Neu in den Kinos: „The Substance“ (Foto: Mubi)
Florian Gucher · 29. Apr 2023 · Literatur

Bastian Kresser: „Als mir die Welt gehörte“

„Man ist, wer man beschließt zu sein.“ Diesem Motto entspricht der Roman „Als mir die Welt gehörte“ mit einem sich durch die Welt stehlenden Hauptprotagonisten mit vollen Taschen, seines Zeichens selbsternannter Graf mit Falschgeld in den Händen und Assen im Ärmel. Der Vorarlberger Autor Bastian Kresser erzählt in diesem Werk von einem Hochstapler und Trickbetrüger, dem nicht zu vertrauen ist.

Er beschreibt ein Leben, das auf ein Lügenkonstrukt fußt und sobald es davor ist, einzubrechen, die Biege macht. Was ungeahnte Maße annimmt, fängt beim simplen Taschendiebstahl an, geht über ein Kästchen als angebliche Gelddruckmaschine und mündet sogar im Verkauf des Eiffelturms an einen Schrotthändler und der Beinahe-Aushebelung des gesamten amerikanischen Finanzsystems. Kann sich Dennis Walter, Robert Miller, Edward Schaeffer oder besser gesagt Victor Lustig – so sein wahrer Name – am Ende aus der Schlinge ziehen oder ist sein Weg bereits vorbestimmt?

Vom Kleinen ins Große

Nur ein guter Zuhörer erfährt die Wahrheit. Dieser scheinbar banale Satz aus dem Mund der Großmutter des Protagonisten ist gewichtig, wird das Befolgen dieser Tatsache doch das weitere Schicksal Victor Lustigs bestimmen. Es ebnet ihm den Weg nach Paris als Stadt, in der das Gold auf den Straßen liegt, bringt ihn zum Umdenken über gesellschaftliche Verhältnisse und führt nicht zuletzt zu seiner Bestimmung, Trickbetrüger in Gestalt eines Robin Hood zu werden, der für gerechtere Umverteilung sorgen soll. Letzteres auch zum Vorteil von ihm selbst als arm Geborener, der sich auf Kosten anderer ein besseres Leben ermöglichen will. Gesagt, getan: Victor Lustig, der vielfach seinen Namen änderte und andere Identitäten annahm, um sich aus der Schlinge zu ziehen, lernt Menschen zu lesen und einzuschätzen, Arme von Reichen zu unterscheiden, unterzutauchen und nicht zuletzt perfide Mittel anzuwenden, um sein Gegenüber hinters Licht zu führen, ja aus der Hand fressen zu lassen. Bastian Kresser greift bei der Beschreibung im wahrsten Sinne des Wortes tief in die Trickkiste: So ist es, dass sein Schreibstil wie das Leben der gewieften Hauptfigur ungeahnte Biegungen und Wendungen nimmt, die Leser:innen überkommen und nahezu aus den Angeln heben. Und das meist an Stellen, wo man es am wenigsten ahnt. Bereits die erste Schiffsüberfahrt in die USA manifestiert das geradezu – wer würde ahnen, dass der damals noch kleine Taschendieb einen reichen Wohlgesitteten plötzlich mit einer magischen Geldvervielfältigungsmaschine im Sinne eines Perpetuum mobile derart einwickeln würde, dass dieser ihn nahezu anfleht, sie ihm für ein Vermögen zu verkaufen? In dieser Gangart geht es weiter, Lustig wird zum Player in den Fälscherkreisen, der sein Spiel immer weiter und weiter treibt und in absonderliche Bahnen lenkt. Vervielfältigte edle Weinetiketten und gefälschte Dokumentenaushändigung sind nur ein Teil dieses Experimentes, das abstruseste Züge annimmt. Sowie Lustig seinen Opfern Wahrheiten neben Un- und Halbwahrheiten erzählt und die Geschichte immer so wendet, wie sie sein Gegenüber hören will, lässt er seine Gegenspieler geschickt in ihrem Glauben verhaftet und passt sich ihrer Weltvorstellung an, was sich für seine Täuschungsmanöver und Manipulationszüge als Goldes wert erweist. Der Roman wirft damit auch die Frage auf, wie weit man es mit den Betrugsspielereien treiben kann und, was moralisch überhaupt mit dem Gewissen vereinbar ist. Um Mord und Totschlag geht es dabei weniger, sondern um die Verringerung des Verteilungsungleichgewichts im metaphorischen Sinne. Eine Einordnung Victor Lustigs fällt daher zugegebenermaßen schwer. Gerade weil er Tat für Tat wächst, übermächtiger und vermeintlich unverwundbarer wird, scheint es für ihn paradoxerweise gefährlicher zu werden. Übermut tut selten gut, könnte man sagen. Doch ist es auch so, dass man bei der Lektüre mit dem Protagonisten mitfiebert, wird dieser doch keineswegs als dunkler Ganove beschrieben, sondern als ein armer Bauernsohn mit Gerechtigkeitssinn. Auch das wandelt sich, wie so vieles, im Laufe des Erzählens, sowie seine Ideen, die in die Größenwahnsinnigkeit ausarten, weil es sein Leben ist, das nie zum Stillstand kommt. Lustig kann gar nicht anders: „Ich kann ehrliche Menschen nicht verstehen, sie führen ein langweiliges Leben“, so an einer Stelle des Werkes.

Bewusste Augenwischerei

Basierend auf wahren Begebenheiten, die die Biografie Lustigs charakterisierten, erzählt Autor Kresser von einem Leben, das eigentlich unwirklich anmuten müsste, wäre es nicht so authentisch, sowie teils auch skurril und witzig erzählt, doch immer in einem realistischen Daseinskreis verhaftet, wiewohl dieser mitunter überspannt wird. Mit diesen erzählerischen Mitteln spielt Kresser geradezu. Leerstellen im Lebenslauf – es gibt eine Vielzahl von diesen, sowie auch Widersprüche in der Biografie Lustigs – füllt und richtet Kresser nach seinem Ermessen, wodurch sich der Autor in den Reigen unerwarteter Wendungen sprachlich wie erzählerisch einreiht. Im Schreibprozess geht der Autor gewissermaßen ganz in Analogie zum Handeln und Tun seiner beschriebenen Figur vor: „Es gefällt mir beim Schreiben, Leser:innen in eine Falle zu locken, sprich: in eine gewisse Richtung zu drängen, um dann abrupt eine Abbiegung ins Unerwartete zu machen. Für solche Sprachspiele ist Victor Lustig interessant, sie sind ihm wie auf den Leib geschneidert“, betont Kresser. Man erkennt, Kresser hat viel Recherchearbeit in dieses Romanprojekt hineingelegt, sich aber in den offenen Stellen auch immer wieder die Eigenständigkeit und Freiheit genommen, die Geschichte so zu erzählen und zu wandeln, wie es ihm beliebt. Führt auch er uns – im Sinne von Victor Lustig – hinters Licht? Was kann in einer Beschreibung eines Trickbetrügers, der sich von Lüge zu Lüge hangelt als wahr angesehen werden, was bedeutet Wahrheit auf höherer Ebene überhaupt? Wie findet man sie heraus? Um all das geht es im Buch „Als mir die Welt gehörte“.
Wie die Geschichte endet, wenn man sich von den selbst auferlegten Regeln entfernt, die akribisch Lustigs Erfolg und Korsett ausmachen, kann geahnt werden. Doch fügt es sich auch in die Erwartungshaltung ein? So viel sei gesagt: Sie werden überrascht sein, denn in Lustigs Leben, sowie in diesem Roman, ist nichts plan- oder vorhersehbar. Was selbstredend scheint, wird zerstört und führt sich selbst ad absurdum.

Bastian Kresser: Als mir die Welt gehörte. Braumüller, Wien 2023, 366 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-99200-340-2, € 26