Böser Sarastro, gute „Königin der Nacht“ - Die Bregenzer „Zauberflöte“ steht kopf
Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“, wohl die beliebteste Oper der Welt, ist 25 Jahre nach der legendären Seebühnen-Inszenierung von Jerome Savary 1985/86 endlich wieder im Land zu sehen. Mit entsprechender Spannung wurde deshalb die neue Musiktheaterproduktion des Landestheaters gemeinsam mit dem Symphonieorchester Vorarlberg erwartet. Sie erwies sich bei der Premiere am Freitag im ausverkauften Kornmarkttheater als in Bereichen der Regie überraschendes, in der Ausstattung fragwürdiges, musikalisch jedoch fast durchgehend hochklassiges Ereignis.
Sarastro als „Hoppla-jetzt-komm-ich“-Typ
Die erfahrene deutsche Regisseurin Annegret Ritzel, die erstmals in Vorarlberg und zum ersten Mal die „Zauberflöte“ inszenierte, verleiht dem Spiel neben viel Märchenhaftem und Zauberischem auch deutliche gesellschaftspolitische Relevanz. Sie dreht den über Jahrhunderte geltenden Kampf zwischen Gut und Böse um, stellt damit die Grundfesten der Oper auf den Kopf. Sarastro ist nicht mehr der verehrungswürdige weise Alte, sondern ein „Hoppla-jetzt-komm-ich“-Typ, der im überzogenen Kostüm eines mafiosen Cowboys samt breitem Hut und Sonnenbrille daher schlendert. Der Überwachungsstaat seiner Priester hat tausend Augen, symbolisiert durch überdimensionierte Pupillen, die die Chorsänger vor sich her tragen. Seine größte Missetat aber, die Entführung Paminas, der Tochter der „Königin der Nacht“, was man bisher als Wissensstand beim mündigen Zuseher vorausgesetzt hat, macht Ritzel als Illustration der Ouvertüre hinter einem Gazevorhang deutlich und gibt damit diesem Ereignis besondere Gewichtung.
Die „Königin der Nacht“ ist dafür bei Annegret Ritzel im Umkehrschluss nicht mehr die „sternglänzende Herrscherin“, sondern eine vom Schicksal gedemütigte, alte Frau am Krückstock. Dass sie unter diesen Umständen vor allem ihre zweite, gefürchtete Koloraturarie „Der Hölle Rache tobt in meinem Herzen“ blitzsauber über die Rampe bringt, mag so als kleines physiologisches Wunder gelten. Insgesamt eine neue, aber letztlich nicht unlogische Deutung, der man gerne folgen mag. Umso mehr, als sich Ritzel speziell in diesen Fällen, aber auch allgemein sehr um eine konsequente Personenführung und typengerechte Charakterisierung bemüht hat.
Ambiente eines billigen „Tür-auf-Tür-zu“-Lustspiels
Keine einfache Sache im vorgegebenen Ambiente eines Einheitsbühnenbildes, das mit sechs Türen ausgestattet ist und damit fatal an das Umfeld eines der billigen „Tür-auf-Tür-zu“-Lustspiele erinnert (Bühnenbild: Siegfried E. Mayer). Vor allem aber ist es auf dieser Guckkastenbühne zu eng und zu dunkel. Zu viele Menschen und zu viele zusätzliche Versatzstücke auf einmal lassen vor allem im ersten Aufzug den Eindruck drangvoller Enge entstehen, und die armen Protagonisten stehen oft minutenlang fast total im Dunkeln (Lichtdesign: Arndt Rössler), dass man schon an eine technische Panne mit dem Ausfall von Scheinwerfern denkt. Die farblich gut aufeinander abgestimmten, prächtigen historischen Kostüme (Gera Graf) mit ein paar aktuellen Ausreißern können diesen Eindruck nicht mildern.
Die Regisseurin weiß freilich auch mit diesen vielen Türen umzugehen, erzeugt manchmal damit überraschende Effekte. Dass jedoch bei der oftmals opulent inszenierten Feuer- und Wasserprobe Tamino und Pamina hier bloß durch eine Tür hineingehen und durch die andere wieder herauskommen, ist zu billig. Immerhin zeigt Ritzel auch Humor und lässt die drei Knaben einmal mit Trittrollern auftreten, zwei folgsame Labrador-Hunde machen Sarastros Gefolge zur Jagdgesellschaft. Ritzel hat aber vor allem auch ein inniges Nahverhältnis zur Musik, sie liebt Mozart. Aus dieser Einsicht, dass jede Note in Mozarts hitträchtigem Werk von großer Genialität kostbar ist, sind auch die Striche im Werk behutsam angesetzt worden – die knapp drei Stunden inklusive Pause vergehen wie im Flug. Sie hat aber auch alles in einem engen Kontext zu Mozarts Vorlage inszeniert und nicht dagegen, wie es leider heute allzu sehr Mode ist. Jeder Handlungsakzent findet seine Entsprechung in den Tönen, die ganz wunderbar ausgeleuchtet und klanglich sensibel ausgetüftelt aus dem Orchestergraben kommen. Eine Meisterleistung unseres SOV, das unter den kundigen Händen seines Chefdirigenten Gérard Korsten zu Hochform aufblüht und kammermusikalisch schlank besetzt auch die praktische fehlende Akustik im Kornmarkttheater rasch vergessen lässt.
Gérard Korsten – ein wirklicher Mozartspezialist
Korsten, der sich einmal mehr als wirklicher Mozartspezialist entpuppt, auch wenn er diese Kategorisierung strikt ablehnt, entwickelt im Orchester eine besondere Spiellaune, die weit höher als bloße Professionalität einzuschätzen ist. Und er ist auch fast so etwas wie ein lebendes Metronom: Er findet bei jeder Arie, jedem Ensemble punktgenau die richtigen Tempi, in denen sich die Musik atmend mit den Sängern entwickeln kann, ohne schleppend oder überhastet zu wirken. Korsten beweist damit auch größtes Verständnis für die Sänger, die er mit Vor- und Nachgeben, mit Zurücknehmen und Auftrumpfen auf Händen trägt. Das Ensemble zeigt eine wochenlang auch stilistisch penibel erarbeitete Gemeinschaftsleistung, die nur eine Schwachstelle kennt, den Sarastro des jungen Polen Daniel Borowski. Sein Bass säuselt mehr als er trägt, und seine vernuschelte, von starkem Akzent beeinträchtigte Ansprache an seine Priester gerät an den Rand der Parodie. Dafür ist von einer traumhaften Pamina zu berichten, deren Partie Eva Mei (zufällig die Frau des Dirigenten) stimmlich und darstellerisch intensiv durchlebt und -leidet (etwa, wenn Monostatos Schergen ihr an die Wäsche wollen).
Der Schweizer Andreas Scheidegger überzeugt als Tamino mit farbenreichem, leicht ansprechendem Tenor, ganz selten etwas von Höhenangst geplagt, die Südafrikanerin Estelle Kruger stattet ihre „Königin der Nacht“ mit großer Treffsicherheit in den Koloraturen aus. Der österreichische Bariton Thomas Zisterer hatte sich vorsichtshalber als indisponiert melden lassen, ist dann aber ein ausgesprochen spielfreudiger und auch stimmlich untadeliger Papageno, dem unsere reizend kokette Christine Schneider im Federkleid nach einem kleinen Montafoner Dialektintermezzo als Papagena beigegeben wird. Auch zwei der drei Damen (neben Astrid Kessler), überaus agil und stimmlich perfekt aufeinander abgestimmt, stammen aus unserer Region, nämlich Judith Scherrer und Veronika Dünser, ebenso wie Sprecher Michael Schwendinger. Ein guter alter Bekannter ist der Tenor Eberhard F. Lorenz als quirlig-überzeugender Monostatos, die drei Knaben aus den Reihen der Wiltener Sängerknaben werden rasch zu Publikumslieblingen.
Auch der Bregenzer Festspielchor in der Einstudierung von Benjamin Lack wird seinem Namen durchaus gerecht, wobei die Herren dieses Mal weit mehr gefordert sind als die Damen.
Das Premierenpublikum zeigt sich bis zuletzt ausgesprochen applausfreudig und feiert am Ende minutenlang Ensemble, Leading Team und Orchester. Die weiteren zehn Aufführungen am Kornmarkt – 13. und 20. Februar 16 Uhr, 16., 18., 22., 24. und 26. Februar sowie 1., 3. und 5. März, jeweils 19.30 Uhr – sind bereits ausgezeichnet gebucht.