Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 15. Aug 2017 · Musik

Witzig inszeniertes Versteckspiel wird zum Fest der Stimmen – Festspiele landen mit „Figaros Hochzeit“ beim Opernstudio einen Volltreffer

Da wurden am Montag bei der Premiere der jüngsten Produktion des Opernstudios der Bregenzer Festspiele im restlos ausgebuchten Theater am Kornmarkt kühnste Erwartungen der heimischen Opernfreunde erfüllt und oft sogar übertroffen. Kein Mensch hätte sich gedacht, dass Wolfgang Amadeus Mozarts Opera buffa „Die Hochzeit des Figaro“ und damit eines der am schwierigsten umzusetzenden Werke dieser Gattung auf Anhieb so gelingen würde.

Da war als Grundlage Jörg Lichtensteins witzige, bis ins Detail logisch durchdachte, charmante Inszenierung voll Tempo und Temperament, die das personalintensive und textlastige Werk zu einem komplexen Kammerspiel formte. Dazu kam eine Besetzung, die einen sofort vergessen ließ, dass es sich dabei um keine ausgebufften Profis, sondern um angehende junge, beim Opernstudio Berlin im Rahmen des Wettbewerbs „Neue Stimmen“ als Kooperationspartner perfekt ausgebildete Sängerinnen und Sänger handelte, die ihre Chance nutzten und aus der Vorlage auch gleich ein Fest der Stimmen machten.

Als drittes kommt unser Symphonieorchester Vorarlberg ins Spiel, dem mit dem wunderbaren, in Bregenz lebenden Hartmut Keil am Pult und am Hammerklavier auch unter den gegebenen schwierigen akustischen Bedingungen ein abgerundeter Mozartklang gelang. Das Premierenpublikum formulierte seine Begeisterung in einem angesichts der Länge des Stückes von dreieinhalb Stunden zwar kurzen, dafür umso heftigeren Jubel.    

Sobotkas Lieblingsprojekt

Wohl nicht umsonst wurde beim Opernstudio, dem Lieblingsprojekt von Intendantin Elisabeth Sobotka, in der Reihe der drei komischen Mozartopern nach Lorenzo da Pontes Libretti das eigentlich 1886 als erstes entstandene Werk hier als drittes angeboten, nach „Cosi fan tutte“ und „Don Giovanni“ in den letzten Jahren. Die Vorsicht hat sich ausgezahlt, vor allem in der Kontinuität des Leading Teams, das mit einer Ausnahme bei der Regie im Vorjahr bereits bisher gezeigt hatte, wo und wie Mozart wohnt und wie mit seinem Werk in einer heutigen, gottseidank aber nicht in unsere Zeit transferierten Version umzugehen ist.    

Man kann sich an keine andere Opernproduktion in unserem Raum erinnern, bei der mit so wenigen Versatzstücken so viel Effekt erzielt wurde. Hier sind es (Bühne und Kostüme: Nikolaus Webern) Türen, große, kleine, senkrecht und waagrecht, die ausschließlich durch Akteure bewegt werden. Das lässt zunächst Schlimmes erahnen. Doch Jörg Liechtenstein ist ein viel zu intelligenter Regisseur, um sich in einer Tür-auf-Tür-zu-Plattitüde wie im Bauerntheater zu ergehen. Für ihn sind Türen klug genutzte Metaphern für ein raffiniert umgesetztes Bäumchen-wechsle-dich-Spiel um Intrigen und (falsche) Identitäten, um versteckte und verbotene Liebschaften und Botschaften. Und das funktioniert perfekt, nicht zuletzt auch dank eines überaus spielfreudigen Ensembles.

Tür um Tür

Da wird eine Tür zum Bilderrahmen für die Solisten, die in Ermangelung eines Chores dessen Part als Ensemble übernehmen. Da wird aus einer Tür auch ein Schrankbett herausgekippt, das natürlich als Spielwiese für die praktischen Anwendungen der Liebe dienen muss. Oder eine Tür dreht sich zum Spiegel als  Kulisse für die große reflektierende Arie der Gräfin, eine andere dient Cherubino als Mittel zum Sprung aus dem Fenster in die Bühnen-Versenkung. Nur noch die Rahmen der Türen bilden dann am Schluss im geheimnisvollen Licht (Matthias Zuggal) auch die Galerie für die Hochzeitsgesellschaft, wenn es für Figaro nach etlichen Irrungen und Wirrungen doch zur ersehnten Hochzeit mit seiner Verlobten Susanna kommt.    

Mozart wollte damals seine Oper nach Beaumarchais‘ Komödie „Der tolle Tag“ noch als bissige Satire gegen die untergehende dekadente Adelswelt verstanden wissen. Das ist heute obsolet, und doch kann es sich Regisseur Lichtenstein bei aller Werktreue nicht verkneifen, immer wieder das Geschehen augenzwinkernd mit kleinen, aus der Zeit gefallenen Anmerkungen zu kommentieren: Anachronismen wie die Bohrmaschine, die der Graf plötzlich in der Hand hält, als er eine Tür aufbrechen will, tänzerische Zuckungen des Ensembles (Choreografie Mirjam Klebel), die weit mehr bei Michael Jackson als bei Wolfgang Amadé angesiedelt sind oder „frozen pictures“ als Anleihe bei Bob Wilson oder zuletzt eben bei „Moses in Ägypten“ in Bregenz. Das ist kurzweilig, ohne zu stören, erhöht auch den Fluss der oft langen Rezitative, die die Handlung vorantreiben und generiert manchen Lacher im Publikum.

Ganz in Weiß

Die Akteure bleiben stilgerecht lange in ihren opulenten, fast durchwegs in Weiß gehaltenen Rokoko-Kostümen stecken, was für Handlungsunkundige die Identifikation der Figuren nicht unbedingt erleichtert. Bis dann am Höhepunkt der verliebte Handlungsknäuel so dicht wird, dass es unweigerlich zur Demaskierung kommen muss, zur Stunde der Wahrheit.

Diese erfolgt, indem sich die Protagonisten ihre weiß gepuderten Perücken abnehmen und danach auch teils im T-Shirt erscheinen – jeder also so, wie er ohne künstliche Scheinwelt er selbst ist. An diesem Punkt, an dem endlich jene wieder zu Paaren zusammenfinden, die auch zusammen gehören, packt der Regisseur dann ungeniert die Kitschkeule aus, lässt vom Bühnenboden gelb flackernde Lämpchen wie Sterne herunterfahren und die Seitenwände im Zuschauerraum erstrahlen.     

Mozarts unsterbliche Musik

Damit endlich zur Musik Mozarts, die sich in verschwenderischer Fülle ihrer Melodien entfaltet, ohne je banal zu werden, sich zu wiederholen oder zu langweilen. Hartmut Keil ist, das weiß man inzwischen, keiner, der Mozart verzärtelt. Das hat bei ihm alles Kontur und Kraft und Kanten, die Tempi sind spannend angezogen, aber nie überzogen, und das SOV zeigt sich der großen Aufgabe imponierend gewachsen durch Bemühen und Klangschönheit, größte Flexibilität in der Begleitung und Homogenität, aus der nur ab und zu das Blech oder die Oboe etwas heraussticht. Keil sitzt in einer auf Mozart zurückgehenden Doppelfunktion aber auch am historischen Hammerklavier und begleitet auf fein auszierende Art die Rezitative – eine Funktion, die unverständlicherweise im Abendprogramm nicht aufscheint.

Ein spiel- und sangesfreudiges junges neunköpfiges Ensemble wächst sehr rasch in seine zugeteilten Rollen hinein und oft auch darüber hinaus. Da ist als erstes die Gräfin der slowenischen Sopranistin Mojca Bitenc zu nennen, die mit endlosen Legatobögen in traumhafter Pianokultur überzeugt und für ihre Arie „Dove sono“ und am Schluss auch den meisten Applaus erhält. Ihr zur Seite als Graf von starker Bühnenpräsenz und klar zeichnendem Bariton der Deutsche Vincenzo Neri. Die eher herb wirkende Susanna der israelischen Sopranistin Anat Edri erkämpft sich bei diesem Rollendebüt mit ihrer relativ kleinen Stimme nach zögerlichem Beginn doch noch einen Platz an der Sonne, sehr schön ihr „Brief-Duett“ mit der Gräfin. Kammerdiener Figaro, ebenfalls ein Rollendebüt, ist mit dem polnischen Bass Adam Kutny rollendeckend besetzt, die Hosenrolle des Cherubino mit der polnischen Sopranistin Natalia Skrycka dagegen hätte man sich ruhig noch etwas quicker vorstellen können, doch das berühmte „Voi che sapete“ gelingt ihr tadellos.

Vorarlberger im Spiel

Man darf ruhig auch ein bisschen stolz darauf sein, dass in diesem hochkarätigen Rahmen auch zwei junge Vorarlberger Gesangssolisten in kleineren Partien ihren Platz gefunden haben. Die in Deutschland geborene Clara Corinna Scheurle kann sich mit ihrem gut ausgeformten Mezzo auch spielerisch überzeugend in die Rolle der ältlichen, eifersüchtigen Marzellina einfügen, dem Feldkircher Martin Summer sind mit dem Arzt Bartolo und dem Gärtner Antonio gleich zwei Basspartien anvertraut, die er mit Spielwitz zum Leben erweckt. Ebenso wie sein Fachkollege, der Deutsche Uwe Gottswinter, der den wirrhaarigen Musiklehrer Basilio und den stotternden Richter Don Curzio zum Gaudium der Zuschauer macht. Mit hellstimmigem Sopran, der am Schluss speziell bejubelt wird, präsentiert sich die Wienerin Jenifer Lary als Antonios Tochter Barbarina.

Dass sie alle zusammen in den Finale der beiden großen Teile stimmlich auftrumpfen und diese damit zu musikalischen Höhepunkten machen, versteht sich wohl von selbst.

Weitere Vorstellungen:
15., 17. und 19. August, jeweils 19.30 Uhr
Bregenz, Theater am Kornmarkt
Dauer: dreieinhalb Stunden inkl. Pause