Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Niedermair · 20. Okt 2023 · Literatur

Nikolaus Walter: „Gegen die Betten gerichtet“

Neuer Fotoband von Nikolaus Walter

Nikolaus Walter hat über Jahrzehnte ganz viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens in Vorarlberg mit seiner Kamera bildlich festgehalten, seine Schwarz-Weiß-Fotografien zählen zum auserlesen Feinsten, was es in Vorarlberg gibt. Der in Feldkirch lebende Fotokünstler (*1945) widmet sich in diesem Bildband einem Thema, das ganz wesentlich zum Leben gehört: dem Schlaf und seiner Umgebung.

„Er hat den liebevollen Blick auf die leeren Schlafzimmer mit den aufgetürmten weißen Decken – so, als sähe er dahinter die Menschen, die darin schlafen.“ (Monika Helfer) Das von Laurenz Feinig gestaltete Buch mit einem Vorwort von Andreas Rudigier enthält Fotos aus den Jahren 1968 bis 2023, Texte von Johanna Ess, Monika Helfer sowie Gedichte von Willibald Feinig.
Das Thema habe ihn gesucht und gefunden, erzählt er zu Beginn des Gesprächs. Er hat die Fotos, die nie den Weg in eine Schachtel gefunden haben, aufeinander gestapelt. Daraus seien Fototürme gewachsen, Aufnahmen von Schlafzimmern, die faszinierende Blicke öffnen und auf das Thema auch ein intimes historisches Panorama ergeben, hintereinander. In diesen Fotografien wird die künstlerisch motivierte Lust des Fotografen sichtbar, mehrere Schlafzimmer und Schlafgelegenheiten in ihrer wesentlichen Funktion und auch Einzigartigkeit zu portraitieren. Menschen tauchen nur selten auf wenigen Aufnahmen auf und wenn, dann höchstens in Teilen. Zentral auf allen Fotos ist das Möbel im Format der Bettstatt/Schlafgelegenheit in unterschiedlichsten Varianten. Vom Ausziehbett bis zum Jugendbett mit Matratze am Boden, vom Spitalsbett bis zum Hochbett, vom Gitterbett bis zum Schlafzimmer mit „aufgegupftem“ Bettzeug, vom Altersheimbett in Röthis bis zum Doppelbett in einem Feldkircher Schlafzimmer oder dem Klosterbett in Bludenz, man kann sich bei manchen Bildern nicht vorstellen, dass es diese Bettform überhaupt gibt. Wie er denn in all diese Schlafzimmer gekommen sei, frage ich ihn. Er habe zuerst Freunde gefragt, was relativ einfach gewesen sei. Die Betten waren gemacht. Die Ikea Bettenwelt habe ihn nicht interessiert. Deshalb habe er die Suche erweitert. Bei einem Friseurtermin habe er die Friseurin nach Schlafzimmern gefragt. Sie habe ihm etliche Telefonnummern organisiert.  Bei zwei- und mehrdeutigen Begegnungen, sei es ihm gelungen, aus diversen „Verderbtheiten“, die absehbar waren, herauszukommen. Letzten Endes waren viele Schlafzimmertüren geöffnet, vom traditionell eingerichteten bis zu französischen Modellen, darunter auch solche aus Papier.

„Das Leben ist voll von unglaublichen Dingen!”

Im kanadischen Toronto hat der Künstler an einer Schlafzimmertür ein Schild gesehen: „Beds for Men, one Dollar (and up) daily or weekly“. Nikolaus Walter hat viele Schlafstätten durchfotografiert, mit belegten und unbelegten Betten, Zimmer von Gastarbeitern und einer Teekanne am Tisch. Ein wunderbarer Grafiker habe ihn bei der Gestaltung sehr unterstützt, Laurenz Feinig. Dieser brachte seinen kompetenten Blick ein, habe es im Großen so gelassen, wie Nikolaus es wollte, vor allem die vielen feinen Details, die dieser herausgeholt habe. Auch das Mäppchen sei gestalterisch entsprechend ausgefallen. Beim ersten Band, den er vor Jahren mit Johanna Ess zusammenstellte, war der Dornbirner Grafiker Nolde Luger für die Gestaltung zuständig. Dieser erste Band mit Schlafzimmeraufnahmen fand damals großes Echo, ebenso wie die Ausstellung. Es lag irgendwie in der Luft, viel Neugierde sei spürbar gewesen. Auch Nebentöne und die ganze Verderbtheit schwangen mit. Paris ... die Assoziationen.
Karlheinz Pichler attestiert dem in Feldkirch lebenden Fotografen in einer Besprechung, die in dieser Zeitschrift im August 2016 erschienen ist: „Nikolaus Walter hatte immer schon ein ausgeprägtes Gespür für Geschichten, die beiläufig geschehen und erst bei genauem Hinsehen ins Auge stechen. Wenn er etwa auf Reisen in Ländern wie Nicaragua, USA, Kanada, Indien, Neufundland, Neuseeland, Großbritannien, Skandinavien oder Portugal und anderen war, so interessierten ihn nie die schönen Seiten, das Postkartenhafte dieser Staaten, sondern vielmehr die Orte, Verhältnisse und sozialen Abläufe, die das Skurrile, Randständige, Unprätentiöse, das gern Übersehene im Alltag hervorkehren. Und stets ist der Bezug zum Menschen respektive dem Zwischenmenschlichen gegeben. Die Spuren und mitunter kuriosen Setzungen, die im Alltäglichen verborgen liegen, und die Abdrücke, die die Menschen am Rande der Gesellschaft hinterlassen, sind es, die er mit seiner Kamera fokussiert. Vordergründig Banales wie etwa Köpfe von Frauen, Männern und Kindern von hinten, oder vor der Öffentlichkeit Verborgenes wie die Arbeitswelten in Fabriken, oder Außenseiter der Gesellschaft in ihren speziellen Umgebungen, oder auch simple Zeichen und Beschriftungen auf Mauerwerken oder Fassaden, – das sind die Stoffe, die ihn über Jahrzehnte hinweg immer wieder angezogen haben.“

„Was sagt uns der Blick ins Schlafzimmer?“ 

Der Fotograf, der seinen „festen Platz in der österreichischen Fotografie“ (Anton Holzer) seit Jahrzehnten mit größtenteils dokumentarischer Arbeit behauptet, beschäftigt sich in diesem Bildband intensiv und aus vielfältigen Blickwinkeln mit einem Thema, das so sehr zum Leben gehört, dass es kaum der Erwähnung wert erscheint. Andreas Rudigier in seinem Vorwort: „Was sagt uns also der Blick ins Schlafzimmer? Ordnung, Unordnung, kultureller Hintergrund, städtischer oder ländlicher Wohnort, bildungsnahes oder bildungsfernes Umfeld, jugendliches Ambiente oder Krankenhauscharme, dekorative Bettenburgen oder vergitterte Fenster. Wirklichkeit versus Vorurteile? Von außen lassen sich weniger Urteile fällen, aber die Wäsche beziehungsweise das Leintuch, das aus dem Fenster hängt, kann schon mal als Zeichen ‚die Luft ist rein‘ verstanden werden, wenn wir die Schmugglergeschichten aus den Bergen in Erinnerung rufen. (…) Nikolaus Walter erlaubt sich kein Urteil. Er beobachtet und hält fest. Urteile fällen die Beobachterinnen und Beobachter – weil sie geprägt sind von Erinnerungen und Erfahrungen.“

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der KULTUR Oktober 2023 erschienen.

Nikolaus Walter: Gegen die Betten gerichtet. Fotohof edition, Bd. 362/vol. 326, Salzburg 2023, 160 Seiten mit 136 s/w-Bildern in Duotone, Softcover, ISBN: 978 3 903334 62 5, 34 €
Buchpräsentation: 20.10.23, 19 Uhr,
ulrich | natürlich schlafen wohnen, Herrengasse 7, Feldkirch