Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Michael Löbl · 07. Okt 2022 · Musik

Vollendeter Liedgesang

Konzert mit dem Bariton Andrè Schuen und dem Pianisten Daniel Heide am Donnerstag Nachmittag im Rahmen der Schubertiade Hohenems.

Auch wenn sich bei der Schubertiade regelmäßig die Weltelite auf dem Gebiet des Liedgesanges trifft, Andrè Schuen ist selbst in diesem elitären Kreis eine Ausnahmeerscheinung. Vollkommen entspannt aber hochkonzentriert, gutaussehend, sympathisch und locker, ausgestattet mit einer wunderbaren Bühnenpräsenz interpretiert er ein anspruchsvolles Programm, das er bereits 2015 auf CD aufgenommen hat. Für dieses Album gab es dann ein Jahr später einen Echo-Klassik-Preis.

Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt

Andrè Schuen kommt aus dem ladinisch sprechenden Teil Südtirols. Er studierte am Salzburger Mozarteum und besuchte mehrere Meisterkurse, unter anderem bei Brigitte Fassbaender, Marjana Lipovsek oder Olaf Bär. Nach zahlreichen Wettbewerbserfolgen war er regelmäßiger Gast bei den Salzburger Festspielen und von 2010 bis 2014 Ensemblemitglied der Oper in Graz. Seither ist er als Opern- aber vor allem als Lied- und Oratorieninterpret weltweit gefragt. Ein Höhepunkt seiner Karriere war sicherlich die Zusammenarbeit mit Nikolaus Harnoncourt. In dessen legendären Mozart/da Ponte-Zyklus am Theater an der Wien verkörperte Andrè Schuen in allen drei Opern "Die Hochzeit des Figaro", "Don Giovanni" und "Cosi fan tutte" eine Hauptrolle. Seit vielen Jahren gastiert er an allen großen Opern- und Konzerthäusern, im kommenden Jahr unter anderem an der Mailänder Scala oder der Staatsoper Berlin.

Vollkommen mühelos

Vor der Pause gab es Lieder von Robert Schumann nach Gedichten von Heinrich Heine zu hören, unter anderem der Liederkreis op. 24. Andrè Schuen singt das in einer faszinierenden Perfektion, gestaltet extrem wortdeutlich, mit einer unglaublichen Palette an Klangfarben. Dabei wirkt sein Gesang so natürlich und unangestrengt, dass man glauben könnte, Liedgesang auf diesem Niveau sei das Einfachste von der Welt. Sein langjähriger Klavierpartner Daniel Heide macht jede Nuance, jede noch so kleine Temporückung mit und reagiert blitzschnell auch auf minimalste Gestaltungsdetails. Andrè Schuens Stimme ist weich, dunkel gefärbt, die dynamische Bandbreite ist enorm. Egal ob im Pianissimo oder bei Forteausbrüchen, sie klingt immer vollkommen mühelos. Schuen kann erzählen, beschwören, sich aber auch extrem zurücknehmen. Um der Bedeutung des Textes Nachdruck zu verleihen, werden Tempokontraste innerhalb eines Liedes gerne ausgereizt, so in "Es treibt mich hin, es treibt mich her" aus dem Liederkreis.
Das sehr klug aufgebaute Programm umfasst fast genau hundert Jahre von 1840 bis 1943, in denen die drei Teile entstanden sind. Wobei Hugo Wolf sich als das das perfekte Bindeglied zwischen Robert Schumann und Frank Martin erweist. Wolfs Harmonien sind zwar prinzipiell noch der Romantik verhaftet, sie deuten aber in fast jedem Moment bereits weit in die Zukunft. Das Leben dieses Komponisten war geprägt von extremer Armut, keinerlei öffentlicher Anerkennung und schwerer Krankheit. Umso bewundernswerter ist der künstlerische Output, Wolfs Lieder stehen in einer Reihe mit jenen von Schubert, Schumann oder Johannes Brahms.

Beeindruckende Kraftreserven

Auch hier kommen Andrè Schuens Tugenden zum Tragen. Der unglaubliche Dynamikbereich, die traumwandlerische Sicherheit und die vorbildliche Textverständlichkeit. Im Finalstück "Sechs Monologe aus Jedermann" des Schweizer Komponisten Frank Martin packt der Sänger seine stimmlichen Reserven aus, und auch die sind beeindruckend. Gemeinsam mit seinem Klavierpartner verleiht er den durch Frank Martin vertonten Jedermann-Texten von Hugo von Hofmannsthal eine faszinierende Eindringlichkeit.
Das Publikum ist beeindruckt, fasziniert und begeistert. Es erklatscht sich noch eine wunderbar verhalten gesungene Zugabe von Robert Schumann. Das Duo Andrè Schuen und Daniel Heide sind dort angekommen, wo andere ein Leben lang hinwollen: bei der perfekten Liedinterpretation.