Aktuell in den Filmclubs (15.12. – 21.12. 2023)
Kammerspiel kontra Roadmovie: Die LeinwandLounge in der Remise Bludenz zeigt als letzten Film dieses Jahres das pointierte und von einem bestens aufgelegten Ensemble getragene Schweizer Kammerspiel „Die Nachbarn von oben“. Beim Filmforum Bregenz lädt Jafar Panahis Sohn Panah in seinem Spielfilmdebüt „Jaddeh Khaki – Hit the Road“ dagegen zu einer Reise durch den Iran ein, die auch Einblick in die Angst und die Repression bietet, die im Land der Ayatollahs herrschen..
Die Nachbarn von oben: Ein Paar, das in einer Beziehungskrise steckt, lädt die neuen Nachbarn, die mit ihrem lustvollen Liebesspiel immer wieder die Nachtruhe stören, zum Apéro ein.
Gut kann man sich den sich auf diesen Abend beschränkenden und weitgehend in der Wohnung von Anna (Ursina Lardi) und Tom (Roeland Wiesnekker) spielenden Film, der ja auch auf Cesc Gays Theaterstück „Los Vecinos de Arriba“ beruht, auf der Bühne vorstellen, doch der Schnitt löst diese Statik auf. Der Gesamtansicht beim Theater steht hier die wechselnde Fokussierung auf die einzelnen Protagonist:innen gegenüber und mit zahlreichen Großaufnahmen, die immer wieder in den Gesichtern des Paares und ihrer beiden Gäste Lisa (Sarah Spale) und Salvi (Max Simonischek) lesen lassen, dynamisieren Sabine Boss und Editor Stefan Kaelin die Handlung nicht nur, sondern verleihen ihr mit dem richtigen Timing des Schnitts auch zusätzlich Pfiff.
Vertrauen kann Boss dabei auch auf ihr bestens harmonierendes und mit sichtlicher Spielfreude agierendes Schauspieler:innen-Quartett. Großartig ist Roeland Wiesnekker als Tom, der zunächst als unsympathischer „Kotzbrocken“ erscheint, aber schließlich auch Einblick in seine Frustrationen bietet. Mit großer Zurückhaltung spielt dagegen Ursina Lardi, bei deren Anna man spürt, wie sehr sie das unbefriedigende Leben mit Tom zermürbt und wie sehr sie sich nach Lebensfreude sehnt, sich aber bislang noch nicht durchringen konnte, ihren Mann zu verlassen.
Treffender Gegenpol dazu sind die lockeren und offenen Gäste. Eine hinreißende Karikatur einer Psychologin ist Sarah Spales Lisa, die immer einen guten Tipp auf den Lippen hat. Ein gehöriges Maß Männlichkeit versprüht dagegen Max Simonischek als Salvi, der zwar nicht so gebildet ist wie der mit Fremdwörtern um sich werfende Tom, aber mit seinem Charme bei den Frauen zu landen scheint.
So offen und schlagfertig freilich über Sex geredet wird, so zurückhaltend bleibt der Film auf der visuellen Ebene. Denn wer hier Sexszenen erwartet, ist im falschen Film. Ganz von den Dialogen lebt „Die Nachbarn von oben“, die kommen aber so rasant und treffsicher, dass die kompakten 88 Minuten wie im Flug vergehen und nicht nur viel zum Lachen bieten, sondern auch zum Nachdenken anregen können.
LeinwandLounge in der Remise Bludenz: Mi 20.12., 19 Uhr
Jaddeh Khaki – Hit the Road: Panah Panahi, der Sohn des mit Arbeitsverbot belegten und dennoch stets neue Filme drehenden Jafar Panahi, schickt in seinem Spielfilmdebüt eine vierköpfige iranische Familie in einem SUV auf eine Reise durch den ländlichen Iran. Das Verhalten der Familie, aber auch einzelne Begegnungen bieten Einblick in die Angst und Repression, die im Land der Ayatollahs herrschen, aber auch der Grund der Reise tritt langsam zutage.
Keine Innenszenen gibt es, durchgängig auf den Landstraßen und in weiter Landschaft spielt „Hit the Road“. Im Wechsel von klaustrophobisch engen Szenen im Auto und Totalen der großartigen Landschaft entwickelt sich dabei ein warmherziges Familienporträt, das aber zunehmend auch von Bitterkeit über eine bevorstehende Trennung durchzogen ist. Dennoch kommen Situationskomik und surrealer Witz nicht zu kurz und sorgen in Verbindung mit Panahis spürbarer Menschenliebe dafür, dass dieses zwischen Humor und Melancholie balancierende Roadmovie trotz des ernsten Hintergrunds immer leicht und unterhaltsam bleibt.
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 21.12., 20 Uhr
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