Neu in den Kinos: „The Substance“ (Foto: Mubi)
Anita Grüneis · 28. Mai 2023 · Musik, Ausstellung

Schlossmediale Werdenberg: Wenn der Wind seine Geschichten erzählt

Neue Musik und tönende Kunst im Städtchen Werdenberg

Die Schlossmediale Werdenberg lässt es dieses Jahr ordentlich krachen. Das zehntägige Festival hat sich dem Thema „Wind“ verschrieben und dementsprechend faucht und donnert, säuselt und zischt es in den alten Schlossgemäuern. Alte und Neue Musik vereinen sich wieder einmal mit audiovisuellen Medien. Dabei entstehen Kunstwerke, die an den Ohren des Publikums rütteln, sie ordentlich durchpusten, oder auch leise schlummern lassen, wobei die Augen gar nicht alles fassen können, was sich in den vier Stockwerken des Schlosses auftürmt oder hineinkuschelt.

Der traditionelle Musik-Begriff ist für die zeitgenössische Musik, die an der Schlossmediale zu hören ist, nicht weit, tief oder breit genug. Denn Musik, wie das Auftragswerk „Werdenberger Fragmente“ von Daniel Ott, entziehen sich dem Bekannten, Gängigen. Sie sind eine eigenständige Klasse für sich. Der Komponist Daniel Ott scheint eher an Schwingungen zwischen Räumen und Menschen, an Tönen und ihren Klängen als am klassischen Musikmachen interessiert zu sein. Und so klang das Werk bei seiner Uraufführung wie eine feinfühlige manchmal auch in sich ruhende Klangstruktur, und es schien, als würden die Töne die alten Dachbalken atmen lassen. Viel frischen Wind gab es bei der Uraufführung des Auftragswerks „Sonarer Wind“, komponiert und gespielt vom Sonar Quartett. „Es tastet die Ränder der klassischen Musik ab, erschafft Utopien und improvisiert Klangabdrücke“, heißt es dazu treffend im Programm. Auch das davor von ihnen gespielte Streichquartett Nr. 2 „Intime Briefe“ von Leoš Janácek klang, als sei es eben geschrieben worden. Viel frischer Wind also im alten Schloss.

Viel Musik aus dem Heute

Schon die Eröffnung war ein klarer Hinweis auf die Richtung, in die das diesjährige Pfingstfestival marschiert: Viel Neue und wenig Alte Musik, Spitzenmusiker:innen und spannende Kunstwerke, die das Schloss zu einem Zauberschloss werden lassen. Ob das die Schlossapotheke ist, in denen zwischen Teppichen aus braunen Blättern die kleinen Skulpturen aus Carrara-Marmor von Meret Dorothea Gerber strahlen, oder die Alltagsgegenstände, die Yasuaki Onishi auftürmte und in Folien hüllte, wodurch sie zwar weiterhin sichtbar sind, aber nebulös, und außerdem zu atmen scheinen. Andreas Schröder schuf in einem verspiegelten Nebenraum fliegende Bücher, ihre Seiten hängen an feinen Fäden und drehen sich im Ventilator-Wind. Lesen im Wind. Im Dachgeschoss hat der Stipendiat und Künstler im Fokus Ban Lei über 150 Holzvögel mit Blasebalgbäuchen aufgehängt, mit denen die Besucher:innen ihr eigenes Konzert spielen dürfen. Ebenfalls mitarbeiten darf man bei der Installation von Alexander Moosbrugger in der Turmzinne. Dank Handpumpen und Orgelpfeifen, die der Musiker nach den Anfangsbuchstaben der letzten Schlossbewohnerinnen stimmte, schwirren die Töne höher und höher und entschwinden durch die Mauerritzen. Das ist nur eine kleine Auswahl der diesjährigen Werke, daneben sind weitere Installationen und Gemälde im Schloss zu finden und alle befassen sich mit dem Thema „Wind“.

Mit der Sho und Orgelpfeifen

Bei den Instrumenten steht dieses Jahr die Sho, eine japanische Mundorgel, im Fokus. Beim Eröffnungskonzert zeigte Naomi Sato dem Publikum, dass diese kleine Orgel das Innerste nach Außen bringen kann, dass die Intimität des Spiels keine Spielerei erlaubt, dass Konzentration das Wesentliche ist. Eine meditative Einstimmung und eine perfekte Verbindung von altem Instrument und neuer Musik. Komponist im Fokus ist Daniel Ott, dessen Werk „Molto Semplicimente“ von Teodoro Anzellotti interpretiert wurde, für den es auch geschrieben ist. Das Akkordeon klagte, es atmete hörbar laut, einzelne Töne stahlen sich davon, eine Basslinie warnte und verhallte dann doch im Wind, dazu pfiff und stampfte der Musiker und schimpfte lautstark über die verlogene Politik. Für einen weiteren Höhepunkt dieses Konzertes sorgte das Trio Rumori Forti vom Züricher Tonhalle-Orchester. Mit Donnerblech und Windmaschinen und noch viel mehr fegte ein Sturmwind durch das alte Dachgebälk des Schlosses. Ein atemberaubendes Tempo, ein donnernder Platzregen und irgendwo tropfte es dauernd auf einen Stein, dann wieder mächtige Donnerschläge, Kuckucksrufe und plötzlich ein Rhythmus. Das Gewitterherz? Ein Gewittertanz? Auf alle Fälle Power pur. So ist die Schlossmediale eben, sie schöpft aus der Kraft des Neuen, aus dem Heute. Und noch nebenbei: Das Team der Schlossmediale baute mit seinem technischen Leiter Jörg Schildbach im Schlosshof ein Windrad auf, das zu einer Ladestation für Handys wurde.

Die Schlossmediale dauert bis 4. Juni 2023.
http://www.schlossmediale.ch