"Old White Clowns" derzeit am Vorarlberger Landestheater (Foto: Jos Schmid)
Anita Grüneis · 11. Feb 2021 · Musik

Ungewohnte Optik und brillantes Spiel

Ein wahrhaft meisterliches Konzert war am Mittwoch aus dem Peter Kaiser Saal der Musikschule in Eschen zu erleben. Die Internationale Musikakademie hatte zum Livestream geladen. Im Rahmen der Reihe «Virtuoso Konzert» präsentierten sechs Preisträger der Klavier-Klasse von Prof. Dr. Milana Chernyavska ihr Können. Die Pianisten sind zwischen 16 und 27 Jahre alt, kommen aus vier Ländern, spielen Klavier seit Kindertagen und sind längst Virtuosen ihres Fachs.

Ein Home-Concert ist schon etwas ungewöhnlich. Da stellt sich zunächst die Frage: Wo setze ich mich hin und wo platziere ich den Computer? Ist das geklärt, taucht die Befürchtung auf, die Tonqualität könne via PC nicht ausreichend sein für ein wirkliches Konzertfeeling. Soviel aber schon vorab: Eine perfekte Bildregie sorgte dafür, dass dieses Konzert der internationalen Musikakademie zum besonderen Erlebnis wurde – denn sehr oft waren die Hände der Künstler bei ihrer Arbeit zu sehen, und auch die Füße auf den Pedalen wurden eingeblendet. Ob allerdings die Gesichtsmasken wirklich nötig waren, sei dahingestellt – der Kameramann hatte sicher genügend Abstand und die rund 100 Zuschauer vor dem Bildschirm auch. Zudem wurde der Flügel nach jedem Auftritt gereinigt, was auch gezeigt wurde. Die fünf Meister und die eine Meisterin stellten sich zudem kurz per Videoeinspielung vor und äußerten sich zu ihrem Werk.

Ladies first

Die 20-jährige Irisch-Deutsche Clara Isabella Siegel eröffnete dieses Livestream-Konzert. Sie studierte Germanistik in München und macht Musik, weil sie «damit das ausdrücken kann, wozu Worte nicht reichen». Clara Isabella Siegel spielte das Stück, an dem sie am meisten gearbeitet hat: die Klaviersonate Nr. 23 in f-Moll, op. 57 („Appassionata“) von Ludwig van Beethoven. Dabei meisterte sie es virtuos, das Spannungsfeld zwischen Hingabe und Kontrolle zu behalten. Ihre Musik war stürmisch und zärtlich, aber auch unheilschwanger und dann wieder federleicht. Eine Liebesgeschichte mit Beethoven.

Stupende Technik

Der 16-jährige Roman Fediurko aus Kiew hatte sich für ein Werk von Camille Saint-Saëns entschieden: Étude en forme de valse, op. 52, Nr. 6. Ein ungewöhnliches Stück und ein ungewöhnlicher Interpret. Romans Fediurkos Hände waren so schnell unterwegs, dass man ihnen kaum folgen konnte – er fegte durch das Werk, stürmisch, leidenschaftlich, Walzer und Polka wurden eins, die Musik schien zu jauchzen und zu springen, aber auch zu perlen und zu funkeln. Der junge Ukrainer verfügt über eine stupende Technik, für die das Wort «virtuos» nicht ausreicht. Ein Klavier-Bolide.
Aus Ungarn stammt der 24-jährige Ádám Szokolay, der bereits mit vier Jahren am Klavier saß. Ihn interessiert es, Neues in den alten Kompositionen zu finden. So ging es ihm auch mit den Werken von Béla Bartók, dessen volkstümliche Elemente ihn sofort faszinierten. Ádám Szokolay präsentierte Bartóks Sonate für Klavier, Sz 80. Wie nah ihm die Kunst des Komponisten ist, wurde auch dadurch deutlich, dass er die Struktur des Werkes offenlegte, ohne es dabei zu zerlegen. Er spielte, als würde er die Sonate eben selbst komponieren, manchmal schien er dabei seine Anschläge abzuwiegen, um nur ja nichts zu zerstören.

Mollig weich und brillant

Aus Athen kam der 27-jährige Aristotelis Papadimitriou. Er brachte mit Frédéric Chopins Nocturne Nr. 1 in b-Moll, op. 9, ein bisschen Ruhe in das ansonsten eher stürmische Konzert. Wie er selbst sagte, will er mit seinem Spiel seine Gefühle ausdrücken und mit anderen teilen. Das gelang ihm mit diesem Chopin-Werk besonders gut. Sein Nocturne klang mollig weich, sanft und träumerisch – ein Nachtgesang, der die intimsten Gedanken des Komponisten (und Interpreten) mitteilte.
Der 19-jährige Ron Maxim Huang begann seine Karriere als Knabensolist im Kinderchor der Berliner Oper, bevor er mit dem Klavierspielen anfing. Er hatte sich das Stück «Soirée de Vienne» – Konzertparaphrase über Johann Strauß’sche Walzermotive aus «Die Fledermaus, op. 56» von Alfred Grünfeld ausgesucht. Das virtuose Klavierspiel von Ron Maxim Huang brachte viel Frische in das Konzert, keine Walzerseligkeit, sondern einen Walzer-Spitzentanz mit vielen brillanten Momenten.

Reise durch den Kosmos

Zum Schluss spielte der 24-jährige Portugiese Rafael Kyrychenko. Geboren auf den Azoren, begann er als Fünfjähriger mit dem Klavierspielen. Er hatte sich für zwei Werke von Alexander Skrjabin entschieden: «Zwei Gedichte, op. 32» und die «Klaviersonate Nr. 4 in Fis-Dur, op. 30», eine «ekstatische Reise durch den Kosmos», wie Rafael Kyrychenko selbst sagte. Sein Spiel bestach durch einen samtweichen Anschlag und seine wunderbare musikalischen Erzählkraft, die strömte und rauschte, staunen und die Frage stellen ließ: «Weißt du wie viel Sternlein stehen?»
Eine Frage, die sich so mancher der über 100 Video-Lauscher des Konzerts gestellt haben mag. So viel Virtuosität auf so kleinem Raum ist sehr selten. Dieses Konzert war ein Super-Zeugnis für die Lehrerin Milana Chernyavska, die sich übrigens auch mit ihrer Doktorarbeit über den «Wertungs- und pädagogischen Aspekt der Interpretationstheorie» als Musikwissenschaftlerin profiliert hat.

Zu hören: https://youtu.be/MlaXfqrZr9A