Musikalische Freiheiten ausgelotet
Das Ensemble Plus bewegte sich in einem großen stilistischen Radius
Vier Kompositionen aus unterschiedlichen stilistischen Richtungen vereinigte das Ensemble Plus im Rahmen des dritten Konzertes der Reihe Sul Palco in der Bludenzer Fabrik Klarenbrunn. Werke von Arnold Schönberg, Karl-Heinz Stockhausen, Frederic Rzewski und Hannah Kendall aus den Jahren 1946, 1968, 1971 und 2021 bescherten dem Publikum vielgestaltige Höreindrücke und stellten die Musiker:innen vor enorme Herausforderungen. Sie nahmen sie an und stellten damit ihre Vielseitigkeit unter Beweis.
Im Raum verteilt nahmen die Musiker:innen zu Beginn das Publikum in ihre Mitte und interpretierten das erste Stück aus Stockhausens berühmtem Zyklus „Aus den sieben Tagen“. Auf der Suche nach dem Wesen der sogenannten „intuitiven Musik“ und des intuitiven Musizierens hat Stockhausen einen Text als Spielanweisung vorgelegt, in dem es um die„richtige Dauer“ geht. Eine Textpassage lautet: „Spiele einen Ton, spiele ihn so lange, bis du spürst, daß Du aufhören sollst." Eigentlich ist das Werk für vier Spieler:innen vorgesehen, doch das Ensemble Plus präsentierte das Stück mit Violine (Michaela Girardi), Viola (Guy Speyers), Violoncello (Jessica Kuhn), Flöte (Anja Nowotny-Baldauf), Klarinette (Hauke Kohlmorgen), Trompete (Roché Jenny), Posaune (Thomas Gertner) und Synthesizer (Martin Gallez). Der große Raum bot ideale Voraussetzungen und so entfalteten sich Schwebungen, vibrierende Tonqualitäten und unisono erklingende Töne, Klangfarben und Geräusche hervorragend und schließlich ergab das Klang-Konglomerat ein reizvolles Ganzes.
Unmittelbar daraus führte Michaela Girardi in eine Soloperformance des Stückes „Tuxedo: Crown: Sun King“ der 1984 in London geborenen Komponistin Hannah Kendall. Zu diesem Werk wurde die Künstlerin von Jean-Michel Basqiats Graffitikunst inspiriert. Die Solovioline, zusätzlich angereichert mit Stimme und parallel dazu ablaufenden Spieluhren, bewirkte ein feinsinniges Flair. Verbunden mit den differenzierten Spieltechniken und daraus resultierenden Texturen entfaltete sich ein inspirierend subtiles Hörerlebnis.
Harte Schnitte
Ein harter Gegensatz dazu bot das Streichtrio op. 45 von Arnold Schönberg. Das Werk beruht auf autobiografischen Schilderungen eines medizinischen Notfalls, den Schönberg im Jahr 1946 erlitten hatte. Dementsprechend vibrierend, nervös und aufgewühlt intonierten Michaela Girardi, Guy Speyers und Jessica Kuhn das immens schwierige Werk. Sie meisterten die spieltechnischen Herausforderungen gut und formten die Beziehungsfelder zwischen streng reglementierten Passagen, musikalischen Reminiszenzen an spätromantische Allusionen und Anklänge an den Wiener Walzer sowie die klanglich diffusen Zwischenebenen.
Auch die Umstellung auf das nachfolgende Werk, „Coming Together“ von Frederic Rzewski, war nicht einfach, denn mit dieser Komposition führte das Ensemble Plus in eine politisch motivierte Erzählung von Samuel Melville. Er wurde als Gefangener während eines Aufstands im Gefängnis ermordet. Frederic Rzewski setzte ihm ein musikalisches Denkmal, indem er eine Textpassage über den monotonen Gefängnisalltag und das persönliche Erleben desselben in einen musikalischen Kontext stellte.
Wie schon bei Stockhausen konnten sich die Musiker:innen auch in diesem Werk „relativ frei bewegen“. Den immerwährend gleichbleibenden, monotonen Ground spielte Martin Gallez auf einem Synthesizer. Guy Speyers rezitierte die Textpassage und die Instrumentalstimmen „umkreisten“ die Sprechstimme mit dicht verwobenen Motivfragmenten. Nicht von Beginn an war die musikalische Zugrichtung des Ensembles erkennbar. Doch allmählich entwickelte sich ein Bewegungsfluss, der in einem anregenden Wechsel zwischen Nah- und Fernverhältnissen die Sprechstimme überspülte und wieder freisetzte. Die musikalischen Motive erklangen kontinuierlich ausgeprägter und die Lautstärke wurde intensiver. So hinterließ der affektive Gehalt des Werkes einen großen Eindruck.