Neu in den Kinos: „791 km“
Im deutschen Roadmovie von Tobi Baumann echauffieren sich vier Fahrgäste und ihr Chauffeur von München nach Hamburg über globale Krisen und persönliche Befindlichkeiten. Ein Feelgood-Film, der behauptet, dass man gut ans Ziel kommt, wenn man menschlich richtig unterwegs ist.
Man nehme eine Handvoll unterschiedlicher Menschen unterschiedlichen Charakters, stecke sie in einen Raum und konfrontiere die geschlossene Gesellschaft mit sich selbst. Dann sind die Hölle bekanntlich die anderen und man sieht in den eigenen Abgrund. Als besonders zweckdienlich für dieses klassische Motiv der Zwangsgemeinschaft, das sich das Kino von der Literatur abgeschaut hat, erweisen sich nach wie vor abgelegene Orte oder gerne auch diverse Fahrzeuge wie Schiffe oder Züge – oder ein Taxi, das von München nach Hamburg exakt 791 Kilometer unterwegs ist.
Bunter Haufen
In „791 km“ ist es nun einmal mehr der Zufall, der die bunt zusammengewürfelte Reisegruppe, die sich auf engstem Raum eine Fahrgelegenheit teilen muss, bestimmt. Sturmtief Herwarth hat Züge und Flughäfen lahmgelegt, weshalb sich alle auf die deutschen Autobahnen drängen. Und vier Passagiere sich in das Taxi von Josef (Joachim Król), einem grummeligen alten weißen Mann, der dummerweise vergessen hat, sein Bereitschaftslicht auszumachen, was eine Alt-68erin und pensionierte Hippie-Aktivistin (Iris Berben), eine Business-Karrieristin mit Migrationshintergrund (Nilam Farooq), ihr woker Freund und Teilzeitphysiotherapeut (Ben Münchow) sowie eine junge Frau (Lena Urzendowsky), deren besonderes Kennzeichen eine kognitive Beeinträchtigung sein soll, mit Taxigutscheinen ausnützen. Und schon geht es los.
Die unglaubwürdige Konstellation birgt Konfliktpotenzial, das sich rasch an den unterschiedlichen Themen entzündet, über die man während einer nächtlichen Autofahrt sprechen muss: Ökoterrorismus, Cancel Culture, politische Eliten und beleidigte Minderheiten werden als ideologischer Zündstoff zwar gewissenhaft, aber relativ schnell abgehandelt. Denn die Agenda dieses Films ist natürlich eine andere: Harmonie statt Disput. „Wir san uns manchmal völlig fremd, doch froh, dass wir uns habn“, weiß das österreichische Liedgut, und auch im deutschen Taxi wächst man langsam z‘samm.
Multiple Krisen
Möglich wird dies natürlich nur, indem sich erste Risse im psychologischen Panzer auftun und man allseits erkennt, dass das Eingeständnis von Schwäche ein Zeichen der Stärke ist. Dass man niemanden vorschnell beurteilen soll, schon gar nicht im Laufe einer Nacht auf der Autobahn. Denn es kann gut sein, dass man nur ans Ziel gelangt, wenn man ein von Herwarth auf die Straße gewehtes Schild gemeinsam aus dem Weg räumt.
Womit schnell ersichtlich ist, worauf es Drehbuchautor Gernot Gricksch („Die Drei von der Müllabfuhr“) und Regisseur Tobi Baumann („Der Wixxer“), beide vor allem durch die deutsche Fernsehlandschaft unterwegs, in ihrem Roadmovie abgesehen haben: um das Überwinden von Vorurteilen in einer von multiplen Krisen gebeutelten Wohlstandsgesellschaft. Das ist natürlich schwer didaktisch, als massentauglicher Unterhaltsfilm letztlich jedoch überraschend erträglich. Was wiederum daran liegt, dass man die allgemeine Überforderung der Fahrgäste wohlwollend goutiert, weil sie zumindest für zwei Stunden im Kino nicht die eigene ist. Sondern für eine kurze Zeit während einer langen Fahrt sich andere für uns streiten und versöhnen dürfen.