Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Anita Grüneis · 25. Mär 2022 · Musik

Vaduzer Weltklassik Konzert: Große Emotionen und bildgewaltige Musik

Ein außergewöhnliches Konzert gab es am Donnerstagabend im Vaduzersaal zu hören, das zeigte sich schon am Programm: aufgeführt wurden Werke der Komponisten Aaron Copland, Erich Wolfgang Korngold und Sergej Rachmaninow. Dazu dirigierte mit Mei-Ann Chen eine ungemein temperamentvolle Frau das Sinfonieorchester Liechtenstein und als Stargast war der Geiger Marc Bouchkov zu erleben. Jammerschade, dass der Vaduzer Saal nur zur Hälfte gefüllt war.

Kaum begonnen, schon vorbei

Zu Beginn erklangen die «Variations on a Shaker Melody» von Aaron Copland. Der 1900 in New York als Sohn litauischer Einwanderer geborene Komponist schrieb es im Rahmen des Balletts «Appalachian Spring». Und schon bei diesem ersten Stück zeigte die Dirigentin Mei-Ann Chen, was sie mit dem Sinfonieorchester Liechtenstein vorhatte – sie führte es zu neuen Höchstleistungen und bewies, dass viel mehr in ihm steckt, als bisher bekannt. Zu hören war auch, dass Copland ein enger Freund von Leonard Bernstein war – zeitweise klangen die Variationen als seien sie der «West Side Story» entsprungen. Kaum hatte sich das Publikum in diese Musik eingehört, war sie schon wieder zu Ende – vier Minuten sind eben nicht sehr lange!

Ein Violinkonzert der Extra-Klasse

Dafür war nun das Werk eines Zeitgenossen von Aaron Copland zu hören: Erich Maria Korngolds «Violinkonzert in D-Dur Op.35». Der Emigrant aus Wien erhielt für seine Filmmusiken zwei Oscars, mit dem 1945 geschriebenen Violinkonzert streifte er auch sein Heimweh nach Europa ab. Und so wurde das Werk eine Mischung aus schwelgerischem Sound und extremer Virtuosität, was an jeden Geiger hohe Ansprüche stellt. Nicht so für Marc Bouchkov – scheinbar mühelos meisterte er die Doppelgriffe, Spiccati, Springbögen und Flageoletts in stratosphärischen Höhen. Nahezu atemlos schien ihm das Orchester zu folgen und wurde dabei temperamentvoll angespornt von seiner Dirigentin. Mit vollem Körpereinsatz und viel Leidenschaft holte sie sich, was sie hören wollte – und bekam es. Je lieblicher und einschmeichelnder die Töne von Marc Bouchkov wurden – vor allem bei der «Romance» - desto stabiler wurde der Klangteppich, der ihn hielt und begleitete. Das war die pure Kommunikation zwischen den dreien – der Solist erzählte seine Geschichte, das Orchester malte sie und die Dirigentin bildete den Rahmen. Etwas nachdenklich und beinahe atemlos ließ Ann-Mei Chen den Satz «ausfaden», bevor sie energisch mit dem «Allegro» startete. Alle Süße war dahin, dynamisch wurden neue Bilder geschaffen, voller Wucht, dann wieder leicht und tänzerisch, bis sich Orchester und Solist in einen Rausch steigerten, ihre Musik sich immer mehr aufbäumte, um sich dann am Ende in sich zusammenzurollen. Das war großes Kino, perfekt gespielt von den Hauptdarstellern. 

Die Zeit holt alle ein

Was dann folgte, konnte niemand ahnen. Der in Belgien lebende Marc Bouchkov spielte als Zugabe ein selbst komponiertes Stück. Marc Bouchkovs familiäre Wurzeln liegen in der Ukraine, 2015 komponierte er seine «Fantaisie pour violon seul», die auf jenen ukrainischen Volksweisen basiert, die bei den Maidan Demonstrationen gesungen und so zu einem Symbol des ukrainischen Volkes wurden. Der Künstler versteht sein Werk daher als Epitaph für die Opfer des Maidan-Massakers von 2014. Er widmete diese Zugabe seiner Urgroßmutter Dora Vaitsner, die als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt hat. War das Geigenspiel des Solisten schon davor voller Spielfreude und Lust am Erzählen, so wurde es nun extrem innig. Als der letzte Ton verklungen war, blieb es sekundenlang still im Saal, das Publikum war genauso ergriffen, wie der Geiger selbst.

Weite Räume für große Träume

Da tat die Pause gut, bevor es danach mit Sergej Rachmaninows «Sinfonischen Tänzen op. 45» weiterging. Auch Rachmaninow war ein Exilant, auch er fand Unterschlupf in USA. 1940 schrieb er auf Long Island dieses letztes Werk. Es war wie zugeschnitten auf die Dirigentin Mei-Ann Chen, durch deren Körper die Musik zu fließen schien und die sie mit ihren weit ausholenden Handbewegungen an das Orchester weitergab. Sie zeigte den Musikerinnen und Musikern die Spannweite auf, die sie haben wollte, ließ Räume öffnen, um in ihnen ihre Klanggemälde zu positionieren. Als stünden beide unter Strom – Orchester und Dirigentin – erzeugten sie eine dichte Spannung und machten so die Sinfonischen Tänze zu einem Hör-Krimi. Auch nach dieser Darbietung durften die letzten Klänge lange nachhallen, bis das Publikum mit einem begeisterten Applaus einsetzte.