Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Fritz Jurmann · 12. Okt 2019 · Musik

Ibiza grüßt die „Fledermaus“ – Musiktheater Vorarlberg spart nicht mit Seitenhieben auf aktuelle Politaffäre

Als vor zwei Jahren die Strauß-Operette „Die Fledermaus“ als Produktion des Musiktheaters Vorarlberg in Götzis (mtvo) für 2019 festgelegt wurde, da war Ibiza noch nichts weiter als eine schöne Ferieninsel auf den Balearen. Inzwischen wurde dieser Name zum Synonym für eine beispiellose österreichische Politaffäre, die sogar die Regierung in die Luft gesprengt hat. Für die Theaterprofis AmBach aber war das wie ein plötzliches Geschenk des Himmels, weil sich hier für kritische Geister sehr viele Parallelen auftaten, in denen die Operettenhandlung von 1874 von der Realität noch übertroffen wurde.

Die mit dem notwendigen Instinkt für schrägen Humor und einer Portion Schadenfreude ausgestattete Regisseurin Barbara Herold ließ sich nicht lange bitten, griff herzhaft zu und machte aus dieser „Fledermaus“ mit vielen Seitenhieben eine Staatsoperette im Operettenstaat, über die sich am Freitagabend ein vollbesetztes Haus drei kurzweilige Stunden lang köstlich amüsierte und die in sechs Probenwochen gebriefte engagierte Truppe am Schluss mit einhelligen Standing Ovations feierte.

70 Jahre Musiktheater in Götzis

Der eigentliche Anlass für die Wahl der „Fledermaus“ im heurigen Jahr war freilich das Fest, das im Zentrum dieser Operette steht und damit auf das eigene 70-Jahr-Jubläum der Musiktheaterproduktionen in Götzis verweist, die der spätere Fahrschul- und Musikschuldirektor Dipl.-Ing. Alfred Mayer damals ins Leben gerufen hat. Es war berührend zu erleben, wie der heute hochbetagte Gründer, einst von den Damen als „der schöne Alfred“ verehrt, von der charmanten Präsidentin Margit Hinterholzer voll Ehrerbietung bei der Premiere im Publikum begrüßt wurde. Sein Erbe als Intendant und versierter Dirigent hat 2008 der durch sein künstlerisches Vorleben am Tiroler Landestheater mit einer guten Portion Theaterblut ausgestattete Nikolaus Netzer übernommen und sein Unternehmen ideenreich und tatkräftig zu einem heute auf absolut professionellem künstlerischen Niveau stehenden jährlichen Drei-Sparten-Theater gemacht.

Mit viel musikalischem Fingerspitzengefühl

Gerade die so leicht und süffig scheinende Musik, die Johann Strauß seiner Meisteroperette „Die Fledermaus“ mit auf den Weg gab, besitzt durchaus ihre Tücken, bevor sich eben diese viel gerühmten Eigenschaften voll entfalten. Sie erfordert von Netzer und seinem mit ausgesuchten heimischen Kräften perfekt zusammengeschweißten Orchester, das spätestens seit Bellinis Belcanto-Oper im Vorjahr den Ritterschlag erhalten hat, größtes Fingerspitzengefühl für subtile Klangentfaltung und Flexibilität im Begleiten der vielen Rezitative, Arien und gut ausgewogenen Ensembles in entsprechender Balance. Und das gelingt, nach winzigen rhythmischen Premieren-Patzern in der berühmten Ouvertüre im weiteren Verlauf mit Bravour, wienerischer Eleganz und großer Sicherheit in allen Registern.       
Netzer trägt mit seinem eingestandenen „Hang zur Schräglage“ auch das Regiekonzept der quicken Barbara Herold mit, der man in dieser Reihe vor Jahren bereits einen köstlichen „Orpheus in der Unterwelt“ verdankt und die auch hier von Beginn an sichtlich in ihrem Element ist. Da stimmt im oft turbulenten Gefüge dieser Komödie, an deren Banalität man sich längst gewöhnt hat, jede Szene in ihren Proportionen, sind die Charaktere der Protagonisten haarklein ausgefeilt. Und erst so ergibt sich in den großen Handlungssträngen auch die Wirksamkeit der vielen kleinen Gags im Text und in den Aktionen, die die Laune des Publikums am Köcheln halten.       

Meisterschaft im Seitensprung

Herold siedelt diese „Meisterschaft im Seitensprung“ in einer undefinierbaren Gegenwart an, in der sich dieser Unterhaltungsklassiker temporeich, mit Witz, Eleganz und Erotik wie von selbst entwickelt. In dieser Disziplin bleiben einander die beiden Eisensteins als Rivalen um die Gunst Rosalindes wahrlich nichts schuldig. Die wiederum ist bei der heimlichen Planung außerehelicher Liebesaktivitäten ihrem Göttergatten immer einen Schritt voraus und steht darum letztlich als moralische Siegerin da. Der echte Eisenstein erkennt beim Fest die verkleidete eigene Gattin nicht und lässt sich zu dem Spruch hinreißen: „Ui – ist die schoarf!“ Die erste Ibiza-Pointe ist damit erfolgreich gezündet, weitere folgen in immer dichterem Abstand als Zack-Zack-Zack-Feuerwerk, das auch dem spielfreudigen Ensemble sichtlich Spaß bereitet.
Als Interieur für ihre Aktionen hat Bühnenbildner Harmut Holz eine variable Skulptur aus dem Fundus geholt, die im ersten Akt einen Vogelkäfig als Hinweis auf das Gefängnis darstellt, im zweiten zum variablen Ballsaal wird und am Ende zum bedrohlichen Klotz eines Gefängnisbaues. Mit entsprechender Fantasie lassen sich auch in einem Theater mit eher beengter Bühne und ohne Schnürboden respektable Verwandlungen praktizieren. Darin gibt auch der aus Amateuren gebildete, heuer besonders stimmkräftige 27-köpfige Chor (Einstudierung Darina Naneva-Ivov) ein deutliches Lebenszeichen und vermittelt in prächtigen Kostümen (Nicole Wehinger) vor allem der Ballszene den notwendigen Glanz. Auch die Riege der jugendlichen Kellner und die jungen Ballett-„Ratten“ erfreuen dabei mit hübschen Einlagen.

Starke Bühnenpräsenz

Die durchwegs mit meist auswärtigen Profis besetzten Hauptpartien finden in ihrer starken Bühnenpräsenz rasch den Kontakt zum Publikum und überzeugen, fein abgestuft, auch mit ihren stimmlichen Leistungen. Eine Woche vor der Premiere ist die gefragte amerikanische Sopranistin Anne Wieben für die erkrankte Caroline Philipp als Rosalinde eingesprungen, hat sich unglaublich rasch ins Ensemble integriert und dominiert nun als strahlende Diva und Zentralfigur mit schauspielerischer Wandlungsfähigkeit und tollen Koloraturen die ersten beiden Akte. Als quirlige Soubrette glänzt an ihrer Seite die am Landeskonservatorium ausgebildete Michaela Breth als Zofe Adele, die rollengemäß im Verlauf des Spiels mit gesunder Komödiantik und hellen Stimmfarben auftrumpft. Der Münchner Christian Lieb, der als Rosalindes Geliebter Alfred ungeniert ins beschauliche Heim der Eisensteins eindringt und versehentlich statt des Hausherrn ins Gefängnis muss, bringt in seinem Tenor italienisches Kolorit ein.
Der Tiroler Bariton Philipp Spiegel, ein alter Bekannter beim mtvo, macht als etwas tollpatschiger Eisenstein durchwegs gute Figur und hat damit die Lacher auf seiner Seite. Sein Freund Dr. Falke, besetzt mit dem deutschen Bariton Daniel Raschinsky als noble Erscheinung, ist ihm bei seiner Rache für einen schlimmen Streich intellektuell haushoch überlegen. Eine in Zeiten der Gender-Diskussion besonders interessante schillernde Figur stellt die ebenfalls am Landeskonservatorium ausgebildete Schweizer Mezzosopranistin Mirjam Fässler in der Hosenrolle als russischer Prinz Orlowsky dar. Im eleganten Gehrock und mit ihrem dunklen Alt bringt sie durchaus maskulines Flair in ihre Partie. Der Bregenzer Bariton Johannes Schwendinger verkörpert mit viel Engagement und Stimmpräsenz den ständig getriebenen Gefängnisdirektor Frank. In kleineren Rollen die Schweizer Sopranistin Kathrin Signer als Ida und Reinhard Razen, der zwischen den köstlich gezeichneten Figuren des stotternden Notars Dr. Blind und des polternden russischen Adlatus Ivan hin und her switcht.

Die wichtigste Nebenrolle

Und da wäre zum Schluss noch die vielleicht wichtigste Nebenrolle in der „Fledermaus“, der Gefängniswärter Frosch. Das ist hier nach dem Willen von Barbara Herold eine „Frau Frosch“, die ihren betrunkenen Mann vertritt, nicht ohne selber ordentlich „geladen“ zu haben. Die Münchner Komikerin Adelheid Bräu, die man hier vom Landestheater kennt, geht allein durch ihre dralle Körperlichkeit als (ausgestopfte?) Wuchtbrumme, aber auch in einer köstlichen Charakterstudie zwischen Gerissenheit und Unterwürfigkeit voll in dieser Rolle auf. Und setzt ganz gezielt noch die letzten Trümpfe in Sachen Ibiza: In der Schlussszene hält sie triumphierend den berühmten Videobeweis in die Höhe. Was nach Ibiza als „b’soffene G’schicht“ versucht wurde kleinzureden, endet hier in einem gemeinsamen „Champagner hat’s verschuldet“. In beiden Fällen gilt wohl auch die Devise „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist …“                

„Die Fledermaus“ von Johann Strauß beim Musiktheater Vorarlberg
So, 13., Di, 15., Do, 17., Sa, 19. Oktober, jeweils 19 Uhr, Kulturbühne AmBach, Götzis
Di, 22. Oktober, 20 Uhr, Gastspiel in Lustenau
Dauer ca. drei Stunden inklusive Pause