Das Duo-Tanzstück „Somatic Tratata“ beim tanz ist-Festival am Dornbirner Spielboden. (Foto: Stefan Hauer)
Michael Pekler · 03. Jul 2024 · Film

Neu in den Kinos: „Kinds of Kindness“

Nach seinem heftig akklamierten „Poor Things“ legt Yorgos Lanthimos bereits wenige Monate später seinen nächsten Film vor: „Kinds of Kindness“ ist ein knapp dreistündiges skurriles Triptychon über die Rätselhaftigkeit des menschlichen Daseins schlechthin. Worin diese liegt, muss man allerdings selbst herausfinden.

Die Rätselhaftigkeit eines Rätsels kann manchmal darin bestehen, dass man es gar nicht lösen kann. Nun könnte man behaupten, dass es sich in so einem Fall um ein sehr schlechtes Rätsel handelt, weil es einem die Möglichkeit einer Lösung schlicht verweigert. Es könnte aber auch sein, dass es sich bei der Denkaufgabe um „Kinds of Kindness“ von Yorgos Lanthimos handelt – und des Rätsels Lösung im Film selbst gar nicht zu finden ist.
Dass der griechische Starregisseur, unlängst bei der Oscarverleihung für „Poor Things“ mit Auszeichnungen überhäuft, in erstaunlich kurzem Abstand bereits seinen nächsten Film – wiederum mit Emma Stone und Willem Dafoe in Hauptrollen – vorlegt, liegt nach eigener Aussage an der aufwändigen und entsprechend langen Postproduktion des Vorgängers. Und im Gegensatz zu seinem surrealistisch bunten Kostümdrama mutet „Kinds of Kindness“ tatsächlich vergleichsweise realistisch an. Was nicht heißt, dass man in diesem Triptychon nicht auf Szenen gefasst sein sollte, deren Entschlüsselung man entweder freudig annimmt, verzweifelt aufgibt – oder gelangweilt ignoriert.
„Kinds of Kindness“ versammelt drei Kurzgeschichten aus der Gegenwart, angesiedelt im US-amerikanischen Süden, von denen man versucht ist zu behaupten, sie würden lose zusammenhängen. Was auf den ersten Blick aber nur daran liegt, dass das gesamte Darstellerensemble – allen voran Stone, Defoe und der neu hinzugekommene Jesse Plemons – in allen drei Filmen in unterschiedlichen Rollen auftaucht und jedes Segment eine Figur namens „R.M.F.“ im Titel führt (ohne dass man erfährt, um wen es sich dabei handelt); vor allem aber daran, dass die jeweils knapp einstündigen Geschichten eine Verbindung suggerieren, die man wie ein verstecktes Rätsel erst finden muss. 

Manipulation und Macht

In der ersten Episode spielt Plemons, längst einer der eindrucksvollsten Charakterdarsteller Hollywoods, einen verheirateten Geschäftsmann namens Robert, dessen Leben völlig unter der Kontrolle seines Vorgesetzten Raymond (Defoe) steht. Robert verdankt Raymond offensichtlich alles – Haus, Geld und sogar seine Ehefrau. Als der Chef von ihm verlangt, dass er einen Mord begeht und sein Untertan sich widersetzt, wird nicht nur Roberts Abhängigkeit auf die Probe gestellt, sondern taucht mit Rita (Stone) sofort eine scheinbar willfährige Nachfolgerin auf. In der nächsten Episode, die einen mit dem alten Doppelgänger-Motiv konfrontiert, spielt Plemons den Polizisten Daniel, dessen bei einem Bootsausflug verschollene Frau eines Tages wieder vor der Türe steht – äußerlich unverändert, allerdings mit ungewöhnlichen Verhaltensweisen und zu großen Füßen. Was Daniel dazu veranlasst, von der Heimkehrerin Liebesbeweise zu verlangen, die über die Schmerzgrenze hinausgehen. Und im letzten Segment machen sich Plemons und Stone als Anhänger einer religiösen Sekte auf die Suche nach einer jungen Frau, die angeblich Tote wieder zum Leben erwecken kann. 

Schuldiger Gehorsam

„Kinds of Kindness“ ist die erste Zusammenarbeit von Lanthimos und seinem langjährigen Schreibpartner Efthimis Filippou seit „The Killing of a Sacred Deer“ (2017), und tatsächlich erinnert dieser Film wieder stärker an Lanthimos‘ griechische Anfänge, ehe er zum Regiestar und Liebling Hollywoods avancierte. Auch werden die Episoden ästhetisch durch die Kameraarbeit von Robbie Ryan und durch eine satte Farbgestaltung zusammengehalten. Doch wovon erzählen die einzelnen Geschichten im großen Ganzen? Von Macht und Abhängigkeit, von Obsessionen und Wahn, von Irrglauben und Grausamkeit. Vor allem von schuldigem Gehorsam. Doch man könnte diese Reihe unendlich fortsetzen und fragen, wovon „Kinds of Kindness“ eigentlich nicht berichtet. Und man käme zum Schluss, dass man in diesem Film trotz oder vielleicht gerade aufgrund seiner Skurrilität über das Menschsein jeweils das erkennen kann, was man will. Die klare Botschaft wie zuletzt in „Poor Things“, man wird sie nicht finden. Das mag für manche eine Schwäche dieses Films sein, ist in seiner Rätselhaftigkeit womöglich aber auch seine wahre Stärke: „R.M.F.“, das könnten wir alle sein. 

ab 4.7., Cinema Dornbirn