Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Anita Grüneis · 08. Dez 2021 · Musik

Vaduz: Martha Argerich brilliert mit Ravels Klavierkonzert

Alles an diesem Abend war Weltklasse: Programm und Orchester wie auch Dirigent und Solistin. Das Vaduzer Konzert mit der Pianistin Martha Argerich, dem Dirigenten Charles Dutoit, dem Orchester European Philharmonic of Switzerland - EPOS und dem Programm mit Werken von Strawinsky, Ravel und Dvorak begeisterte das Publikum restlos. Und auch der Vaduzersaal war restlos gefüllt.

Martha Argerich gastierte vor vielen, vielen Jahren im TAK, damals galt sie noch als junge Wilde, eine Tastenlöwin, über die der Kollege Arturo Benedetti Michelangeli einst klagte, sie sehe den Ton nicht als gottgegeben an. Das tut Martha Argerich heute noch nicht. Zum Glück, denn ihr Klavierspiel ist immer noch wie sie selbst vielleicht sein mag – verletzlich und rätselhaft aber auch ungestüm und leidenschaftlich. Und so wurde ihre Interpretation von Maurice Ravels «Klavierkonzert in G-Dur» auch zu einem ganz besonderen Erlebnis.

Leidenschaftlich und feinfühlig

Entstanden ist das Konzert kurz nach der Vollendung des berühmten «Bolero». Maurice Ravel hatte die amerikanische Musikkultur kennengelernt, wobei ihn der Jazz faszinierte. Er hatte zudem einen regen Austausch mit dem jüngeren George Gershwin. Und so lebt dieses Werk von rhythmischer Finesse und schillernder Farbigkeit. Genau das Richtige für die feinfühlige Pianistin Martha Argerich. Sie ließ im ersten Satz Ravels Musik zu Beginn brodeln und strömen und poltern, schuf schwirrende Klänge, die mühelos vom Orchester aufgenommen wurden, bis die Töne zu verschmelzen schienen. Wenn sie spielte, wurde das Orchester leiser als leise – ganz so, als wollte es den ganzen Raum der Solistin geben. Im zweiten Satz, beim Largo, versank sie tief in sich selbst, ihre Töne wurden scheu und verträumt, dann weich und sanft, als ließe sie sich von der Musik führen und sei dabei immer wieder erstaunt, wo sie sich wiederfinde. Das Orchester hielt sich extrem zurück, als wolle es die Künstlerin dabei nicht stören; vorsichtig und behutsam ging es den Weg mit der Frau am Klavier, deren glasklare Töne wie sanfte Tropfen im Klangteppich der Streicher schillerten. Es waren Lieder ohne Worte, die von der Bühne ins Publikum klangen.

Eine Jagd der besonderen Art

Und dann war alles verweht und vorbei und der dritte Satz hob an mit seiner Energie und seinem Witz. Nun waren die Klangfarben hell und brillant und die Frau am Klavier durfte endlich stürmen und frech sein und das Orchester vor sich herjagen. Dazu setzte Martha Argerich ihre extrem schnellen aufeinanderfolgenden Staccati und Akkorde ein und es schien, als würden sich Orchester und Klavier gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Die turbulente Jagd endet mit einer grellen Fanfare und einem Trommelschlag. Das Publikum applaudierte so begeistert, dass sich die 80jährige Martha Argerich tatsächlich noch einmal für eine Zugabe ans Klavier setzte. Sie interpretierte den Beginn eine der Kinderszenen von Robert Schumann auf so feinfühlige Art, dass man gerne mehr davon gehört hätte. Lange war sie nicht mehr in großen Konzertsälen aufgetreten, hatte Ende der neunziger Jahre den Kampf gegen eine schwere Krebserkrankung gewonnen. Es war ein Geschenk, sie mit ihrer Musik in Vaduz zu erleben zu dürfen. 

Mit Dvořák in die weite Neue Welt

Nach der Pause konnten Dirigent Charles Dutoit und das Orchester European Philharmonic of Switzerland - EPOS mit der Symphonie Nr. 9 in e-Moll «Aus der Neuen Welt» von Antonín Dvořák zeigen, was sie bewegt. Und das war so viel, dass es zu einem besonderes Erlebnis wurde – der 85jährige Maestro brauchte keine Partitur um zu dirigieren, die Musik war in seinem Kopf und er wusste  auch genau, wie sie klingen sollte. Das holte er sich von seinen jungen Musikerinnen und Musikern mit weit ausladenden Armbewegungen, mit Fäusten und Zeigefingern und mit viel Rhythmus im ganzen Körper. Die Spitzenmusiker aus Europa folgten ihm auf jeden Wink und schufen so ein dichtes Gewebe von Dvořáks Klängen. Das erinnerte manchmal sogar an Beethovens Werke und zeigte damit auch die Qualität dieser Symphonie auf. Der hohe Level des Orchesters war schon beim ersten Stück des Abends deutlich geworden, Igor Strawinskys «Jeu de cartes» – das war ein Kartenspiel, in dem sich niemand so richtig in die Karten schauen ließ, bei dem aber auch mal parodiert wurde und plötzlich Klänge aus Johann Strauss’ «Fledermaus» durchschimmerten. Ein auf- und anregender Abend voller Weltklasse-Musik und ebensolchen Musikern.

www.europeanphilharmonic.com