"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Anita Grüneis · 28. Apr 2023 · Theater

Jörg Pohl – der Herr der Meere, der Bühne und des Publikums

„Moby Dick – das Solo“ hieß das TAK-Gastspiel des Basler Theaters im Schaaner SAL.

Hinter diesem einfachen Titel verbarg sich eine Theater-Wucht. Der Schauspieler Jörg Pohl rockte die Bühne über 2 Stunden lang, nonstop. Das war Theater, das im wahrsten Sinne des Wortes mit allen Wassern gewaschen war. Dazu gesellte sich – allerdings nur im Geiste – der Blutkünstler Hermann Nitsch. Um es kurz zu sagen: Es war ein Orgien-Mysterien-Spiel rund um die Walfisch-Jagd, den Schriftsteller Hermann Melville und sein Werk „Moby Dick“ sowie den Menschen in ihrem zerstörerischen Wahn.

Da stand er, ganz allein auf der Bühne, und beherrschte alle. Er war der Autor Hermann Melville und dessen Moby Dick, er war die Schiffs-Mannschaft und das Schiff selbst, er war das Meer und das Wetter. Er beherrschte alles und alle – auch das Publikum. Zwei Stunden lang war Jörg Pohl der Herr der Meere, er lehrte die Zuschauerinnen und Zuschauer das Fürchten vor den Geistern, die er losließ. Er war der Mensch in seinem Rachewahn, und nicht nur das. Sein „Moby Dick – das Solo“ wurde zu einem Abgesang auf den weißen Mann, der nur eines kennt: Die Gier nach Mehr. Und so fing und tötete er einen Wal nach dem anderen, badete in deren Blut, betäubte sich am wertvollen Spermazet und bekam nie genug.

Der Wal muss sterben!

Regisseur Antú Romero Nunes und Schauspieler Jörg Pohl sprengten mit ihrer Inszenierung den üblichen Rahmen von Theaterabenden. Als Bühne genügten ihnen Wind- und Nebelmaschinen und ein perfektes Lichtdesign von Benjamin Hauser. In dieser Szenerie wurde die Welt des Romans von Hermann Melville lebendig. Zu Beginn trat Jörg Pohl im Frack auf (Bühne und Kostüme von Matthias Koch) und entsprach damit ganz der Zeit des Autors und seinem Roman über den Rachefeldzug des Kapitäns Ahab, dem der weiße Pottwal Moby Dick ein Bein abgerissen hatte. Der Wal musste sterben, koste es was es wolle.
Mit dem langen Monolog, der „Obschon“-Litanei, und der Bedeutung der Farbe Weiß wurde auch der Umgang des weißen Mannes mit jenen Stämmen angedeutet, die der Autor aus dem 19. Jahrhundert bei seinen weiten Schiffsreisen erfahren hatte. Diese Erlebnisse hatten ihn zu seinem Roman inspiriert.

Einer ist auch alle

Das Publikum erlebte an diesem Abend einen Schauspiel-Kunst-Besessenen, der seinen eigenen Theaterdonner machte, wenn er ihn brauchte, der seine See-Männer selbst darstellte und das unter anderem mit ihren verschiedenen Arten des Lachens, der kübelweise Wasser über sich schüttete, wenn die See mal wieder extrem rau war, der die Nebelmaschine anwarf und einen großen Bottich auf die Bühne hievte, die mal Mastkorb, mal Rettungsboot war. Dieser Mann Jörg Pohl war an diesem Abend Hermann Melville, alle seine Bootsgefährten, er war Erzähler und Akteur, peitschte das Wetter, jagte den Blaslöchern der Wale, die er mit Wasserflaschen simulierte, Fanghaken hinein und zog ihre Körper mit Hilfe von imaginären Seilen an Bord. Er durchtrennte das Rückenmark und die Schlagader, dabei spritzte das Blut vor den Augen des Publikums und flutete die Bühne. Bilder aus dem Fernsehen wurden wach an jene Buchten in Japan und den Färöer Inseln, die vom Blut der getöteten Wale und Delphine getränkt sind.

Die Bühne als Schiff und Meer

Inzwischen hatte sich der Schauspieler des Fracks entledigt, trug Seemannskleider, redete sich immer wieder in Rage und dann war es, als würden die Erlebnisse aus ihm von selbst sprechen. Nahezu artistisch zeigte er den Kampf mit dem Wal und ließ einen Seerichter über Festfische und Losfische sinnieren. Das gab dringend nötige Atemdenkpausen für das Publikum, auch dann, wenn Jörg Pohl das klingelnde Handy einer Besucherin aus der ersten Reihe spontan in das Spiel einbezog und mit einem warnenden „Obschon“ das Publikum erheiterte. Er baute einfach alles ein – die Rettung eines Mannes über Bord ebenso wie seine Wiederbeatmung an Bord. Die Bühne war Schiff und Meer zugleich und sein souveräner Kapitän hieß Rolf Pohl. Und wenn seine Mannschaft klagte: wir haben kein Brennholz mehr, dann antwortete er: Dann nehmt Pinguine. Die brennen auch. Besser kann man den Zynismus der Menschen im Umgang mit den Ressourcen nicht darstellen. „Es ist doch Menschenmord“, meinte er einmal und antworte selbst darauf: nein, das ist Menschenleben. Dazu regnete es vom Bühnenboden herab, ein Regenbogen zeichnete sich ab. War jetzt Schluss? Nein, der Schauspieler zog sich um, trug nun Jeanshose und -hemd, stapfte durch das Wasser, hörte bedrohliche Geräusche, streute Asche über sein Haupt, legte sich an der Rampe nieder und meinte: „Wer steht über mir? Die Wahrheit.“ 
Und schon sprang er wieder auf, rief: „An die Riemen Männer, Wale.“ Er zerrte den Bottich auf die Bühne, setzte sich hinein und war mitten im Spermazet, der fett- und wachshaltigen Substanz aus der Melone im Kopf von Pottwalen, die teure Substanz Amber, nach der alle jagen. Er schmierte sich das Spermazet über den ganzen Körper und wurde damit zum weißen Mann, rutschte über die blutrote Wasserbühne, stand plötzlich mit roter Fackel im dichten Nebel, wurde zum Leuchtturm und sah zugleich aus wie eine Figur aus dem Film „Begegnung der dritten Art“. Zum Schluss noch einmal eine gewaltige Fontäne, dann Regengeplätscher und Donnerschläge.
Das Publikum wartete ab, begann die Jagd erneut? Nein! Applaus! Stehend und mit großer Hochachtung vor der Leistung dieses Schauspielers, der den Abend alleine kraft seiner Kunst zum außergewöhnlichen Erlebnis werden ließ.

www.tak.li