Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Peter Füssl · 10. Okt 2019 · Musik

Wunderbare musikalische Hommage an den Schlaf (und die Schlaflosigkeit) – Manu Delago begeisterte am Dornbirner Spielboden

Längst ist der Hang-Virtuose Manu Delago als musikalischer Partner der Pop-Exzentikerin Björk, der Sitar-Virtuosin Anoushka Shankar, des isländischen Neo-Klassikers Ólafur Arnalds oder des experimentierfreudigen Londoner Cinematic Orchestra – und natürlich auch mit seinen eigenen Projekten – auf allen Bühnen dieser Welt zuhause. Umso erfreulicher ist es, dass der 35-jährige Tiroler im Rahmen der Präsentations-Tour für sein neues Album „Circadian“ mit seinem erstklassigen, neunköpfigen Ensemble auch am Dornbirner Spielboden zu sehen und zu hören war und dort nach einem nicht ganz zweistündigen Konzert ein restlos begeistertes Publikum hinterließ.

Von circadianen Rhythmen, von Schlaf und Schlaflosigkeit

Das Konzert startete in vollkommener Dunkelheit mit einem mehrstimmigen, an den Freund Mond gerichteten Tiroler Jodellied, das in ein lässiges, rifforientiertes, funkrockiges Ensemblestück mit durchaus knackigen Drums umschlug – einzige Lichtquellen im sehr gut besetzten Saal waren die weiß leuchtenden Stirnlampen an den Köpfen der Musiker, die das Publikum mit einer witzigen Lichtstrahlenchoreographie verblüfften. Der ganze Abend war in eine Nachtstimmung getaucht – aber nicht in eine unheimliche, angstvolle, sondern in eine wohlige, in der man sich geborgen fühlte, die Körper und Geist auf angenehme Art und Weise umhüllte. Das passte perfekt zum thematischen Ausgangspunkt der neuen Kompositionen Manu Delagos, der sich im Vorfeld ausgiebig mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Circadianen, also den inneren, biologischen Rhythmen des Menschen, mit den verschiedenen Schlaf-Wach-Phasen und deren speziellen Eigenschaften beschäftigte – und das schlug sich in Titeln wie „Circadian“, „The silent flight of the owl”, „Uranus”, „The moment I’m still awake” oder „Delta Sleep” nieder.

Exzellentes neunköpfiges Ensemble

Während sich Delago in früheren Projekten wie „Metromonk“ (2017) oder „Silver Kobalt“ (2015) – von letzterem spielte er grandiose Adaptionen von „Almost thirty“ und „Down to the summit“ – ausgiebig mit den Möglichkeiten der Elektronik auseinandersetzte, wird „Circadian“ rein akustisch musiziert. Dass die Soundpalette dadurch keineswegs schmäler, sondern ganz im Gegenteil bunter und aufregender wird, ist das Verdienst der exzellenten Ensemblemitglieder, allesamt gleichermaßen virtuos wie experimentierfreudig und lustvoll bei der Sache. Exquisite Streiche(l)r-Einheiten verteilen der vom Radio.String.Quartet.Vienna her bestens bekannte Bernie Mallinger an der Violine und die Engländerin Jenny Ames Alexander, die wie Delago auch bei Björk und The Cinematic Orchestra spielt, an der Viola. Nicht minder erfinderisch in Sachen Sound waren die Bläser. Der Tiroler Posaunist Alois Eberl überzeugte nicht nur mit tiefen Growls, sondern auch beim Klangfarbenstreuen am Akkordeon. Die beiden Grazer Musiker Georg Gratzer und Patrick Dunst steuerten auf unterschiedlichen Flöten, Saxophonen und Klarinetten Virtuoses zur höchst inspirierenden Schlaftrunkenheit bei. Das Tiroler Rhythmusteam hatte an diesem Abend buchstäblich alle Hände voll zu tun, aber Bassist Clemens Rofner und die Perkussionisten Chris Norz und Charly Mair kennen sich schon lange und erwiesen sich in den durchaus gefinkelten Kompositionen als ein bestens aufeinander eingespieltes Team.

Neues Level auf dem Hang und beim Komponieren

Womit wir beim Chef wären! Als Komponist nützt Manu Delago perfekt die unglaublich breite Palette an Soundmöglichkeiten, die ihm sein bislang größtes Ensemble bietet, probiert gewagte Instrumentenkombinationen aus und lässt musikalisch Vielschichtiges und rhythmisch Vertracktes eingängig klingen. Auf dem erst 2000 in der Schweiz entwickelten, aus zwei stählernen Halbkugeln bestehenden Hang, hat Delago mittlerweile ein neues Level erreicht, das ihn auf diesem Instrument in der Musikszene zum Solitär macht. Er entlockt ihm gleichermaßen spannende wie bestechend schöne Rhythmen, Sounds und Melodien und seine Experimentierfreude – sowohl musikalisch als auch thematisch – eröffnet ihm und somit auch dem Publikum immer wieder neue Perspektiven. Bei einigen Stücken wechselte Manu Delago vom Hang zu anderen Perkussionsinstrumenten, die er im Rahmen der ausgedehnten Tourneen mit den oben genannten Stars aus Vietnam, Indonesien, Russland oder der Türkei mitbrachte. Mit aufschlussreichen und/oder witzigen Geschichten und Kommentaren zwischen den Stücken gelingt es ihm auf sympathische Weise, mit dem Publikum nicht nur musikalisch, sondern auch verbal zu kommunizieren und so die imaginären Schranken zwischen Bühne und Zuschauerraum niederzureißen. Kein Wunder, dass nach den beiden letzten Stücken, dem beschaulich-stimmungsvollen „Uranus“ und dem quicklebendig-rasanten, mit ziemlich rockigen Passagen aufgepeppten „Zeitgeber“ noch vehement Zugaben gefordert wurden, zu denen sich das spielfreudige Manu Delago Ensemble nicht lange bitten ließ. Ein grandioser Konzertabend, der so beflügelnd wirkte, wie der ausgefallene Federkopfschmuck des Bandleaders!

CD-Tipp: Manu Delago Ensemble, „Circadian“, One Little Indian Records (auch als Doppelalbum auf Vinyl erhältlich)