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Michael Löbl · 27. Nov 2022 · Musik

Versuch über die Zukunft des Konzertlebens - neue Konzertformate der Montforter Zwischentöne im Alten Hallenbad und im Dom St. Nikolaus

Es geht um die Zukunft des Musiklebens. Nicht mehr und nicht weniger. Sind die traditionellen Konzertformate Symphoniekonzert, Liederabend oder Klavierrecital Schnee von gestern? Werden sie gemeinsam mit ihrem Publikum langsam aussterben und irgendwann nur noch als museales Kuriosum zu erleben sein? Wie soll die sogenannte E-Musik - gemeint ist alles, was nicht als dezidiert kommerziell bezeichnet werden kann - belebt und durch neue Ideen und Formate in die Zukunft geführt werden? Genau das ist das Thema der Montforter Zwischentöne. Sie sind ein Experimentalstudio für ungewöhnliche Kombinationen, Locations und Uhrzeiten.

Neue Kombinationen von Sprache, Text und Musik 

Der Kombination von Musik mit anderen Kunstformen sind keine Grenzen gesetzt. Musik und bildende Kunst, Musik und Sprache, Musik und Licht. Die Veranstaltung "Labor für Wandel - Drei Abende über die Weisheit" im Feldkircher Alten Hallenbad geht noch einen Schritt weiter. Wie können Sprache und Text musikalische Linien beeinflussen und umgekehrt? Im Rahmen von musikalischen Dialogen mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Kultur soll die Musik nicht illustrieren sondern interagieren.
Der Geiger Florian Willeitner und Hans-Joachim Gögl haben dieses Format speziell für die Montforter Zwischentöne entwickelt. Die Aufgabe ist nicht alltäglich: "Die Expertinnen und Experten des jeweiligen Abends kommentieren das Geschehen im Ensemble aus ihren Erfahrungen und Kompetenzfeldern heraus. Das Ensemble macht diese Konflikte erfahrbar, hörbar und damit besprechbar. Wie klingen blindes Zusammenspiel, Verstimmungen, Teamkonflikt? Ein transdisziplinärer Dialog über Lebenskunst und Gesellschaft mit musikalischen Mitteln. Wir erwarten drei erhellende Abende mit überraschenden Perspektiven."
Nach der Skispringerlegende Toni Innauer und der Philosophin Melanie Wolfers war am dritten Abend Irmgard Griss zu Gast. Eine Krankheitswelle hat die Montforter Zwischentöne heimgesucht, Irmgard Griss war eine Einspringerin für den Politikwissenschaftler Anton Pelinka, bei der Moderation gab es sogar zwei Ausfälle. Für die erkrankten Damen Dorothee Frank und Nadja Kayali hat Isabelle Gustorff kurzfristig die Moderation aller drei Abende übernommen. 

Brillantes Musikensemble 

Florian Willeitner hat eigens für dieses Format ein höchst internationales Ensemble mit herausragenden Musikern wie der Vorarlberger Sängerin Filippa Gojo, dem iranisch-österreichischen Gitrarristen Mahan Mirarab, dem Südtiroler Percussionisten Philipp Lamprecht und der australischen Jazz-Posaunistin Shannon Barnett zusammengestellt. Das Ensemble wechselte souverän zwischen vorgeprobten und spontan improvisierten Stücken. Man hätte sehr gerne ein ganzes Konzert mit dieser originellen Truppe gehört, die es nach den Zwischentönen vermutlich so nicht mehr geben wird.
Eigentlich schade, dass Irmgard Griss 2016 nicht Bundespräsidentin geworden ist. Was wir eigentlich immer schon wussten, wurde an diesem Abend noch einmal bestätigt. Sie ist eine hochintelligente, unglaublich wache, humorvolle und sympathische Frau, dazu eine sehr anregende Gesprächspartnerin. Mehrere Versuche der Moderatorin, feministisch eingefärbte Antworten über die Unterdrückung der Frauen einzufordern, wurden von Irmgard Griss souverän zurückgewiesen. "Ich denke, für mich war es ein Vorteil, eine Frau zu sein. Meine Karriere begann in einer Zeit, in der es politisch eigentlich schon einen Konsens gab, die Männerdominanz in Spitzenpositionen zu brechen."
Es war ein sehr inspirierender Abend mit einem interessanten Gespräch und einem originellen Musikensemble, beide Teile hätten gerne auch länger sein können. Und wie war das jetzt mit der Interaktion Sprache - Musik? Dieser Aspekt wollte sich dem Publikum leider nicht vordergründig erschließen. Zugegeben, es ist nicht einfach, den Werdegang von Irmgard Griss bis zur Präsidentin des Obersten Gerichtshofes musikalisch umzusetzen, aber die aus dem Gespräch entstehenden Stichworte und der musikalische Teil wollten nicht so wirklich miteinander emulgieren, Sprache und Musik liefen weite Strecken eigentlich nebeneinander her. Man kann nun einmal nichts erzwingen, und das Format heißt ja auch "Labor für Wandel". Das Publikum zeigte sich begeistert, zum Schluss gab es noch einen Bach-Choral zum Mitsingen. Ein schöner Abschluss einer nicht alltäglichen Veranstaltung. 

Hugo-Wettbewerb 2022 - Konzert des Siegerteams 

Neben dem großen Konzert im Montforthaus mit inszenierten Orchester- und Chorwerken aus der Barockzeit, ist der Hugo-Wettbewerb der zweite Höhepunkt der Montforter Zwischentöne, das "Signature Dish" des Festivals. Musikstudenten aus dem deutschsprachigen Raum werden eingeladen, sich über neue Konzertformate Gedanken zu machen und eine Veranstaltung zum jeweiligen Festivalmotto zu entwerfen. Die Wettbewerbsvorgaben sind ein jährlich wechselndes Thema, ein klar definierter Aufführungsort sowie die Konzertdauer.
Die erste Hürde der Bewerber ist ein verpflichtender Workshop mit den Festivalleitern Folkert Uhde und Hans-Joachim Gögl. Die daraufhin eingeladenen Teams müssen ihr Konzept weiter ausarbeiten und verfeinern, um es dann im Frühjahr im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung einer hochkarätig besetzten Jury zu präsentieren. Neben den Juroren hat auch das Publikum eine Stimme. 

Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Festivals 

"Der Hugo-Wettbewerb ist unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung", erklärt Hans-Joachim Gögl, "es ist ein toller Impuls, den wir als Festivalmacher bekommen und wir kreieren daraus auch ein internationales Netzwerk. Mit den verschiedenen Teams arbeiten wir teilweise noch über Jahre weiter. Ganz wichtig für uns ist die Öffentlichkeit, wir wollen keinen Wettbewerb, der ausschließlich im stillen Kämmerlein stattfindet. So etwas hat mich immer gestört. Es ist doch interessant zu erfahren, nach welchen Kriterien entschieden wird, sowohl für uns, aber natürlich auch für die Teilnehmer." Das Gewinnerteam erhält 1.000 Euro Preisgeld sowie ein professionelles Produktionsbudget von 5.000 Euro für die Umsetzung seiner Konzertidee im Rahmen des Festivals.
Gewinner des Hugo-Pitch 2022 war das Projekt end:licht vom Ensemble TRI:UTOPIE mit Studenten der Universität Potsdam und der Musikhochschule Köln. Am Freitagabend wurde end:licht im Feldkircher Dom realisiert. Unterstützt durch das mit Kerzen und Spiegeln ausgestattete Hauptschiff gelang es Nina Gurol (Orgel), Magdalena Lorenz (Violine) und Louis Voelkel (Rezitation) recht schnell, den Kirchenraum und das Publikum in eine ganz eigene, hypnotisch-meditative Stimmung zu versetzen. Akustisch erklang eine Collage aus improvisierter Musik mit Anklängen an Arvo Pärt, Olivier Messiaen und J. S. Bach. Dazu ein Herzschlagmikrophon, die Orgel des Feldkircher Doms in drei verschiedenen Positionen und eine sich verlierende Violine, die scheinbar endlose Linien non-vibrato in das Kirchenschiff projiziert. Die über die Musik gelegten Texte über den Tod und das Sterben, zusammengestellt aus literarischen Vorlagen, Aussagen von Sterbenden und Sterberitualen verschiedener Religionen wurden von Louis Voelkel rezitiert. 

Das Publikum war berührt 

Nach dem Konzert wurden Ausführende und Publikum noch in die Atelierwohnung der Feldkircher Künstlerin Franziska Mörle eingeladen. Dort entwickelte sich eine sehr anregende Gesprächsrunde mit Konzertbesuchern und den drei Musikern. Man erfuhr zum Beispiel, dass die Organistin Nina Gurol auch ausgebildete Strebebegleiterin ist, und dass einige Impulse aus den Gesprächen mit Sterbenden in die Textgestaltung eingeflossen sind. Wenn es möglich ist, durch ein Konzertformat die Zuhörer derartig zu berühren, ist dem Ensemble TRI:UTOPIE etwas Außergewöhnliches gelungen. Gratulation den drei Ausführenden, aber auch der Leitung der Montforter Zwischentöne.