Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ am Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Michael Pekler · 28. Dez 2024 · Film

Neu in den Kinos: „Nosferatu – Der Untote“

Mit seiner Neuverfilmung von Bram Stokers „Dracula“ möchte US-Regisseur Robert Eggers dem Gruselklassiker neues Leben einhauchen. Bemerkenswert an seiner Adaption ist allenfalls das Röcheln des blutsaugenden Grafen, der sich schon wieder voller Lust und mit tausenden Ratten in die deutsche Kleinstadt aufmacht.

Der berühmteste Blutsauger der Literaturgeschichte ist entgegen seiner Bestimmung nicht totzukriegen. Was Bram Stoker in seinem 1897 erschienenen Roman vor Augen hatte, nämlich die endgültige Vernichtung der bereits lange Zeit zuvor im Volksglauben herumspukenden Gestalt, bewirkte ironischerweise das Gegenteil: Der populärste aller Vampire konnte sich in den folgenden hundert Jahren im kollektiven Gedächtnis erst so richtig festbeißen. Und damit im aktuellen Kinofilm „Nosferatu“ erneut auferstehen.
Die Frage, warum es dieser neuen Adaption von US-Regisseur Robert Eggers („Der Leuchtturm“) bedarf, sollte man sich also besser nicht stellen. Hier genügt die einfache Erklärung, die für alle sagenhaften Gestalten des Horrorfilms zutrifft: Man begegnet einem alten Bekannten wieder, der einem zwar das Fürchten lehren soll, von dem man aber genau weiß, wer er ist, was er vorhat und wie er endet. Zumindest bis zum nächsten Mal. In dieser Hinsicht sind Dracula, Wolfman und die Mumie nicht besser dran als ihre popkulturellen Nachfahren Michael Myers und Freddy Krueger. Spannender hingegen ist die Frage, wie mit den fantastischen Figuren im Laufe der Jahrzehnte jeweils verfahren wurde – und in dieser Hinsicht überrascht „Nosferatu“ mit einer nahezu konservativen Interpretation.

Langer Schnurrbart, spitze Nase

Thomas Hutter (Nicholas Hoult), ein junger deutscher Anwalt, reist also – wie sein literarisches Vorbild Jonathan Harker aus London – nach Transsylvanien, um mit einem dort ansässigen Grafen (Bill Skarsgård) über den Ankauf eines Grundstücks zu verhandeln. Ohne persönliche Vorsprache sei das Geschäft nicht abzuschließen, lässt ihn der Kanzleidirektor wissen, und wir wiederum wissen recht bald, dass der aus der östlichen Ferne bereits manipulierte Herr Knock damit sein erstes Opfer auf die Reise geschickt hat. Hutters Ehefrau Ellen (Lily-Rose Depp), seit ihrer Kindheit mit einer unerklärlichen Beziehung zum Grafen gesegnet, bleibt nichts anderes übrig, als von Albträumen geplagt zu werden und bei einem befreundeten Ehepaar Unterschlupf zu finden. Es folgen graue Gebirgslandschaften, fahrendes Volk, heulende Wölfe im Vollmond und ein verfallenes Schloss als Hauptwohnsitz des Bösen, von dem man lange Zeit nur eine spitze Nase und einen langen Schnurrbart zu sehen bekommt und das als „Lord“ angesprochen werden will.
„Nosferatu“ möchte nicht Kinogeschichte schreiben, sondern diese fortschreiben. Eggers will seine Adaption als unmittelbare Hommage an Friedrich Wilhelm Murnaus expressionistischen Stummfilmklassiker (1922) mit Max Schreck verstanden wissen, von dem er große Teile der Erzählung (Murnaus Drehbuch stammte vom österreichisch-ukrainischen Autor Henrik Galeen) und Figuren übernimmt. Eggers’ computergenerierte Bilder lassen die Schauerromantik hochleben, die riesige schwarze Hand Draculas greift mit ihren langen Krallen nach der mittelalterlichen deutschen Kleinstadt, und der willfährige Knock mutiert in der Irrenanstalt zum Monstrum, während sich seine Lordschaft auf dem Rattenschiff auf den Weg zu seiner Braut macht. Da hat der inzwischen heimgekehrte Hutter schon eine Bisswunde auf der Brust und die Gewissheit, dass nur seiner Frau die Erlösung von dem Bösen gelingen kann. Falls sie bis zum Hahnenschrei durchhält.

Bizarres Röcheln, lustvolles Band

Denn wie kein anderes Subgenre des Horrors lebt der Mythos vom Vampir von der Angst vor der triebhaften Sexualität. „Come to me!“, sehnt sich Ellen das Ungeheuerliche in ihren Träumen herbei. Dem romantischen Vampir mochte man noch mit Knoblauch und Eberesche beikommen, doch schon bei Stoker ist es die mehr oder weniger aufgeklärte Wissenschaft, die sich für den Abwehrkampf versammelt. Bei Eggers übernimmt diese Rolle Willem Dafoe mit dem schaurig schönen Namen Professor Albin Eberhart von Franz, der – mit Hang zum Okkultismus – als Einziger die durch ein unsichtbares lustvolles Band geknüpfte Seelenpein Ellens versteht.
Dass Eggers’ Verfilmung dem alten Stoff überraschend wenig Neues hinzuzufügen weiß, ist dem Umstand geschuldet, dass er seine Schauermär vorrangig als Augenschmaus auftischt. Gassen, Gruft und Gräber in digitalem Schwarzgraubraun sorgen für Schauwert, aber kaum für Atmosphäre. Des Grafen röchelnde Stimme, klingt als pfeife er aus dem letzten Loch, gar unfreiwillig bizarr. Zahlreiche Motive, die bereits vor und nach Bram Stoker jeder Legende über Vampire den Boden aufbereiten, schimmern bei Eggers hingegen nur hin und wieder durch. Für viele aufgerissene Augen zumindest auf der Leinwand genügt das aber allemal.

Kinothek Lustenau, Cineplexx Hohenems