Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Michael Löbl · 11. Okt 2022 · Musik

Und die Zeit steht still – letzte Schubertiade-Konzerte

Konzerte mit dem Pianisten William Youn, dem Schumann Quartett mit einem Gast an der Ersten Violine und dem Klarinettisten Jörg Widmann waren am letzten Schubertiade-Wochenende in Hohenems zu hören.

Der in München lebende, koreanische Pianist William Youn hat sich zu einem der meistbeschäftigten Musiker der Schubertiade entwickelt. Weil nur ganz wenige seiner Kollegen ein derart breites Spektrum vom Solisten über den Liedbegleiter zum Kammermusiker abdecken können. William Youn wechselt problemlos und stilsicher von einer Aufgabe zur nächsten, nimmt sich zurück, wenn es sein muss und kann dann aber auch groß auftrumpfen wie in Maurice Ravels „Alborada del gracioso" in seinem Konzert am Samstagnachmittag im Markus-Sittikus-Saal.
Youn hat neben einer fulminanten Technik und großer musikalischer Feinfühligkeit vor allem eines – Zeit. Da trifft er sich mit Schubert, auch er hat keinerlei Eile, wenn er zu Beginn der G-Dur Sonate D 894 fünfeinhalb Schläge braucht, bis einmal die erste kleine Bewegung entsteht. Und wenn zwei zusammenkommen, die überhaupt keine Eile haben, bleibt die Zeit dann manchmal fast stehen. Selbstverständlich nimmt Youn Schubert wörtlich und spielt alle vorgeschriebenen Wiederholungen, sowohl in der Sonate, als auch im fis-moll Fragment D 571, zu dem er einen eigenen Schluss komponiert hat. Von Schuberts zu Youns Tonsprache ist keinerlei Bruch bemerkbar. Wenn William Youn Schubert spielt, steht die Zeit manchmal still, seine Interpretation ist jedenfalls nichts für Ungeduldige. Auffällig ist sein ungewöhnlich weicher Anschlag, schnelle Passagen in der rechten Hand geraten dadurch manchmal ein wenig wattig und undeutlich. Ganz anders klingt William Youn in den beiden „Miroirs“ von Maurice Ravel. Da wird, wenn es nötig ist, richtig zugepackt, aber auch der impressionistische Grundton liegt seiner schwebenden Spieltechnik. „Poet am Flügel" wird William Youn oft genannt. Selten ist diese Bezeichnung so treffend wie bei ihm.

Einspringer in letzter Minute

Als letztes Konzert der diesjährigen Schubertiade am Sonntagvormittag war das Schumann Quartett mit Jörg Widmann in seiner Doppelrolle als Komponist und Klarinettist angekündigt. Aber es sollte anders kommen. Der Erste Geiger Erik Schumann war erkrankt, das Konzert stand knapp vor der Absage. Im letzten Moment kam dann die Zusage von Matthias Lingenfelder, Primgeiger des Auryn Quartetts, die Erste Violinstimme zu übernehmen und so das Konzert zu retten. Dies hatte allerdings zur Folge, dass das vorgesehene „Jagdquartett" von Jörg Widmann nun durch das gleichnamige Quartett von W.A. Mozart ersetzt werden musste.
So wurde das Publikum Zeuge eines hochinteressanten musikalischen Experimentes. Wie klingt es, wenn ein Mitglied eines anderen Quartetts mit minimaler Probenzeit die Erste Geigenstimme übernimmt? Als langjähriger Primus des prominenten Auryn Quartetts hat Matthias Lingenfelder sowohl Mozart als auch Schubert natürlich „drauf", technisch oder im Zusammenspiel gab es keinerlei Probleme und er erfüllte seine Aufgabe souverän. Optisch wurde die Situation durch einen schwarzen und drei blaue Anzüge demonstriert. Der „Neue" war ein gerne gesehener Gast, aber noch lange kein Familienmitglied. Das Ergebnis waren zwei nicht spektakuläre, aber sehr gediegene, musikalisch und technisch untadelige Interpretationen.

Reizvolle Klangmischung

Verblüffend zu beobachten war allerdings, wie zwei verschiedene Klangwelten auch nach insgesamt acht Sätzen von Mozart und Schubert einander nicht angleichen wollten. Man kann also einen halben Konzertteil nebeneinander musizieren, ohne miteinander zu verschmelzen. Matthias Lingenfelder verfügt über einen ungemein seidigen, runden und schlanken Ton. Sein Spiel ist absolut schlackenlos, man hört kein Bogengeräusch, keinen Kratzer oder Lagenwechsel. Der Pegel der drei Schumanns – genauer gesagt sind es zwei Schumann-Brüder und der Bratschist Veit Hertenstein – war vom ersten Ton an um eine Stufe höher, und das blieb auch so. Daraus ergab sich eine durchaus reizvolle Klangmischung mit kräftigen Mittel- und Bassstimmen und einer silbrig darüber schwebenden Ersten Violine.
Nach der Pause trat das Quartett in den Hintergrund, um dem Klarinettisten Jörg Widmann das Spielfeld zu überlassen. Carl Maria von Webers Klarinettenquintett ist ein Virtuosenstück für den Bläser, die Streicher sind auf eine reine Begleitfunktion reduziert. Weber hat dieses Stück für Heinrich Bärmann, den führenden Klarinettisten seiner Zeit, geschrieben. Bärmann war berühmt für seine erstaunliche Geläufigkeit insbesondere in chromatischen Passagen sowie seine weiche, runde und modulationsfähige Tongebung.

Klarinettist und Komponist

Selbstverständlich ist Jörg Widmann ein brillanter Klarinettist, der durch seine musikalische Gestaltung das Publikum mitreißen kann. Langweilig wird es nie, zu hören waren extreme dynamische Kontraste und eine sehr flexible Agogik. Nur das mit dem weichen, runden Ton, der Heinrich Bärmann nachgesagt wird, ist bei Widmann nicht übermäßig ausgeprägt. Ab dem Mezzoforte wird sein Klang etwas blechern, vor allem in schnellen Staccato-Passagen. Widmann wählt teilweise irrwitzig schnelle Tempi, so schnell, dass man einzelne Töne gar nicht mehr identifizieren kann und die durchaus beeindruckende Virtuosität verpufft.
Jörg Widmann ist Klarinettist, Dirigent, Dozent, vor allem aber einer der erfolgreichsten Komponisten unserer Zeit, mit Aufträgen aus der ganzen Welt. Derzeit ist er gleichzeitig Composer-in-Residence in New York, Köln, Barcelona und in Bergen / Norwegen. Es ist jedenfalls bewundernswert, wie man neben all diesen Aufgaben auf seinem Instrument so fit bleiben kann. 

www.schubertiade.at