Neu in den Kinos: „Primadonna – Das Mädchen von morgen“
In ihrem Spielfilmdebüt erzählt Marta Savina vom Kampf einer jungen Sizilianerin, die in den 1960er Jahren mit einem Gerichtsprozess Emanzipationsgeschichte schrieb. Klassisches Erzählkino, das seine Botschaft mit Nachdruck in den Vordergrund stellt.
Dass Lia (Claudia Gusmano) eigenwilliger ist als die anderen jungen Frauen, erkennt man sofort. Wenn sie nach einem Streit mit dem kleinen Bruder davoneilt, bindet sie sich zwar das Kopftuch um, wie die Mutter (Manuela Ventura) es ihr befiehlt, doch kaum hat sie das Haus verlassen, verschwindet es in der Manteltasche. Den Geldschein, den sie der Madonna auf dem Dorfplatz schenken und somit der Kirche spenden soll, tauscht sie gegen einen anderen ein. Die Rolle der heiligen Maria lässt sie der Pfarrer, zu dem sie eben geeilt ist, heuer erneut nicht spielen. „Auch dieses Jahr nicht“, sagt sie wenige Augenblicke später zum Vater (Fabrizio Ferracane), neben dem sie Saatfurchen in die trockene Erde zieht. „Besser so“, meint dieser.
Denn mit der Kirche hat Bauer Crimi ebenso wenig am Hut wie mit der reichen Familie Musicò. Dazu gehört in dem sizilianischen Dorf in den 1960er Jahren ein gewisser Mut. Vor allem vor dem aus Deutschland heimgekehrten Lorenzo Musicò (Dario Aita), dem Sohn des hiesigen Mafiabosses, warnt der Vater seine 21-jährige Tochter. Lorenzo macht Lia, die seinen Avancen anfänglich nicht abgeneigt ist, nämlich den Hof – bis sie dessen wahres Gesicht erkennt und ihn abblitzen lässt. Woraufhin Lorenzo mit seinen Kumpanen Lia und ihren Bruder entführt und die Mutter brutal niederschlägt. Der kleine Bruder wird wenig später freigelassen, Lia muss bleiben. Eine „Liebesflucht“ nennt der Priester später die Entführung und Vergewaltigung. Mit der nun selbstverständlich stattfindenden Heirat sei alles wieder in Ordnung. Doch Lia möchte ihren Peiniger nicht ehelichen – als „Primadonna“ ist sie die erste sizilianische Frau, die sich dem „Brauchtum“ der „matrimonio riparatore“, bei der die Ehre der Entführten durch anschließende Heirat „wiederhergestellt“ wird, widersetzt. Die erzwungene Verlobungsfeier endet anders als erwartet: Lia bringt Musicò und seine Helfer vor Gericht.
Gesetz des Patriarchats
„Primadonna“ ist klassisches Erzählkino, von der in Florenz geborenen und in Sizilien aufgewachsenen Regisseurin Marta Savina von der ersten bis zur letzten Szene konventionell inszeniert. Es ist die Geschichte des Kampfes einer jungen Frau gegen das archaische Gesetz eines Patriarchats, das sich nicht nur in der sizilianischen Nachkriegsgesellschaft, sondern sogar bis 1981 im italienischen Strafrecht widerspiegelt. Savinas Film beruht, teils stark vereinfacht, auf der wahren Geschichte der Franca Viola, die sich Mitte der 1960er Jahre weigerte, den umstrittenen Artikel im Gesetzbuch zu akzeptieren und ihren Vergewaltiger vor Gericht anklagte.
Nach Lorenzos unerwarteter Verhaftung nehmen die Dinge den erwarteten Verlauf, den Savina lehrbuchmäßig illustriert: dem Vater werden nächtens die Felder ruiniert, die örtlichen Carabinieri verschränken die Arme, der Priester verweigert Lia die Teilnahme an der Messe. Die Familie verlässt das Haus nicht mehr, mit dem kleinen Bruder geht man nächtens ans Meer zum Baden. Nur von anderen Außenseitern ist Hilfe zu erwarten: Der schwule Ex-Bürgermeister Orlando, offensichtlich aus dem Amt gejagt, erklärt sich bereit, Lias Mandat vor Gericht zu übernehmen, und die Prostituierte Ines bietet ihr feministische Unterstützung. Auf die psychischen Folgen der Vergewaltigung geht Savina hingegen in keiner Weise ein: Ihre Heldin ist ausschließlich Kämpferin, die sich von niemandem etwas vorschreiben lässt.
Mit dem letzten Drittel wird „Primadonna“ zum Gerichtsdrama, in dem es nicht darum geht, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen, sondern die Unrechtmäßigkeit des geschriebenen Gesetzes aufzuzeigen. Einen triumphalen Erfolg gibt es nicht zu feiern. Sie hätten nichts gewonnen, meint der Vater nach dem Prozess. Ein Urteil ist schnell verkündet, das Leben danach in derselben Gemeinschaft kann hingegen noch sehr lange dauern.
Ab 6.7., TaSKino im GUK Feldkirch (OmU)