Kriterien treffen auf das Armida Quartett zu? Kennengelernt haben sich die vier Mitglieder an der Universität der Künste in Berlin, studiert haben sie beim Artemis-Quartett, Meisterkurse u.a. beim Alban-Berg-Quartett absolviert. Bis hierher also alles nach Plan. Aber es geht noch weiter: erste Preise in Genf und München (das sind die beiden renommiertesten Wettbewerbe für Streichquartett - mehr geht in dieser Sparte nicht), Opus-Klassik-Preis 2022, der Cellist und die zweite Geigerin sind ein Ehepaar. Checkliste zu 100 % erfüllt!

Historisch informiert

Wie fast alle international tätigen junge Quartette ist das Armida Quartett technisch absolut perfekt, es spielt musikalisch-gestalterisch durchdacht und auch beim Zusammenspiel bleiben keinerlei Wünsche offen. Was bei der Interpretation von Schuberts Rosamunde Quartett auffiel, war die historisch-informierte Herangehensweise der vier Musiker:innen, was sich vor allem in den zahlreichen non-vibrato gespielten Passagen des Ersten Geigers Martin Funda zeigte. Viele Töne beginnt er ganz gerade und aktiviert das Vibrato sehr spät, was Schuberts Musik einen leicht fahlen, spröden Charakter verleiht. In der Balance nimmt sich die Erste Violine oft zurück und lässt den Mittelstimmen den Vortritt, auch bei Stellen, wo diese gar nicht so viel zu sagen haben. Das Ergebnis ist ein leicht herber, etwas distanzierter und auf keinen Fall süßlicher Schubert, gastronomisch gesprochen eher Cranberry als Erdbeere.
Nach der Pause ein - auch bei der Schubertiade - selten oder vielleicht sogar gar nie gespieltes Werk, das Klarinettenquintett A-Dur von Max Reger. Spricht man beim Klarinettenquintett von Brahms immer von „spätherbstlichen Farben“ geht Regers Werk musikalisch noch ein paar Wochen weiter in Richtung Winter. Die Musik ist durchgehend sehr introvertiert, melancholisch, keine äußerliche Virtuosität stört die meditative, ruhige Grundstimmung. Wie das Quintett von Brahms - mit dem es erstaunliche Parallelen aufweist - ist Regers Opus 146 ein Spätwerk, sein letztes vollendetes Stück, geschrieben ein Jahr vor seinem frühen Tode mit 43 Jahren.  

Entmaterialisierter Klang

Nun klang das Armida Quartett gänzlich anders, die vier Musiker kosteten die spätromantischen Farben mit feinem Pinsel und differenzier Dynamik aus und tauchten mit Herzblut ein in Max Regers ausdrucksstarke Harmonik. Gemeinsam mit der Klarinettistin Sabine Meyer, einem Stammgast bei der Schubertiade seit 1985 (!), gelang ihnen eine makellose und überzeugende Interpretation dieses Werkes, das sich wahrscheinlich erst nach mehrmaligem Hören dem Zuhörer wirklich erschließt. Sabine Meyer hat nach vielen Jahrzehnten als Solistin und Professorin an der Musikhochschule Lübeck einen vollkommen entmaterialisierten, zu 100 % reinen Klarinettenton entwickelt. Kein noch so kleiner Kratzer, keine Anblas- oder Bindungsgeräusche stören diesen absolut schlackenlosen Klang, der wunderbar zu Max Regers Musik passt. Sabine Meyers dunkle Klangfarbe würde man - zumindest an diesem Abend - eher in Richtung Wien als in Deutschland verorten. Das einzige Manko: Knapp nach dem Mezzoforte endet die bis dorthin unglaublich vielfältige dynamische Skala, bei allen Forte-Stellen wird sie vom Quartett regelmäßig in die zweite Reihe gedrängt, auch wenn es dafür keinerlei musikalische Begründung gibt.
Das Publikum wollte noch mehr und bekam eine Zugabe von Robert Schumann. Das Konzert war ein - wie zu erwarten - perfekter Beginn der diesjährigen Schubertiade-Saison.

Sendetermin in Ö1: Dienstag, 9. Mai 14.05 Uhr
www.schubertiade.at